BLACKMAIL: „Als Band ist es manchmal chaotisch, weil du nicht weißt, wo es langgeht“

Welche Band kann heutzutage noch von sich behaupten, für einen unverwechselbaren Sound zu stehen? Als eine der wenigen hat es die deutsche Alternative-Institution Blackmail geschafft, halbwegs unbeschadet aus den Trümmern der deutschen Musikszene herauszuklettern. Wenn eine Gruppe dazu in der Lage ist, über einen langen Zeitraum mit solcher Regelmäßigkeit überragende Alben und Konzerte abzuliefern, kann man sie mit gutem Gewissen zum Rock-Olymp zählen.

Andererseits war die Formation um Gitarrist und Produzent Kurt Ebelhäuser nie Freunde großer Worte. Sie ließen die Musik sprechen und für sich stehen. Und so heißt das kommende Album (das zweite in neuer Besetzung) schlicht „II“. Sie ziehen ihr Ding weiter durch und es darf damit gerechnet werden, dass es wieder verdammt gut geworden ist.

Im Gespräch mit subtext.at erzählen Carlos Ebelhäuser (Bass) und Mathias Reetz (Gesang, Gitarre) von den Arbeiten an „II“, über heimische Radiolandschaften und vor allem über Ideale in der Musikbranche.

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subtext.at: Euer Resümee der letzten Wochen und Monate?
Carlos Ebelhäuser: (überlegt) Wir haben nach unserer letzten Tour gemerkt, dass der Knoten wirklich und endgültig geplatzt ist. Das ist jetzt so richtig zusammengewachsen. Das ist auch ein Prozess, der stattfinden muss. Die Live-Energie, die sich entwickelt hat, haben wir in der Tat auf das neue Album bringen können. Es wird halt wieder super rockig, da sind so viele Riffs und Solos vom Kurt auch drauf… Nach einem oder eineinhalb Jahren ist es noch mal ein anderes Level geworden. Zum Glück.

subtext.at: Bei unserem letzten Interview wurden über die positiven Vibes gesprochen, die Mathias mit in die Band gebracht hat. Wird das kommende Blackmail-Album nun noch positiver als das letzte?
Carlos Ebelhäuser: Nee, das ist jetzt wieder, ohne Scheiß, knalliger und düsterer geworden (lacht).
Mathias Reetz: Man hat ja immer so Phasen und wie immer war bei Blackmail nichts geplant, aber das was da herausgekommen ist, ist definitiv wieder rockiger und düsterer. Es hat eine Ähnlichkeit zu der „Friend Or Foe?“.

subtext.at: Damit werdet ihr bestimmt einige Leute versöhnen, die ihr mit dem letzten Album „Anima Now!“ verstoßen habt.
Carlos Ebelhäuser: Natürlich interessiert uns so etwas nicht (lacht). Nee, das kann schon sein, kann durchaus passieren. Wir werden das zweite Album in der neuen Besetzung auch einfach „II“ nennen. (überlegt kurz) Es hätte damals auch ein zweites Album sein können.

subtext.at: Für mich öffnet sich ein Zeitfenster, wenn ich mich durch eure Diskographie höre. Man wird an eine bestimmte Zeit erinnert, die man sich in die Gegenwart zurückholen kann. Kennt ihr dieses Gefühl?
Mathias Reetz: Voll, voll, genau so.
Carlos Ebelhäuser: Total.
Mathias Reetz: Bei Depeche Mode ergeht es mir so. Oder bei The Cure. Die Verschmelzung aus Musik und persönlicher Erinnerung macht es halt so besonders.

subtext.at: Nicht jeder Musiker schafft das, mit seinen Songs in eine bestimmte Zeit zu passen und ihr einen Stempel aufzudrücken. Blackmail haben das aus meiner Sicht immer wieder geschafft.
Carlos Ebelhäuser: Das ist klasse zu hören, aber es ist eine Sache, die sich so dahin entwickelt, wenn sich etwas drumherum bildet, eine Szene oder so etwas. Es gibt bei uns die „Bliss, Please“-Anhänger, die „Friend Or Foe?“-Anhänger, die „Aerial View“ war ein bisschen poppiger, da konnten manche Leute mit dem Vorgänger nichts anfangen, aber ja, es entwickelt sich so dahin. Ich hab das natürlich auch, man bringt etwas mit einer bestimmten Zeit in Verbindung, mit einer bestimmten Stimmung, aber wenn du Songs zu oft hörst, geht das manchmal auch weg. Mir ist es schon passiert, dass sich dann eine neue Verbindung einschleicht und die alte ein bisschen nach hinten gedreht wird.
Mathias Reetz: Wenn ich die „Batu“ von Scumbucket höre, dann bin ich wieder sechzehn und es kommt alles wieder hoch (lächelt). Die Faszination für den Gitarrensound, für die Stimme und so.

