BOSSE: „Musik hat sehr viel mit Zufällen zu tun“

Künstler sind introvertiert, unzugänglich, kauzig und sowieso nicht gesellig. Nicht so Axel „Aki“ Bosse. Er ist ein Mann vieler Worte, der musikalisch mit dem aktuellen Album „Kraniche“ mittlerweile bei seinem fünften Album angekommen ist. Variantenreich, immer mit der Sonne im Antlitz, nie schlecht und häufig zum Mitwippen. Eingängig, aber nicht zu penetrant, melodisch, aber nicht zu glatt lautet die Bilanz.

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„Turbulent und entspannt“ meint Bosse auf die Frage, wie sein bisheriges Lebens-Resümee aussehen würde. Ein Interview über Möglichkeiten, die Qual der Wahl und das Thema Durchbruch.

subtext.at: Ich habe gelesen, dass es dir schwer fällt, Alben einen endgültigen Titel zu verpassen. Birgt für dich jede Entscheidung ein Wagnis?
Bosse: Eigentlich nicht. Mit den Titeln tue ich mir aber immer schwer, weil es mich, wenn ich ehrlich bin, überhaupt nicht interessiert. (überlegt) Das aktuelle Album „Kraniche“ könnte zum Beispiel auch „5“ heißen, weil es das fünfte Album ist. Es würde mir genau so viel bedeuten. Wichtige Entscheidung zögere ich manchmal aber bis zum Schluss hinaus, das stimmt. So war es schon immer. Dann kommt der Druck hinzu, wenn der Grafiker meint „Guck mal, wenn du es mir in zehn Minuten nicht sagen kannst, dann mache ich es allein“. Da muss ich mich eben entscheiden. Ich bin eben ein Grübler (lacht).

subtext.at: Ich glaube, jeder kennt das Gefühl, sich partout nicht entscheiden zu können.
Bosse: Ich schreibe gerade für den „Stern“ über eine befreundete Band von mir, Herrenmagazin. Das ist jetzt mein Musiktipp für das Magazin. Ich brauche jetzt schon zwei Wochen dafür, weil ich es so gut wie möglich machen will. Ich weiß aber, dass ich es morgen um zehn Uhr abgeben muss, sonst kommt es nicht in die Montagausgabe. Das ist scheiße für die Band und für den Redakteur, der sich dann ärgert.

subtext.at: Kann das überhaupt die Lösung sein? Sachen aufschieben und eine Nacht drüber schlafen?
Bosse: Was meine Musik angeht – da schlafe ich sowieso noch mal drüber. Musik klingt am nächsten Tag immer anders als am Abend davor mit den drei Gläsern Rotwein (lacht). Es muss sich erst mal setzen. Wenn es noch den Charme des Anfangs hat und man es nach einer Woche immer noch fühlt, dann kann man sagen „Ich weiß, warum dieses Lied auf das Album soll – weil dieses Gefühl noch da ist“. Sonst bin ich mit Entscheidungen eigentlich superschnell. (überlegt kurz) Ich hasse es auch, wenn sich Leute Zeit lassen. Genau so, wie es die Leute hassen, wenn ich mir Zeit lasse mit der „Stern“-Geschichte (lächelt).

subtext.at: Soll man auf sein Bauchgefühl hören in solchen Situationen oder doch lieber rational entscheiden?
Bosse: Es kommt darauf an. Oft muss man Entscheidungen treffen, die nichts zu bedeuten haben und nicht so elementar wichtig sind, dass die Zukunft in der ganzen Nachbarschaft davon abhängt. Wenn sich Leute in einem Restaurant überhaupt nicht entscheiden können, was sie bestellen möchten, dann wird das ja auch schon zum Problem, weil es sie im normalen Leben behindert. In dem Fall sollte man sich vielleicht auf sein Hungergefühl verlassen und nicht so viele Gedanken machen (lacht).

subtext.at: Bei den ganzen Möglichkeiten, die sich heutzutage einem bieten – wie behält man da den Überblick?
Bosse: (überlegt) Das Problem sind ja nicht die Möglichkeiten. Wenn man unzufrieden ist, guckt man sich die ganzen Möglichkeiten an und dann ist man eventuell überfordert. Dieses Problem habe ich nicht. Wenn ich mal zuhause bin und Fernweh bekomme, dann setze ich mich in den Zug und besuche mal meine Freunde in Berlin. Das ist dann aber auch totaler Luxus. Und das mache ich dann auch. Schlimm wäre es, wenn ich kein Geld hätte um nach Berlin zu fahren. Das ist dann das Problem: Man wird Bewegungsunfähig durch profane Sachen, die am Ende vielleicht wichtig sind. Dieses „Hätte, hätte, hätte, hätte“, da wird man ultraunglücklich. Manche Dinge kann man aus diversen Gründen nicht mehr wahrnehmen, sei es aus zeittechnischen Gründen, aus Überforderung oder Müdigkeit.

