MIA.: „Wir haben keine Angst vor Auseinandersetzungen“

Ist das Leben eine Tragödie oder eine Komödie? Die Berliner Band Mia. steht seit über zehn Jahren auf der Sonnenseite des Lebens. Mit Menschen, Liebe, Sensationen wurde die letzte Tour beworben. Plakativ genug?

Hier wird nicht geliebt, hier wird leidenschaftlich geschwärmt. Lichterloh. Mit so viel Glückseligkeit kriegen sie jedoch nicht jeden rum. Mit dem neuen Album „Tacheles“ geht die Gratwanderung zwischen Kunst und Kitsch, zwischen Hinter- und Vordergründigkeit munter weiter. Vorzugsweise rebellisch (früher), punktgenau und sexy selbstbestimmt (heute).

Im Gespräch mit subtext.at sprechen Sängerin Mieze Katz, Bassist Bob Schütze und Gitarrist Andy Penn über innere & äußere Veränderungen, wie man mit Konflikten innerhalb und außerhalb einer Band umgeht und darüber, dass es völlig in Ordnung ist, Mia. scheiße zu finden. Meinen sie selbst.

subtext.at: Mieze, die optische Erscheinung hat sich bei euch mit den Jahren stark gewandelt. Du wirkst heute viel fraulicher und femininer.
Mieze: Erstmal freue ich mich darüber, dass man die Veränderung wahrnimmt. Sie ist unser treuester Begleiter, seit Tag 1. Ich bin auf jeden Fall jemand anders, als ich noch vor drei Jahren war. Ich lerne mich jeden Tag neu kennen. Finde ich auch gut so. Ich genieße es, eine Frau zu sein und ich bin gerne eine Frau. Wenn du das siehst, dann ist alles in Ordnung (lächelt).

subtext.at: Fällt es dir schwer, dich mit deinem früheren Ich zu identifizieren?
Mieze: Nee, es ist keine richtige Persönlichkeitsspaltung, die bei mir stattgefunden hat. Ich empfinde alles, was passiert, als normale Entwicklung. Veränderung und Entwicklung gehen Hand in Hand. Ich bin der Meinung, dass ich immer ich bin und bleibe. Das lässt sich für mich nicht trennen. Ich bin froh über die Veränderung und ich fühle mich wohl in meiner Haut.

subtext.at: Lässt sich die Wandlung steuern oder passiert es mehr unterbewusst?
Mieze: (überlegt kurz) Beides, weil es die innere und äußere Wandlung gibt. Manchmal passiert es bewusster, manchmal unbewusster. Ich weiß nicht genau, ich habe ja gar keinen Abstand zu mir. Ich denke, dass es andere Leute besser formulieren oder ausdrücken können als ich selbst. Wie sie meine Veränderung wahrnehmen oder was da eigentlich genau passiert ist. Wenn ich die letzten drei Jahre jetzt Revue passieren lasse… Ich bin in die Pause gegangen mit einem sehr strengen, kontrollierten Look. Strenge Haare, Pferdeschwanz, Dutt. Alles sehr speziell, artifiziell, der rote Plastikmantel und alles sehr verspielt. Jetzt, mit den blonden, offenen Haaren fühle ich mich auch viel offener. Ich fühle mich absolut angekommen. Ich musste diesen Weg gehen, mit meiner eigenen Schere und mit meinem eigenen Blondierpulver. Ich wollte mich niemand anderem anvertrauen, ich musste es selber tun. Auch der Lidstrich ist ein Thema für sich. Ich habe mir bestimmt ein halbes Jahr an jeder Stelle meines Gesichtes einen Lidstrich gezogen, bis ich dann für mich die richtige Stelle gefunden habe, die richtige Form. Auf diese Weise schreibe ich auch Texte, ich probiere vieles einfach aus. Es ist ein richtiges, körperliches Gefühl. Ich merke: „Jetzt bin ich da, wo ich hin soll.“ Und jetzt du die Sicht von außen.
Bob: Ist ja fast schon ein halb-psychologisches Gespräch, was hier stattfindet. Ich finde schon, dass die aktive Veränderung, das Beeinflussen der Veränderung, in einer Band schon ganz speziell ist. Wir verbringen ganz viel Zeit miteinander auf engstem Raum und wir müssen miteinander auskommen und kommunizieren. Der direkte Weg ist der beste. Das ist die Formel, die am besten zu uns passt. Sachen klar anzusprechen und sich darüber auszutauschen. Wir halten uns dann sozusagen gegenseitig den Spiegel vor. Wir versuchen schon, Dinge aktiv in der Gruppe zu ändern. Damit schließt sich auch der Kreis zu „Tacheles“, unserem neuen Album. Bewusst miteinander umgehen.
Mieze: Ich habe die Frage komplett aufs Äußere bezogen. (überlegt kurz) Viele Veränderungen fangen im Inneren an und finden dann im Äußeren ihren Ausdruck.