subtext.at: Kurt weiß bestimmt viel über Musik, vor allem was den Produktionsprozess angeht. Hilft das Wissen über Musik, um sie besser genießen zu können?
Carlos Ebelhäuser: Wissen über Musik definiere ich so – man hat den Dreh raus, weiß, wie etwas klingen könnte und gewisse Sachen hast du schon herausgefunden, musst du nicht mehr ausprobieren. Das kann aber auch ein Hindernis sein. Der Zauber ist ein bisschen weg. Kurt ist ein Typ, der will und kann dir da nicht viel erklären. Wenn er einen neuen Assistenten im Studio hat, muss der sich darum kümmern, ihm die Dinge aus der Nase zu ziehen. Er hat die Einstellung, dass wer er zu viel erklären muss, etwas weggeht. Er will sich das ein bisschen bewahren. Anfängerideen finde ich wiederum geil, von Leuten und Bands, die noch nicht lange spielen. Selber kriegst du das gar nicht mehr so hin, weil du schon ein anderes Level hast.

subtext.at: Herrscht in eurem Tonstudio das Chaos oder die Ordnung?
Carlos Ebelhäuser: Also das ist schon Chaos. Wir können auch nicht proben, wir proben fast gar nicht, haut nicht hin, geht nicht mehr. Wir gehen nackt ins Studio. Wenn wir fleißig waren, haben wir viele Ideen zuhause auf 8-Spur aufgenommen und bringen sie mit. Melodien, Gesangsmelodien, irgendwelche Riffs, Akkordfolgen. Irgendetwas, woraus man etwas basteln kann. Oft ist es so, das aus Nichts etwas entsteht. Wir gucken Filme, Dokumentationen, hören Platten, setzen uns zusammen und dann entsteht das, was Blackmail ausmacht. (überlegt) Meistens entsteht aus der Melodie das drumherum. Als Band ist es manchmal chaotisch, weil du nicht weißt, wo es langgeht. Du kannst dich irren, findest erst mal alles geil und nach einer Woche sieht es dann anders aus. Elf Songs hatten wir fertiggestellt, drei jetzt wieder geschmissen. Die sind nicht schlecht, sind aber nicht mehr so stark wie die anderen acht. Für mich ist es manchmal zu chaotisch, für Kurt genau richtig.

subtext.at: Wird solidarisch entschieden, wenn Songs rausfliegen?
Carlos Ebelhäuser: (atmet tief ein und aus)
Mathias Reetz: Manchmal hat man ein bisschen den Kopf voll und es ist gut, jemanden wie den Kurt zu haben, der einen wieder aufs richtige Pferd bringt.

subtext.at: Und wenn ihr dementsprechend eine Platte mit „nur“ acht Songs herausbringt? Bei dEUS hat das vor zwei Jahren sehr gut funktioniert.
Carlos Ebelhäuser: Die Anzahl finde ich eigentlich gar nicht so ausschlaggebend, die Minuten eher. Du kannst halt echt nicht ein Album mit dreißig Minuten herausbringen, ist ja schon fast noch eine EP. Bei der neuen haben wir dreieinhalb Minuten-Stücke und maximal viereinhalb bis fünf Minuten, da passiert aber so viel, dass es einem länger vorkommt.

subtext.at: Bei unserem letzten Treffen habt ihr auch gesagt, dass Blackmail im Herzen idealistische Musiker geblieben sind. Was muss passieren, damit man die Musik ad acta legt?
Carlos Ebelhäuser: Zehn Millionen Euro? Ach, ich weiß gar nicht (lacht).
Mathias Reetz: Ist wohl alternativlos.
Carlos Ebelhäuser: Es ist unvorstellbar, auch wenn es manchmal einen schlaucht, weil das Business an sich manchmal echt kacke ist. Aber es ist noch zu reizvoll, wenn du neue Ideen und Songs hast, die dich kicken und flashen, gerade bei der Entstehungsphase. Das ist das was wir wollen, was wir können, und etwas anderes geht gar nicht.
Mathias Reetz: Klar ist das jetzt keine ultrakommerzielle Musik und deswegen auch schwierig, aber es ist halt das, was uns Spaß bereitet und glücklich macht.
Carlos Ebelhäuser: Obwohl ich ja derjenige bin, der dann den Kurt mal dahinpeitschen will „Hier, denk doch mal an das Radio oder an die Single“. Wenn das nicht spielerisch kommt, kannst du es eh sein lassen. Wir haben jetzt schon paar klasse, schmissige Songs gemacht, die als Single durchgehen. Haben wir schon zu Genüge gezeigt, da hatten wir dann einfach drauf Bock.

