WITHIN TEMPTATION: „Sobald du nichts mehr beweisen musst, wirst du faul“

Mit jeder neuen Veröffentlichung haben sich die Niederländer von Within Temptation vom Begriff „Symphonic Metal“ ein Stück weit entfernt. Wo früher das Traditionelle im Vordergrund stand, hat die Band um Sängerin Sharon den Adel ihre Einflüsse erweitert und ihr Handwerk perfektioniert. Für ihr neues Album „The Unforgiving“ wurde sogar ein Comicheft entwickelt und Kurzfilme gedreht.

Sharon den Adel spricht im Interview mit subtext.at über neue Wege des Songwritings und Restriktionen von MTV. Außerdem verrät uns die sympathische Frontfrau ihre liebsten Superhelden.

subtext.at: Sharon, euer neues Album „The Unforgiving“ ist ein kleines Gesamtkunstwerk: Es gibt neue Musik, Kurzfilme und ein Comicheft mit dem selben Namen. Wie seid ihr auf all diese Ideen gekommen?
Sharon den Adel: Die Idee hat sich beim Songwritingprozess herauskristallisiert, als wir über die Texte gesprochen haben. Wir wollten sie mit einem Konzept verbinden. Es war uns egal, ob es ein Film, ein Comic oder ein Roman sein würde. Zuerst haben wir die Songs an einen Film angelehnt, der gleichzeitig mit unserem Album hätte erscheinen sollen. Es gab einige große Blockbuster in der Auswahl, aber am Ende hat es nicht geklappt, weil die Studios eine komplett andere Herangehensweise haben als wir. Sie konnten uns kein Datum nennen, deswegen haben wir die Idee dann verworfen. Sie hätten den Starttermin jederzeit verschieben können, und was machen wir dann mit unserem Album? Eben. Wir haben dann unser eigenes Konzept entwickelt. Wir sind mit Comics aufgewachsen, deswegen haben wir uns dafür entschieden. Als wir das Album geschrieben haben, wurden wir von den 80ern besonders inspiriert. Damals gab es viele Alben, denen ein…

subtext.at: Konzept zugrunde lag?
Sharon: Genau. In den 70ern und auch in den 80ern war das vermehrt der Fall. Die Idee gefiel uns. Wir leben heute in anderen Zeiten, mit dem Internet und solchen Dingen, aber wir wollten es oldschool machen (lacht). Die Texte haben wir nach dem Comic gestaltet und geschrieben. Die drei Kurzfilme, die du angesprochen hast, erzählen etwas über die Hauptcharaktere.

subtext.at: Mit dieser Herangehensweise wagt ihr etwas komplett Neues. Habt ihr es jetzt mehr genossen, an der Musik zu arbeiten als früher?
Sharon: Ja, die Zeit war sehr inspirierend. Wir haben es in erster Linie für uns gemacht, weil es uns weiterbringt, neue Dinge auszuprobieren. Es war wie eine Reise. Du musst dich auf die Suche nach einem neuen Sound begeben. Wir haben zum ersten Mal ein Comicheft entwickelt. Die Qualität musste jedoch stimmen, weil wir unsere Standards haben. Wir mussten am Ende damit zufrieden sein, sonst hätten wir es nie veröffentlicht.

subtext.at: Hat das Konzept des Comics die Songs diktiert oder war es am Ende doch umgekehrt?
Sharon: Dieses Mal ist das Material nicht auf traditionelle Art entstanden. Es war wie eine Art Soundtrack. Wir wollten die Story jedoch nicht in chronologischer Reihenfolge erzählen. Wir wollten es nicht auf die Art machen: „Once upon a time…“ (lacht)

subtext.at: Die Story soll davon handeln, was es bedeutet, schlechte oder falsche Entscheidungen zu treffen.
Sharon: In der Geschichte geht es um eine Frau, eine Detektivin, die ihre Tochter verloren hat. Sie möchte den Mörder ihrer Tochter finden, als sie auf Mother Maiden trifft, ein Medium. Sie gibt manchen Menschen die Möglichkeit, ein zweites Leben zu führen, eine zweite Chance – wie bei einem Leben nach dem Tod. Doch um am Ende Frieden zu erlangen, muss sie eine schwere Tat wagen – jemanden töten. Ich mag diesen Widerspruch, es ist nicht alles schwarz und weiß.

subtext.: Dieser innere Konflikt, von dem du sprichst, erinnert mich an die TV-Serie „Dexter“.
Sharon: Weißt du, wie oft ich das jetzt schon gehört habe? (lacht) Leider habe ich bislang keine Folge von „Dexter“ sehen können. Das muss ich nachholen. Es hat auch etwas von Spawn, einer sehr erfolgreichen Comicserie aus den 90ern.

subtext.at: Gibt es etwas, was du persönlich bereust? Etwas aus der Vergangenheit?
Sharon: Es gibt bestimmt Sachen, die ich heute anders machen würde, aber du kannst davon lernen. Wenn du eine falsche Entscheidung triffst, kann dich das stärken machen. Du kannst davon profitieren, weil du sie durchleben musst. Du weiß ja vorher nicht, was richtig oder falsch ist. Nächstes Mal machst du es anders. Musikalisch sieht es bei uns so aus: Alles, was uns vom letzten Album nicht mehr gefällt, legen wir ab. Aus heutiger Sicht mag ich den Sound von unserem Album „The Silent Force“ nicht. Damals war es eine gute Entscheidung, aber heute würde ich mich anders entscheiden, was den Klang der Platte angeht.