subtext.at: Ihr spaltet die Meinungen der Leute ganz schön, wie kaum eine andere Band, die ich kenne. Könnt ihr es verstehen, wenn manche eure Bühnenpräsenz, euer Auftreten und eure Musik als affektiert und überzogen abtun?
Mieze:
Was (lacht)!?
Andy: Ich kann das schon nachvollziehen. Das ist ja auch interessant, weil in uns schlagen ja auch verschiedene Herzen. Mia. bedeutet neue Sachen auszuprobieren. Da passieren Dinge, die man im Vorfeld gar nicht planen kann. Es geht um Neugierde. Für Außenstehende ist das manchmal ein bisschen zu krass, weil man als Beobachter die Dinge gerne stringent hätte, wobei es aber nicht stringent ist.
Mieze: Jeder soll denken, sagen und fühlen was er will. Wir können froh sein, dass wir so viele Möglichkeiten haben in dieser Zeit. Umso mehr bewundere ich aber die Mia.-Fans. Das ist das Besondere zu anderen Fangruppen oder Bands: Ein Mia.-Fan braucht Rückgrat. Unsere Fans zeichnet das auf eine besondere Art und Weise aus. Wir haben sehr engagierte Fans, die auch sehr loyal sind. Sie haben eine Meinung, sie haben ihren Standpunkt im Leben. Sie sind auch experimentierfreudig. Die Leute auf unseren Konzerten sehen super aus. Manchmal verbindet unsere Musik Generationen. Wir haben wirklich eine ganz, ganz besondere Crowd am Start, die auch mit Leuten umgehen kann, die sagen: „Was ist denn das für eine Band?!“ Sie haben Argumente, eine Meinung. Sie sagen dann: „Diese Band tröstet mich in den dunkelsten Momenten.“ Ich finde das völlig in Ordnung. Lieber soll jemand sagen: „Die regen mich auf, die kotzen mich an, wie sehen sie wieder aus, was hat sie wieder gesagt?“ Wenn jemand meint: „Mia.? Was? Keine Ahnung, wollen wir etwas Trinken gehen?“ Damit kann ich etwas anfangen (lacht). Meistens ist es ja so gefährliches Halbwissen, was auch völlig in Ordnung ist. Wenn uns jemand scheiße findet, ist das völlig OK, solange unsere Crowd da ist und frei sein darf.

subtext.at: Manche sagen, dass ihr früher aggressiver und angriffslustiger wart, zu „Hieb & Stichfest“-Zeiten beispielsweise.
Mieze: Uns war es wichtig, uns nicht zu wiederholen. Für die Fans ist es natürlich eine andere Wahrnehmung. Wir hatten nach zwei sehr lauten, brachialen Alben einfach das Bedürfnis zu Schauen, was noch geht. Was haben wir noch für eine Sprache, wie können wir uns noch ausdrücken? Irgendwann fängt es für uns an, langweilig zu werden. Wir haben jetzt mit fünf Alben eine reiche Auswahl an Songs, die wir live kombinieren können.
Andy: Ich glaube auch, dass es ein natürlicher Prozess ist. Eine Aggression ist ja total expressiv und irgendwann beleuchtet man sich auch mal selbst von innen und guckt in sich hinein, heißt aber nicht, dass man vom Spirit her weniger aggressiv ist. Aggressiv ist ja auch ein bisschen sexy und ein bisschen attraktiv. Mit Rock’n’Roll verbindet man das schon als mit entspannt zurücklehnen. Auch da ist eine neue Facette zu finden. Wenn man auf der fünften Platten genau so aggressiv wie auf der ersten wäre, dann wäre da auch ein bisschen Lüge dabei.
Mieze: Es gibt auch Bands, die klingen auf der letzten Platten wie auf ihrer ersten. Ist auch OK. Soll jeder machen wie er will.

