Zeitleistenbruch

Seit dieser Woche gibt es sie nun wirklich: die Timeline von Facebook. Jetzt beginnt das Datensammeln nicht erst mit der Anmeldung bei dem sozialen Netzwerk, sondern … ja, genau richtig: mit der Geburt, wenn man es ganz genau nimmt. Wollen wir das? Naja, eh ned, aber …

Ich habe Facebook damals ja betrogen. Ich habe mich als Entwickler ausgegeben und schon kurz nach der Ankündigung meine Timeline einrichten können. Und während ich zuvor eine leichte Facebookmüdigkeit verspürte, glaubte ich, dass diese ominöse Zeitleiste entweder das Ende meiner Selbstdarstellungsära bedeuten würde, oder aber auch erst der offizielle Beginn meiner (wohl nur für mich selbst interessanten) Autobiografie.

Und zugegeben: Seit diese fragwürdige Neuerung den Weg in meinen Browser gefunden hat, nutze ich Facebook wieder sehr viel häufiger als zuvor. Es ist verblüffend: Je mehr diese Datenkrake von mir wissen möchte, desto mehr bin ich bereit ihr zu geben. Weil ich ja nichts zu verbergen habe und mich eine Fanpage á la „Ficken für den Weltfrieden“ bei einem Bewerbungsgespräch nicht wirklich aus dem Konzept bringen könnte.

Andererseits bin ich mehr und mehr besorgt über die Überwachungssysteme, die unser Staat (und viele andere westlichen Staaten) aufgebaut hat oder noch plant, aufzubauen. Vorratsdatenspeicherung (auch bekannt als „Das offizielle Ende der Unschuldsvermutung“), Videoüberwachung, Lauschangriff … der Staat will mehr und mehr über uns in Erfahrung bringen. Warum stößt mir dies aber ungut auf, während Facebook, dessen Zusammenhänge mit Politik und Wirtschaft noch nicht ganz klar sind, immer mehr Daten von mir freiwillig bekommt?

Weil es einfach verdammt gut aussieht. Die Timeline ist ein Designtörtchen, dass es schafft, das relativ langweilige frühere Design eines Profils schnell in Vergessenheit geraten zu lassen. Sollte es der Staat auch mal schaffen, die Daten, die er möglicherweise schon von mir gesammelt hat, mit schönen Grafiken, Fotos und Videoaufnahmen aufzuwerten, könnte ich mir echt vorstellen, ein „Gefällt mir!“ unter den Überwachungsstaat auszusprechen.

Aber mal ernsthaft. Facebook ist für mich nicht viel mehr als eine Vermarktungsplattform für meine Texte und ein Kommunikationsmittel im Studium: in diesen zwei Feldern ist es fast unschlagbar. Und trotzdem überlege ich immer mal wieder, dass in naher Zukunft ein neuer „Lebensmoment“von mir auf Facebook zu finden sein wird. „Dominik Leitner hat sich abgemeldet.“ Weil ich, wenn überhaupt, meine Biografie schon noch in Form von Texten auf meinem Blog anstatt in Form von Statusmeldungen auf Facebook schreiben möchte. Falls sie denn überhaupt jemanden interessiert, natürlich.

29 Jahre alt - Literarischer Blogger (Neon|Wilderness), Autor ("Volle Distanz. Näher zu dir"), Medienblogger (dominikleitner.com), Printschreiber (MFG Magazin), freier Journalist (u.a. BZ), CD-Kritiker (subtext.at) und Detektiv (365guteDinge)