§278a; Zivilgesellschaft als Staatsfeind?

Über ein Jahr lang wurde einem losen Zusammenschluss von NGO-AktivistInnen im Tierschutzbereich der Prozess nach dem sogenanten Mafia-Paragraphen gemacht. Der Dokumentarfilmer Igor Hautzenberger begleitete die Betroffenen durchs gesamte Verfahren mit der Kamera und erhielt dafür den Viennale-Preis 2011.
§ 278a StGB Kriminelle Organisation
Wer eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen gründet oder sich an einer solchen Verbindung als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs. 3),

1.
die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist,
2.
die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang oder erheblichen Einfluß auf Politik oder Wirtschaft anstrebt und
3.
die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

Die Erleichterung war groß als die, als unerfahren und überfordert bezeichnete Richterin, im Tierschützer-Prozess einen allumfassenden Freispruch fällte. Was war geschehen? Über Jahre hinweg observierte eine eigens eingerichtete Soko der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hunderte Tierschutz-AktivistInnen im Umfeld des VGT, des Vereins gegen Tierfabriken. Lauschangriffe, unglaublich brutale Hausdurchsuchungen, die jede Verhältnismäßigkeit vermissen ließen, Handy- und e-Mail-Überwachungen, Observierungen und verdeckte Ermittler wurden eingesetzt um das vermeintliche Bestehen einer Kriminellen Organisation, rund um die Tierschutz-Ikone Dr. Martin Balluch zu beweisen.

Ausgangspunkt waren hauptsächlich Sachbeschädigungen, anonyme Einschüchterungen und Stinkbomben-Anschläge gegen Textilkaufhäuser, allesamt von unbekannten Tätern begangen. Im Zuge der Ermittlungen konnte jedoch, trotz eines unglaublichen finanziellen und zeitlichen Aufwandes, nicht die geringste Verbindung der 13 Angeklagten zu den diversen Straftaten festgestellt werden. Selbst eine von der Staatsanwaltschaft, seit 2008 illegal agierende, verdeckte Ermittlerin entlastete die Angeklagten in allen Anklagepunkten und entzog letztlich der Anklage jegliche Legitimation. Die Angeklagten wurden durch den Prozess in den finanziellen Ruin getrieben und trugen vor allem auch psychische Wunden davon.

Der Regisseur Gerald Igor Hautzenberger zeichnet die Geschehnisse in seinem Film „der Prozess“ dokumentarisch nach und lässt Angeklagte, Rechtsanwälte, Politiker und Menschenrechtler zu Wort kommen. Obwohl die Tierrechts-Problematik, auf die die AktivistInnen aufmerksam machen wollen, im Film klarerweise mitschwingt, liegt der Fokus doch auf dem umstrittenen Paragraphen 278a und dessen Anwendung. Dieser zu unklar formulierte, zur Bekämpfung von Terror und Menschenhandel gedachte, Paragraph erlaubt den Ermittlungsbehörden offenbar Zivilgesellschaftliche Gruppen, die durch ihre friedlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams einen notwendigen gesetzlichen Grenzbereich betreten, zu kriminalisieren und wegen Straftaten anzuklagen, mit denen diese offensichtlich nichts zu tun haben. Zweifelsohne üben NGO‘s Druck auf Konzerne aus und zweifelsohne können politische Aktivisten den betroffenen Personen,Firmen und Vereinen lästig werden. Doch sie deswegen zu kriminalisieren, auf bloße Mutmaßungen hin mit irgendwelchen Straftaten in Verbindung zu bringen und zur terroristischen Vereinigung zu erklären, kann nicht das erklärte Ziel eines demokratischen Rechtsstaats sein.

Der Siegerfilm der diesjährigen Viennale stellt zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Debatte über §278a dar. „Der Prozess“ ist bereits der zweite Film nach „Operation Spring“ aus dem Jahr 2005, der das Vertrauen in den österreichischen Rechtsstaat auf schockierende Weise erschüttert. Man muss kein Tierschützer sein um diesen Film demokratiepolitisch wichtig zu finden.

Weiterführende Links zum Thema:
http://www.derprozess.com/
http://278.at
http://de.wikipedia.org/wiki/Tierschutzprozess