CITY AND COLOUR: „Meine Songs sollen die Leute erreichen“

Einen Crashkurs in Sachen Songwriting gibt es mit City And Colour-Sänger Dallas Green. In seiner kanadischen Heimat genießt sein Projekt längst Superstarstatus. Auch hierzulande wächst das Interesse am charismatischen Mann mit der Hornbrille und den vielen Tattoos stetig.

„Little Hell“ heißt das aktuelle Album, auf dem es ordentlich zur Sache geht. Leise, nicht laut. Dallas schüttet dem Hörer sein Herz aus. Das kann man gut finden, muss man aber nicht. Er würde das bestimmt respektieren. Das traut man ihm zu, so ehrlich ist er.

Ein Interview über die Geheimnisse eines guten Songwriters. Was macht ihn aus, was darf er, was nicht und wie geht man mit Zweifeln um? Green gibt Antworten auf all diese Fragen.

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subtext.at: Dallas, sehnst du dich als Songwriter nach einer Person oder nach gewissen Umständen, die du dann mittels der Musik auszudrücken versuchst?
Dallas Green: Ich werde mich immer danach sehnen, aus meiner Sicht bessere Songs zu schreiben. Ich versuche immer, mich zu verbessern. Ich eifere dem nach, meine Leistung und Fähigkeit als Songwriter zu steigern. Ich denke aber, dass es eine nie endende Reise darstellt. Dass ich mich jetzt nach jemandem bestimmten sehne, denke ich jedoch nicht. Vielleicht mache ich es, keine Ahnung (lacht).

subtext.at: Musik ist ja in erster Linie dazu da, Gefühle, die man sonst nicht ausdrücken kann, greif- und hörbar zu machen.
Dallas Green: Sehe ich auch so, ja. Ich schreibe Songs über all die Dinge, die mir in meinem Leben passieren. Manche Leute haben die Idee, einen Hit zu schreiben. Das ist nicht mein Standpunkt. Ich will einfach einen guten Song schreiben und etwas über mein Leben erzählen. Nicht mehr, nicht weniger.

subtext.at: Musst es etwas Unerfülltes geben, bevor du dich an einen Song heranwagst?
Dallas Green: Ich weiß nicht. (überlegt) Ich trage wohl immer etwas Unerfülltes mit mir herum. Es gibt immer etwas, was an dir nagt. Du kannst das nutzen und zu deinem Vorteil werden lassen. Es muss aber den Punkt geben, wo man loslässt. Es bleibt dann jedem selbst überlassen, was er für sich daraus zieht.

subtext.at: Hast du eine perfektionistische Ader?
Dallas Green: Definitiv! Ich versuche es zumindest (lächelt).

subtext.at: Wie schwer ist es dann, den Song loszulassen?
Dallas Green: Es gibt Momente, wo es einem schwer fällt, aber du kommst nicht drumherum. In dem Moment, wo eine weitere Person deine Musik hört, teilst du sie. Der Song gehört nicht mehr dir allein. Jemand gibt dir Geld für deine Musik und hört dir zu. Verstehst du, was ich meine?

subtext.at: Kunst ist dazu in der Lage, Emotionen ans Licht treten zu lassen, die in einem normalen Gespräch nie ans Tageslicht treten würden.
Dallas Green: Das stimmt. Das ist auch der Grund, weshalb es so viele Leute zur Musik verschlägt. Sie haben etwas zu sagen und auf dem normalen Weg können sie das nicht – aus welchen Gründen auch immer. (überlegt kurz) Ich bin mit Mixtapes aufgewachsen. Jemand hat Musik für dich oder auch für sich selbst zusammengestellt. Die machten dann die Runde. Es ging darum, dass du Lieder zusammenstellst, die dein eigenes Empfinden widerspiegeln. Meine Songs sollen die Leute erreichen. Sie sollen einen Zugang dazu finden und sich mit ihnen identifizieren. Vielleicht gibt es ja jemanden, der meine Songs jemandem vorspielt und sagt: „Hier, das will ich eigentlich damit ausdrücken.“

subtext.at: Und was ist dir beim Texten wichtig?
Dallas Green: Ich versuche, so ehrlich wie möglich zu sein. Die meisten Songs erzählen Dinge aus meinem privaten Bereich. Ich will keine Songs haben, die man schwer verstehen kann oder schwer nachzuvollziehen sind. Es soll nicht jemand sagen: „Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon er da singt.“

 

subtext.at: Hast du als Songwriter die Aufgabe, die Muse zu finden?
Dallas Green: Die Musik ist meine Muse. Ich denke ständig über Musik nach und bin dauernd von ihr umgeben. (überlegt) Du musst dich umschauen, um zu sehen, worüber du schreiben willst. Ich kann mir dieses Fenster hier ansehen und sagen: „Darüber will ich nicht schreiben.“ Es gibt bestimmt Leute, die darüber einen wundervollen Song schreiben können. Ich kann es nicht. Ich bevorzuge die Dinge konkreter.

