crossingEurope Kritik: „Animal Heart“

„… grüne Wiesen im Sonneschein – brauchst du zum Glücklichsein – und dannder Schlag mitten ins Gesicht…“ Das Titellied der beliebten Kinderserie „Heidi“ dürfte hinlänglich bekannt sein. Almidylle par excellence, ohne Sünd, dafür mit ausreichend dunklen Tannen und Sonnenschein. Der crossingEurope Wettbewerbs-Beitrag „Animal Heart“ macht alles anders – oder doch nicht?

Im Werk von Séverine Cornamusaz wird nicht das Bild der Alpen gezeigt, das in Hochglanzprospekten abgebildet Sonntagstouristen in die Berge locken soll. Sie präsentiert den rauen und harten Alltag der Hauptdarsteller Paul und seiner Frau Rosine, die abgeschieden vom Rest der Welt, eine Alm bewirtschaften.

Die Persönlichkeit Pauls ist das Abbild seiner Umgebung, was durchaus als wesentliches Stilmittel verstanden werden darf. Gleich der Felsformationen, Steinblöcke und Gebirgsmassen, die dem Film permanent als Hintergrundkulisse dienen, steht er da in stoischer Kälte, agiert mit erhabener Härte, beherrscht seine Frau mit gewaltiger Unmissverständlichkeit. Paul bittet nicht, er befiehlt! Paul wirbt nicht, er holt sich, was er will. Seine nicht vorhandene Bereitschaft zum kommunikativen Austausch spiegelt sich in seinen sexuellen Handlungen wieder – knapp, gefühlskalt und ohne jedwedes Interesse an den Bedürfnissen des anderen. Doch gibt sich Paul nur so?

Rosine hingegen würde man am liebsten packen, rütteln und ihr ins Gesicht schreien: „Steh auf, und wehr dich! Schrei!“. Denn obwohl sie sich ganz offensichtlich nach mehr sehnt, akzeptiert sie, wie ein Nutzvieh begattet zu werden. Rosine nimmt es hin, wenn ihr Gatte sie demütigt, nur um seine Machtposition zu unterstreichen. Wo Zwei-Wort-Sätze den verbalen Austausch verdrängen, verbleiben nur die Hintergrundgeräusche der Tiere und Maschinen. Als sich plötzlich die Ereignisse überschlagen, enden auch die langen wortlosen Szenen.

Und doch eine Parallele zu Heidi?
Paul vermutet, Rosine sei schwanger und stellt einen „Knecht“ ein, den er ebenso abwertend behandelt. Dieses Erscheinen des Außenstehenden verändert das Leben des Ehepaares maßgeblich.

Denn als Paul eine Affäre zwischen den beiden vermutet und er Rosine deshalb in einem Anfall von Eifersucht misshandelt, flieht diese zu ihrer Mutter.
Und als sei das alles nicht genug, stellt sich dort noch heraus, dass Rosine gar kein Kind erwartet, sondern einen Tumor hat. Verlassen von seiner Frau ist Pauls einziger menschlicher Kontakt der zu seinem Hilfsarbeiter, mit dem er sich nun austauscht – zwar immer noch in knappen Sätzen, aber immerhin in Sätzen.

Die bis dahin zwar dramatische aber durchaus stimmige Geschichte beginnt zu kippen. Paul erfährt eine Art Katharsis. Diese wird deutlich, als der Wortkarge zu sprechen beginnt und der Berührungsscheue körperliche Nähe zuläßt. Als er plötzlich ein eigenes Zimmer für seine Frau einrichtet und dieses liebevoll mit roten Stoffen verziert, geht der Handlung jedoch jede Nachvollziehbarkeit verloren.

Fazit
rating_4_points
Mitreißende schauspielerische Leistungen der Hauptakteure, die den Zuschauer in Gefühlszustände von Wut, Sensationsgeilheit, Beschämung bis hin zu Mitleid führen, gepaart mit gewaltigen Filmaufnahmen der Alpen zeichnen „Animal Heart“ genau so aus, wie der bewusste Einsatz von Text und Sprache.

Doch wenn ein einsamer Cowboy, auch wenn er in den Schweizer Alpen und nicht in Texas lebt, plötzlich seine sensible Seite entdeckt, ist das ein Bruch, der an Glaubwürdigkeit zu wünschen übrig läßt. Bleibt nur zu fragen, ob Paul nicht schon vorher seine scheinbare Schwäche durch gespielte Härte verstecken wollte.