subtext.at: Immerhin bist du ehrlich. Nicht jeder Musiker würde so etwas über eine ältere Veröffentlichung sagen.
Sharon: So bin ich eben (lacht). Warum sollte ich etwas beschönigen?

subtext.at: Hast du am heutigen Tag eine falsche Entscheidung getroffen?
Sharon: (leicht geschockt) Heute? Nein. Noch nicht (lacht)!

subtext.at: Ich habe folgendes Zitat von dir gefunden: „Wenn du ein Video machst, sagen sie dir immer, dass du kein Blut verwenden kannst, keine Waffen verwenden kannst, dieses und jenes nicht verwenden kannst. Wir wollten aber all diese Dinge verwenden – Blut, Waffen, einfach alles.“
Sharon: (lacht lauthals) Als wir das Video zu „Ice Queen“ drehen wollten, waren wir gerade mit einer Schneekanone in Schweden. Eigentlich könnte man auf die Idee kommen, dass man in Schweden gar keine braucht, aber wir haben es indoor gemacht und wollten es ein bisschen kontrollieren. Und dann kam auch schon der Anruf von unserer Plattenfirma: „MTV hat sich entschlossen, kein Video zu spielen, in dem Schnee und Winter vorkommen.“ Das Script stand schon vor Wochen fest, alles war schon bezahlt – es war furchtbar! Du musst dich dann entscheiden: Machst du es oder nicht? Wir waren allein, in Schweden, und ganz auf uns gestellt (lacht). Ende Januar wollten sie keine winterlichen Clips mehr zeigen, weil die Leute auf den Sommer warten und solche Videos sehen möchten. Selbst zerbrochenes Glas konnten wir nicht bringen. Im Internet kannst du dir alles mögliche anschauen, aber im Fernsehen geht das nicht. Ich kann es einerseits verstehen, weil junge Kids das anschauen könnten, aber sie können genau so auf YouTube gehen.

subtext.at: Das Internet bietet einem mehr Freiheiten an, was das anbelangt.
Sharon: Wir möchten nicht respektlos zu MTV sein, aber Plattformen wie YouTube geben dir einfach die Möglichkeit, viel mehr zu bringen. All das, was du sonst nicht in deinen Videos verwenden kannst. Die meisten Leute sehen sich die Videos inzwischen nur mehr auf YouTube an.

subtext.at: Ihr gehört inzwischen zu den erfolgreichsten Acts aus den Niederlanden. Müsst ihr noch jemandem etwas beweisen?
Sharon: Ich sehe das so: Du musst dich mit jedem neuen Album beweisen. Manchmal zerrt es an deinen Kräften, aber so ist es nun mal. Es ist auch jedes Mal eine neue Herausforderung. Sobald du nichts mehr beweisen musst, wirst du faul. Faul sind wir mit Sicherheit nicht (lacht). Du bist immer nur so gut wie deine letzte Platte. Mit jedem Album beurteilen dich die Leute anders. Dafür musst du dann geradestehen.

subtext.at: Hast du jemals daran gedacht, dich als Solokünstlerin zu versuchen?
Sharon: Das habe ich schon einige Male gemacht, zwischen den Alben mit der Band. Da möchte ich auch immer andere Dinge ausprobieren, die nicht mit Within Temptation in Verbindung gebracht werden. Mit der Band kann ich sowieso viele Dinge ausprobieren, die ich nicht mehr außerhalb machen muss. Es hat sehr viel Spaß gemacht, mit Armin van Buuren den Song „In And Out Of Love“ zu machen.

subtext.at: Comichelden und Superhelden faszinieren uns bis heute. Welche Figur ist dein Lieblingscomicheld und welche weibliche Heldin gefällt dir ganz besonders?
Sharon: Wolverine halte ich für einen sehr coolen Typen. Heldinnen? Gibt es nicht viele coole da draußen. Ich habe aber gehört, dass Wolverine ein weibliches Pendant hat, X-23. Ich habe stets zu allen gesagt: „Es wäre verdammt cool, wenn es einen weiblichen Wolverine geben würde.“ Ich hatte davon keine Ahnung, bis der Typ, der für uns die Story zu „The Unforgiving“ gemacht hat, es erzählt hat (lacht). „Erzähl Sharon, dass es einen weiblichen Wolverine gibt!“ Figuren wie Supergirl mag ich irgendwie nicht, aber Rogue, auch ein Charakter von den X-Men, finde ich auch toll.

subtext.at: Magst du diese Figuren, weil sie nicht die typischen Helden darstellen und nicht perfekt sind?
Sharon: Sie sind Anti-Helden. Das mag ich an ihnen. Solche Charaktere sind um einiges realistischer als der Rest. Wolverine hat seine Schattenseiten, obwohl er für das Gute kämpft. Er geht keiner Herausforderung aus dem Weg.

subtext.at: Ich nehme an, dass dir die beiden Wolverine-Filme gefallen haben.
Sharon: Ja, sie sind gut umgesetzt worden.

Links & Webtips:
within-temptation.com
facebook.com/wtofficial
en.wikipedia.org/wiki/Within_Temptation

Foto: Sony Music

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