subtext.at: Hast du aufgegeben, die Muse festzuhalten?
Dallas Green: Das denke ich nicht, weil du sowieso immer nach ihr Ausschau hältst. Dein Blick ist immer offen für Inspiration. Wo und wann wird der Funke überspringen, welche Idee wirst du haben? Das sind Fragen, die mich durchaus beschäftigen. (überlegt) Ich versuche nicht, es zu erzwingen. Ich kann mich hinsetzen und auf die Eingebung warten – aber vielleicht warte ich umsonst? Deswegen lasse ich es einfach geschehen.

subtext.at: Ich möchte dir ein Zitat von Sting vorlesen: „Die einfachsten Songs sind am schwersten zu schreiben.“
Dallas Green: Das denke ich auch. Wenn du einen einfachen Song hast, muss er trotzdem irgendwie interessant sein. Die Leute sollen ihn ja genießen, auch wenn nicht viel passiert, wie beispielsweise bei einem akustischen Song. Viele packen auch zu viel hinein und wollen zu viel sagen, wodurch sie es sich und dem Publikum schwerer machen.

subtext.at: Sting hat außerdem noch gesagt: „Die Leute nehmen sich, was sie brauchen und ignorieren all die anderen Aspekte eines Songs.“
Dallas Green: Das ist genau das, was ich sagen möchte. Das ist ja auch das gute an Musik: Du nimmst dir das heraus, was du brauchst. Wenn ich über etwas schreibe, dass mir passiert ist, dann musst du nicht genau dasselbe durchmachen, um es verstehen zu können. Du kannst dich mit dem Inhalt identifizieren oder mit bestimmten Wörtern. Das ist das Großartige an Musik – jeder nimmt sich, was er oder sie daraus benötigt.

subtext.at: Hast du noch Zweifel an deinen Fähigkeiten?
Dallas Green: Absolut.

subtext.at: Dein bester Freund und dein schlimmster Feind?
Dallas Green: Ja, so in etwa. Durch all deine Zweifel bekommst du erst den Ansporn, dich zu verbessern. Nie vollkommen mit deiner Arbeit zufrieden zu sein, hält sie am Leben. Deswegen mache ich weiter. Ich denke nie daran, wie gut meine Songs sind, meine Stimme und dergleichen. Ich denke immer, dass ich es noch besser kann.

subtext.at: Kann sich der Inhalt und die Wertschätzung eines Songs über die Jahre verändern? Bleibt die Melodie für immer bestehen?
Dallas Green: Ich denke schon, obwohl es darauf ankommt, was der Inhalt ist und worüber du singst. Manche Songs altern nicht so gut und können ihren Inhalt nicht über einen großen Zeitraum transportieren. Andere Lieder schaffen das und bleiben für immer in den Köpfen der Menschen.

PJ

subtext.at: Pearl Jam hast du nach den ersten drei Alben den Rücken gekehrt. Warum?
Dallas Green: Weil ich mich in eine andere Richtung bewegt habe. Es heißt nicht, dass die Band deswegen schlechter geworden ist und ihre Alben nichts mehr zu sagen hätten. Das wird oft vergessen: Menschen verändern sich – wie auch die Musik. Wir werden erwachsen, älter und sehen bestimmte Dinge anders als zuvor. Manches geht einfach nicht mehr zusammen.

subtext.at: Machst du aus deiner Sicht mit City And Colour traurige Musik?
Dallas Green: Die Melodien kommen sicher aus dieser Ecke, sie entstehen aus einem Moment der Traurigkeit. Hörst du genauer hin, wirst du am Ende einen Hoffnungsschimmer entdecken.

subtext.at: Ist es notwendig, eine Distanz zwischen dir als Songwriter und dem Publikum aufzubauen oder nicht?
Dallas Green: Eine Distanz entsteht schon alleine dadurch, weil ich als Songwriter über mich schreibe. Ich schreibe die Songs nicht für dich, sondern für mich (lächelt). Du kannst sie dir gerne anhören und im besten Fall etwas für dein Leben mitnehmen. Wie ich vorher erwähnt habe, gibt es auch Leute, die einfach einen Hit schreiben möchten, damit er jedem gefällt und Millionen von Dollar einbringt. Ich will Songs schreiben, die ich gerne vortragen möchte, die mir gefallen. Ich hoffe natürlich, dass es auch noch anderen Leuten gefällt.

subtext.at: Welche Künstler gefallen dir besonders aus dieser Perspektive?
Dallas Green: Ich mag viele Sachen. (Daniel Romano, Gitarrist der Band, huscht vorbei) Daniel Romano spielt in meiner Band. Ihn mag ich, er ist ein toller Songwriter.
Daniel Romano: What’s up?
Dallas Green: Es gibt so viele tolle Songwriter, dass es eine Ewigkeit dauern würde, sie alle aufzuzählen.

subtext.at: Kann man erst dann ein guter Künstler werden, wenn man sich selbst gut genug kennt?
Dallas Green: (überlegt) Ich weiß wirklich nicht, was einen guten Künstler ausmacht. Du magst ein guter Künstler sein, doch was ist, wenn du als Mensch nichts taugst? Dann bist du vielleicht auch kein guter Künstler. Wenn du weißt, wer du bist, dann weißt du hoffentlich auch, was du willst und wie du zudem kommst. Über diese Frage könnte ich stundenlang debattieren (lächelt).

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