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Mathias Reetz: Es war nie die Situation da, jetzt explizit etwas fürs Radio so machen, also das gar nicht.
Carlos Ebelhäuser: Ich will jetzt nicht großkotzig wirken, aber bei der letzten Platte mit „Deborah“ – also mehr Refrain geht nicht mehr. Das hat so die Flügel, die rausgepackt werden aus dem Nichts, da bin ich schon stolz drauf, wenn das catchy ist. Ruhigere Songs bringt man nicht mit uns in Verbindung, denn bei Blackmail muss es krachen und riffen. (überlegt) The Notwist waren für mich auch immer eine geile Gitarrenband, ist ja schon lange nicht mehr so. Es gibt wenige deutsche Bands, die sich so lange gehalten haben und ihr eigenes Ding gemacht haben.
Mathias Reetz: Das betrifft Bands, die sehr eigen sind. Tocotronic sind sehr eigen, Notwist wie du gesagt hast…
Carlos Ebelhäuser: Die haben das Gitarrenbrett an den Nagel gehangen und dann mit Elektronik weitergemacht. Jedem das seine, aber bei uns würde das nie passieren. Vielleicht sind wir zu oldschool. Bei uns muss es immer bumms machen. (überlegt) Das wir das ruhige „Nightschool“ überhaupt live spielen, ist ja ein Weltwunder. Wir machen ja auch schöne, ruhige Songs, die wir dann nie live spielen. Da hängen wir da und denken uns „Nee, muss doch knallen, muss doch knallen“ (lacht)!

subtext.at: Weil ihr Radio angesprochen habt – beginnt der Tag bei euch mit Musik? Für viele gehört das Radio ja zum Aufstehritual dazu.
Carlos Ebelhäuser: Radio ist ja echt zum Kotzen. Ihr habt ja in Österreich FM4, was ich bemerkenswert finde. Bei uns ist das schlimm, in allen möglichen Bundesländern genau so. Es gibt eine handvoll coole, größere Radios wie Delta, aber ansonsten läuft nur Charts-Scheiße. Du kannst wahllos nichts mehr anmachen, weil du nur Rihanna um die Ohren gehauen bekommst.

subtext.at: Wie kam es zustande, dass ihr zuletzt mit Madsen auf Tour gegangen seid?
Carlos Ebelhäuser: Kurt und Sascha von Madsen telefonieren immer wieder mal miteinander. Wir kennen die Jungs schon seit Jahren. Simon, unser Livekeyboarder, hat in Berlin im Studio etwas zu tun gehabt und dann mit ihnen geredet und ein paar Songs gehört, „Baut wieder auf“, wieder schön rockig, und dann kam das Gespräch auf die Tour auf. Kurt hat dann gefragt, ob sie uns nicht mitnehmen würden. Eine Sache, die wir früher nie gemacht hätten. Jetzt ist eine ganz andere Bandstimmung, da geht das. (überlegt) Es gibt nur wenige deutschsprachige Bands, mit denen ich etwas anfangen kann. Tocotronic ist eine Band, die ich respektiere. Es gibt viele, die ich überhaupt nicht abkann. Madsen fand ich immer klasse, weil es schön rockt. Die haben so viel Hymnenhaftes. Das sind ehrliche Typen, das merkst du einfach. Deswegen klappt es zwischen uns seit Jahren. Es ist aber auch nicht so, dass ich es jeden Tag rauf und runter hören würde.

subtext.at: Ihr würdet keine Band supporten, wenn ihr euch nicht auf persönlicher Ebene verstehen würdet oder auf musikalischer?
Carlos Ebelhäuser: Es muss schon etwas da sein. Es macht jetzt keinen Sinn, mit sagen wir mal Trail Of Dead zu spielen, die vielleicht hundert bis zweihundert Leute mehr haben als wir, obwohl es klasse ist mit ihnen zu spielen. (überlegt) Bei Madsen hatten wir absolute Narrenfreiheit. So etwas würde nicht bei jeder Band gehen, glaube ich.

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Andreas Hornoff
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