Geld auch dem Tisch
Foto: Markus Spiske

Was man für Geld nicht kaufen kann

Der an Harvard lehrende Moralphilosoph Michael Sandel zeigt in seinem Werk „Was man für Geld nicht kaufen kann- Die moralischen Grenzen des Marktes“, wie sehr die Regeln des Marktes bereits in unsere Gesellschaft Eingang gefunden haben. Fast alles scheint heute käuflich zu sein. Aber wie sieht es mit den moralischen Grenzen aus und können wir etwas dagegen tun?

Von der Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft

Im Allgemeinen würden Märkte auf Werte neutral reagieren. Dingen würden durch Geld oder Möglichkeiten des Kaufes und Verkaufes jedoch Werte zugewiesen. Sie haben somit einen Einfluss auf ihre gelenkten Güter und gelenkte Güter wiederum einen auf gesellschaftliche Werte. Neue Annahmen gehen davon aus, dass Entscheidungen zwischen Kosten und Nutzen auch in anderen Lebensbereichen, wie dem Umweltschutz, der politischen Beteiligung oder gar der Entscheidung für oder gegen (beziehungsweise wie viele) Kinder, getroffen werden. Laut Becker wollen die Menschen ihr Wohlergehen maximieren, das sei eine ökonomische Annäherung an menschliches Verhalten, dessen Sentimentalität klares Denken blockiere.

Sandel stellt die Frage, ob Normen, die der Marktlogik nicht folgen, verdrängt werden. Gibt es Situationen, in denen man sich moralisch fragwürdiger Märkte bedienen darf, wenn das Ziel ein achtenswertes ist? Was, wenn „das Richtige“ aus den falschen Gründen getan wird? Sind Anreize unter bestimmten Bedingungen Zwang?

Lebensbereiche im Konsum

Sandel arbeitet mit zahlreichen Beispielen, sei es in der Musikbranche, im Sport, in der Politik, Gesundheit,  im Recht, in Familie und Beziehungen, in der Kunst oder in der Erziehung. Zu den ausgefallensten dürfen wohl ein seit 1997 bestehendes Projekt in North Carolina, das drogenabhängigen Frauen Geld für eine Sterilisierung oder langfristige Empfängnisverhütung gibt, der Vorschlag, Babys bei Adoptionen zu versteigern, das Anheuern von jemandem zur Überbringung von Entschuldigungen in China, das Tätowieren von Firmenlogos, dass Product Placement mittlerweile auch in Romanen vorkommt, das Abschließen von Lebensversicherungen von Firmen für ihre Angestellten (die das gar nicht wissen zu brauchen) und einige mehr zählen.

In Frankreich kann eine Versicherung für das Schwarzfahren, die billiger kommt als eine Monatskarte, abgeschlossen werden. Dies wird damit begründet, dass dem System entgegen gewirkt werden soll und man für die kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei. In Finnland variiert die Höhe von Strafzetteln andererseits je nach Einkommen. Beim weltweiten Flugverkehr können Leute durch Zahlungen ihren Beitrag zur globalen Erwärmung „ausgleichen“, Firmen in den USA haben die Möglichkeit mit Emissionsrechten zu handeln.

Sandel kritisiert, dass dieses System weniger Möglichkeiten für Ärmere, aber viele zur Korruption hat. In Bezug auf Musik zitiert er Krueger: „Tonträger sind Waren; Konzerte sind gesellschaftliche Ereignisse, und wenn man versucht, aus dem lebendigen Erlebnis eine Ware zu machen, läuft man Gefahr, das Erlebnis insgesamt zu verderben“.

Moralische Auswirkungen

Ein interessanter Versuch war die Einführung von Strafzahlungen für zu spätes Abholen von Kindern aus Einrichtungen. Es waren nicht weniger, sondern mehr Verspätungen die Folge. Die Eltern begründeten das damit, dass sie das nun als zusätzlichen Service, für den sie im Falle der Inanspruchnahme zahlen würden, betrachten und sich das schlechte Gewissen demnach sogar verringerte. Selbst gekaufte Dinge würden höher bewertet werden als geschenkt bekommene.

