PHILIPPE BESSON: Nah und doch so fern

Es ist nicht zu leugnen, dass in unserer Welt eine unstillbare Sehnsucht nach großen Gefühlen vorherrscht. Nach Aufregung. Nach Leidenschaft. Der französische Autor Philippe Besson schildert in seinem Roman „Zeit der Abwesenheit“ was es bedeutet, den eigenen Gefühlen ausgeliefert zu sein. Was fasziniert: Die Andersartigkeit der Liebesgeschichte. Eine Erzählung von einer Zeit des Aufbruchs, der Hoffnung und von der Kunst des Überlebens eines Jungen zwischen zwei Männern.

Es ist die Liebe von Vincent und Arthur, die kämpfen muss und umso stärker wird und reiner ist, weil sie gegen Hindernisse, Zwänge und Verbote anzukämpfen hat und gesellschaftliche Hürden überwinden muss. Der eine sucht Trost in den Armen des anderen, während Vincent nach so etwas wie einer Identität fahndet. Nach Verständnis und nach einem Gefühl der Verbundenheit in Paris während des ersten Weltkrieges. Sein Verlangen führt ihn auch zu Marcel Proust, einem der bedeutendsten französischen Kritiker, zu dem er sich ebenfalls hingezogen fühlt. Und dann steht sie schon, die Ménage à Trois. Eine erotische Dreiecksgeschichte mit wahnsinnigen Höhen und noch tragischeren Tiefen.

Philippe Besson versteht es meisterhaft, mit der Illusion von Unschuld, Intimität, Schönheit, Romantik, Traum und Frieden zu spielen. Auch das Thema der sozialen Andersartigkeit steht im Raum, kommen doch alle drei Figuren aus ganz verschiedenen Milieus. Marcel steht für Bildung und verkörpert den Intellekt, den Scharfsinn. Vincent repräsentiert die Zukunft, das Leben, und den Sex. Arthur dagegen steht für die Tragödie, den Schmerz, das Drama und die Depression, die an einem nagt, wenn der Schatten des Todes sich über einen legt.

Männer, die plötzlich der unbändigen Macht ihrer Gefühle ausgesetzt sind – eine Rolle, die vermehrt weiblichen Figuren auf den Leib geschrieben wird. Zentrum der Handlung bleibt der junge Vincent, um ihn kreist das Begehren der anderen beiden. Besson nimmt sich erotische Aspekte heraus, lässt den starken Charakter eines 21-jährigen Soldaten „schwach“ werden, in dem er sich in einen Sechzehnjährigen verliebt. Während auf der einen Seite die Gefühle und Zuneigungen stetig wachsen und ansteigen, gibt es auf der anderen die drastischen Schilderungen von Tod und Trauer.

Es ist gerade die Form und die Schönheit der Sprache, die herausfordert. Bessons Roman lebt von einer außerordentlichen Tiefgründigkeit seiner Figuren. Es macht keinen Spaß, Leuten dabei zuzusehen, wenn sie ihr eigenes Unglück verlängern und in ihrem Schmerz aufgehen – doch es berührt. Am Ende bleiben emotionale Wunden zurück, die nicht heilen werden. „Zeit der Abwesenheit“ setzt sich aus präzise Formulierungen zusammen und liebt schlicht bedingungslos.

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