subtext.at: Das neue Album heißt „Tacheles“ – mögt ihr Leute, die nicht bloß Ja und Amen zu allem sagen?
Mieze:
Damit kann man am meisten anfangen. Wenn man Ja und Amen meint, dann ist das auch in Ordnung. Wenn man aber etwas ganz anderes sagen will, gibt es dem Gegenüber schlecht die Chance, etwas zu verändern, zu reagieren, zu erklären oder wie auch immer. Wir haben für uns erkannt, dass je schneller wir etwas sagen können und je klarer, es umso besser ist. Umso schneller passiert das, worüber man reden möchte. Nicht ewig lang warten, bis man es auf den Tisch bringt. (ganz leise) Tacheles reden halt.
Bob: Da es hier um Geschmack geht, ist sowieso alles erlaubt. Ich würde einiges dafür geben, man diesen Blickwinkel von außen zu haben. Wie würde ich diese Band finden, wenn ich nie mit ihr zu tun gehabt hätte? Kann ich nicht sagen, weil es diesen Blickwinkel für mich nicht gibt.
Mieze: Ich kenne ehrlich gesagt niemanden, der es nicht gerne hat, das man ehrlich mit ihm ist.
Andy: Tacheles hat ja auch mit Tacheles reden im weitesten Sinne zu tun. Wenn du etwas klar transportieren willst, musst du dich klar ausdrücken.
Mieze: Was ich innerhalb dieser Band über Kommunikation gelernt habe, ist mega interessant. Wir gehen sehr offen miteinander um, was mir dann auch außerhalb der Band weitergeholfen hat. Man lernt sehr viel, wie man mit Dingen umgehen kann.

subtext.at: Die neue Single „Fallschirm“ schwärmt wieder von der Liebe, der Lust und davon, das Risiko hinter sich zu lassen. Wie weiß man überhaupt, ob man dem richtigen Partner begegnet ist?
Mieze:
Das sagt dir der Körper. Mir sagt das der Körper. Es fühlt sich einfach richtig an. Wie die Geschichte mit de Lidstrich, mit den Worten. Wenn der Richtige vor mir steht, dann weiß ich es einfach. Ich kann dir auch sagen, wenn er im Raum ist.

subtext.at: Euer Pop war immer stark von visuellen Dingen umgeben. Outfits, Albumcover, Bühnenshow. Mode und Kunst spielen auch im Clip zu „Fallschirm“ eine entscheidende Rolle. Ich würde sagen: Reinstes Color-Blocking.
Andy: Das Video hat Frederic Detjens gemacht, der eigentlich all unsere Videos gedreht hat. Der hatte die Idee dazu, im Zusammenspiel mit dem Song. Wir waren eine Weile weg, die Mieze singt „Ich zurück“. Irgendwie erklärt der Text der Strophen und das Video, was wir in den letzten Jahren gemacht haben., der Refrain ist so eine Art Essenz. Mieze erzählt davon, dass sie unterwegs war, egal ob man das jetzt räumlich oder geistig sieht, und wir waren verstreut in der ganzen Welt. Metaphorisch oder nicht. Jeder hat seine Farbe in dem Video und dann treffen wir aufeinander. Es ist wie auf einer Party, so komisch das jetzt auch klingt.
Mieze: Vier verschiedene Energien treffen aufeinander, addieren sich und bamm!
Andy: Es hat auch etwas mit Spaß zu tun.
Mieze: Das sieht man, hä (lächelt)?

subtext.at: Ihr redet auch von der „rettenden Hintertür“. Was symbolisiert sie für euch?
Mieze: Die rettende Hintertür war für mich das Schreiben. (überlegt) Der nächste Schritt war dann der Austausch. Die rettende Hintertür bedeutet, nicht alles mit sich selbst auszumachen – für mich. Es kann für jeden etwas anderes bedeuten. Ich musste es halt aufschreiben, aber du kannst es interpretieren wie du willst. Hast du etwas, was für die eine Hintertür wäre?

subtext.at: Musik zum Beispiel. Gute Filme. Oder meine Frau.
Mieze: Doch, das ist gut, alles OK mit dir (lächelt).

subtext.at: Ist nach über zehn Jahren Mia. noch immer alles zuckersüß für euch? Stets alles positiv?
Mieze: Glaubst du das?

subtext.at: Ich glaube schon, aber ich will es von euch hören. Glauben heißt ja nicht Wissen.
Mieze: Mia. ist ein Teil unseres Lebens. Mia. ist auch ein Stück weit ein Hafen für mich und eine Familie. Wir haben keine Angst vor Auseinandersetzungen. Meine Einstellung dazu hat sich dazu in den letzten Jahren verändert. Ich heiße mittlerweile auch Desaster und schlimme Momente herzlich willkommen, weil sie für mich zum Leben absolut dazugehören. Ich bin Lebenslust, aber es gehört eben auch dazu, sich zu verlieren. Ich möchte das gar nicht negieren oder ausblenden aus meinem Leben. Ich will damit umgehen, und wie soll ich damit umgehen lernen, wenn ich es ausblende?

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Foto: Mia. / Dusk

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