Aber auch wenn sich unser moralisches Bewusstsein im Laufe der Zeit verändert und angepasst hat, spricht Sandel nicht von einem kompletten Werteverfall. Umfragen zeigten, dass Geld teilweise auch als Bestechung empfunden werden kann. Die Bevölkerung eines Ortes stimmte tendenziell häufiger für die Atommülllagerung bei ihnen, als sie kein Geld angeboten bekam.

Man müsse zwischen der ökonomischen und der moralischen Vernunft unterscheiden. Wenn das Kaufverhalten bei steigenden Preisen zurückgeht und umgekehrt, so ist das eher nur bei materiellen Dingen anwendbar. Organspenden sind hier etwa äußerst heikel zu betrachten. „Bietet man für ein bestimmtes Verhalten eine Bezahlung an, bekommt man manchmal weniger statt mehr“. Sandel spricht von einem Kommerzialisierungseffekt, „der Wirkung auf die Natur eines Produktes oder seine Bereitstellung, wenn dazu ausschließlich oder vorwiegend kommerzielle Begriffe herangezogen werden und keine andere Basis vorhanden ist- etwa informeller Austausch, wechselseitige Verpflichtung, Altruismus oder Liebe oder ein Gefühl für Dienen oder Pflichterfüllung“.

Auswirkungen auf die Demokratie

Eine zunehmende Ungleichheit sei weder gut für die Demokratie, noch für die Lebensqualität, auch wenn der Staat für gewisse Bereiche nicht mehr aufkommen müsse. Die Demokratie erfordere zwar keine vollkommene Gleichheit, aber die Teilhabe ihrer BürgerInnen an einer gemeinsamen Lebenswelt.

Es stelle sich die Frage, in welcher Art von Gesellschaft wir leben wollen und wie kritische Erziehung noch funktionieren könne, wenn man bereits im Klassenzimmer zum Konsumenten ausgebildet wird? Sind die Voraussetzungen für Kauf und Verkauf überhaupt fair? Rousseau meinte zu dieser Thematik: „Wenn die Bürger lieber mit ihrer Geldbörse als mit ihrer Personen dienen, ist der Staat schon seinem Verfall nahe“.

Kritik an der Ökonomie

Sandel bezeichnet die ÖkonomInnen als unfähig, zwischen der Bereitschaft und der Fähigkeit zu zahlen zu unterscheiden. Außerdem seien intrinsische, also von innen kommende wie Interesse, und extrinsische, von außen kommende wie Belohnungen, Motivation nicht dasselbe. Märkte würden sich nur auf ihre Eigeninteressen verlassen. Laut dem Utilitarismus und Liberalismus würden Gesetze die Freiheit des Einzelnen beschränken. Aber Entscheidungen könnten nicht ständig als einvernehmlich getroffen betrachtet werden. Die Frage nach einem guten Leben gehöre zur Politik dazu.

Anmerkungen

Sandel hat Bereiche ausgewählt, mit denen die Meisten stark im Alltag konfrontiert sind und differenzierte Sichtweisen geschaffen. Für das Lesen seines Buches ist es nicht notwendig, sich gut in der Wirtschaft oder Politik auszukennen. Seine Überlegungen, in denen die Gerechtigkeit der Kern ist, gestalten sich nachvollziehbar. Dem Lesenden wird, etwas zu bemüht vielleicht, keine Meinung vorgegeben. Leider ist „Was man für Geld nicht kaufen kann“ auch eine Aneinanderreihung von- zwar interessanten- Beispielen, die zu viel Information sind, um sie auf einmal durchzulesen.

Theorien und Hintergründe stehen weniger im Vordergrund als das Aufzeigen von Dingen, bei denen die moralische Grenze des Marktes eben liegen sollte. Warum Lösungsätze überhaupt angekündigt werden, ist mir völlig unklar. Außer Sandel sieht die Lösung bereits in einer sensibilisierten Gesellschaft und in kritischer Erziehung, wobei er aber ebenfalls nicht nennt, wie das jetzt genau angegangen werden soll/kann. Kurzum: Durchaus interessante Ansichten für einen Einstieg in die Thematik, aber ein Buch, das zu viel verspricht, als es hält.


Was man für Geld nicht kaufen kann Cover

Was man für Geld nicht kaufen kann

Die moralischen Grenzen des Marktes
von Michael J. Sandel

250 Seiten, Erhältlich in Deutsch und Englisch
Ullstein Verlag, 2012

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/