DILLON live @ Waves Vienna 2012

Traurige Musik hilft einem, bestimmte Dinge im Leben, meist negativ behaftet, doch noch zu meistern. Traurige Musik ist nicht gut fürs Gemüt, entgegnen die anderen. Ich mag es, mich hin und wieder in eine Welt tragen zu lassen, in der kein Platz übrig ist für gute Laune. Man will diese Momente auskosten – die guten, wie die schlechten. Mit Dillon hat das Waves Vienna-Festival für mich einen sehr guten Riecher bewiesen. Und das ganze im opulenten Odeon-Theater. Wer dabei war, kann es bestätigen: Es war ein ganz besonderer Abend. Die Atmosphäre um 21h wirkt verhangen, grau und fiebrig. Zwei Menschen im Licht. Mehr noch im Halbschatten. Um sie herum nichts weiter als tiefe Dunkelheit. Unnahbarkeit als Stilmittel wird zelebriert. Mir ist das bekannt. Es ist egal, was sie anhat – weitestgehend ist nur ihre Silhouette sichtbar. Sie hat ein Image doch trotzdem kommt, oder gerade deswegen, die Musik zuerst, die den Raum sprichwörtlich einnimmt. Das Publikum hängt Dillon an den Lippen, von Anfang an. Ein spartanisches Setup auf der Bühne. Bis auf ein Keyboard und ein nicht allzu großes DJ-Pult gibt es nichts weiter zu sehen. Überflüssiges Brimborium liegt Dillon nicht. Die Luft steht, die Atmosphäre ist angespannt – und doch trifft Dillon ins Herz, weil ihre kindlich naive Stimme der Stimmung die Schwere nimmt. Diffuser geht es kaum. Keyboard, Beats und Gesang gehen eine besondere Symbiose ein. Sie hat einen Erzählfluss, den sie perfekt beherrscht, der aber nicht gleich in einen Refrain mündet. Der Moment der Erleichterung wird des Öfteren hinausgezögert, die Spannung steigt. Man wartet, mit angehaltenem Atem, was wohl als nächstes passieren wird. Dillon switcht zwischen Stärke und Verletzlichkeit und setzt einen Ton nach dem anderen in die Lautlosigkeit und feiert in in Slow-Motion-Vollkommenheit. Jedes akustische Mitschwingen bekommt den verdienten Raum zur Entfaltung. Dann wieder Stille. Pause. Dann tosender Applaus. Dillon redet an diesem Abend wenig, wie üblich, bedankt sich aber einige Male höflich. Man nimmt es ihr ab, obwohl sie eine ambivalente Künstlerin auf der Bühne bleibt und wahrscheinlich auch bleiben wird. Im klassizistischen Ambiente des Theaters funktioniert Dillon recht gut. Obwohl ihre Musik nichts Klassizistisches an sich hat, geht die Kombination aus heiligen Hallen und schüchternem Mädchen auf. „Tip Tapping“ entwickelt sich zu einem Chor, das Publikum trägt den Refrain. Es hat sich herumgesprochen, dass Dillon was kann und etwas Außergewöhnliches auf die Bühne bringt. Ihre Musik besitzt lokalen Charakter, weil sich die Berliner-Szene in ihr widerspiegelt. Auch in der deutschen Hauptstadt ist Electroclash, Minimal und Dubstep schließlich „in“. Wer sie als „Goth“ bezeichnet (was unter den Prämissen vielleicht naheliegend ist), trifft nicht ins sprichwörtliche Schwarze. Dillon schafft es, Musik dermaßen in ihrer Intensität zu fokussieren, bis die eine Träne aus dem Auge kullert. Keine gefühlsduselige Kuschelrock-Romantik, sondern echte Emotion. Keiner schreibt so bewegende, aber auch abstruse Songs. Zuvor ließ Einar Stray, ein norwegischer Songwriter, Erinnerungen an frühe Arcade Fire aufleben. Das, was es zu hören gab, hörte sich jedenfalls sehr vielversprechend an. Sinfonisch, epische Lieder, die berührten und musikalisch mit Band äußerst vielseitig präsentiert wurden. Flimmernder Postrock, Klassik, Epik – alles da. Ein Geheimtipp. Links & Webtips: dillon-music.com wavesvienna.com odeon-theater.at
Foto: Daniel Gilic

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