subtext.at: Psychologen sagen, dass wir uns bei Entscheidungen eher für das Vertraute entscheiden. Kennst du das von dir selbst?
Bosse: Beim der Musik freue ich mich, wenn ich neben dem Altbekannten eine neue Option habe. Da freue ich mich wirklich. Ich langweile mich aber auch ultraschnell von mir selber (lacht). Ich mache das schon lange, ich weiß, was ich kann und was ich nicht kann. Musik hat sehr viel mit Zufällen zu tun. Wenn ich da am Klavier sitze und drei Schritte weiter gehe, wo ich noch nie war, dann ist das für mich ein Riesenfest. Oder wenn jemand kommt, der meine Platte produziert und der musikalisch fitter als ich ist und etwas vorschlägt. Oder wenn dir jemand in der Türkei sagt: „Wusstest du, dass ich eine Freundin habe, die Kürbisgeige spielt?“ Wenn ich meine Gitarre dann gegen so etwas eine eine Kürbisgeige eintauschen kann, dann entscheide ich mich immer für das Neue (lacht).

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subtext.at: Weil du Türkei angesprochen hast – wie lange darf man das Leben einfach so laufen lassen und wann muss man einen radikalen Schnitt ziehen und vielleicht einen Ortswechsel vornehmen?
Bosse: (überlegt) Den Wohnort zu wechseln, diese Entscheidung hat meine Frau getroffen. Sie hat einen Kinofilm dort gedreht und musste Promo machen. Wir hatten dann die Möglichkeit, dass mein Kind und ich in Hamburg bleiben und meine Frau in Instanbul besuchen oder bevor mein Kind eingeschult wird, rüberzugehen und einfach dort zu sein. Für uns war das radikal, aber auf der anderen Seite überhaupt nicht. Wir haben eine neue Stadt, zumindest mein Kind und ich, für uns entdeckt. Wir haben nichts umgekrempelt. Ich glaube aber schon, dass wenn man eine zu hohe Anhäufung von unglücklichen Tagen hat, dann sollte man vielleicht eher überlegen, etwas umzukrempeln.

subtext.at: Manche Leute mögen bildlich gesprochen die Ruhe vor dem Sturm, manche die Phase danach. Wo siehst du dich?
Bosse: Stürme finde ich eigentlich immer eher positiv, wenn es um Musik geht. Das Gefühl vor einem Konzert, diese Ruhe und dieser letzte Schritt zur Bühne – tierisch. Eine Adrenalinbombe. Ich finde aber auch den Moment danach, wenn ich es überstanden habe, toll. Auf der anderen Seite aber auch doof, weil es schon wieder vorbei ist. Es hat ja auch immer etwas mit Ende zu tun.

subtext.at: Zum Schluss noch zwei Statements über dich, die ich in einem Forum im Internet gefunden habe. „Bosse ist ein Musiker, dem der ganz große Durchbruch bislang verwehrt geblieben ist“ heißt es da…
Bosse: Also wenn Durchbruch bedeutet, dass man dauernd in irgendwelchen Dulli-Fernsehshows ist und ganz viele Platten verkauft, dann ist mir das noch nicht gelungen. Es gibt ja auch diesen gesellschaftlichen Fame und den künstlerischen Durchbruch. Und es gibt noch andere Durchbrüche. Ich glaube, es ist eine Definitionssache. Ich habe am Anfang vor 30 Leuten gespielt und wenn ich jetzt in München vor 2800 Leuten auftrete und in Berlin vor 5000 Leuten, dann bin ich durchgebrochen. (überlegt) Wenn der Durchbruch bedeutet, dass jede verdammte Hausfrau in Deutschland, Österreich und Schweiz Bosse kennt, dann möchte ich das auch nicht. Es muss nicht sein.

subtext.at: Der zweite Satz lautet: „Bosse ist ein toller Künstler, der mit seinen Texten eine Generation anspricht, die sich nach einer besseren und heilen Welt sehnt.“ Wie lautet deine Meinung dazu?
Bosse: (überlegt) Oh, das ist OK. Ist doch super und in Ordnung, wenn sich eine Generation nach einer heilen und besseren Welt sehnt.

Kraniche

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Nina Stiller, Patrick Wamsganz, Universal Music
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