„The Lyons“: Sterben ist nicht die schlimmste Alternative

Nicky Silvers Stück ist seit dem 20. Februar im Linzer Phönix Theater zu sehen. Eine schwarze Komödie, welche ihren Fokus auf die Familie als eine Einheit der Gesellschaft richtet, ohne ihre Mitglieder auszurichten.

Ben Lyons´ (Clemens Aap Lindenberg) Krebs hat sich ausgebreitet, er könnte jeden Moment sterben. Seine Ehefrau Rita (Ingrid Höller) ruft daher die gemeinsamen Kinder Curtis (Felix Rank) und Lisa (Judith Richter) ins Krankenhaus, um sich vom Vater zu verabschieden. Die primäre Reaktion der Familie ist allerdings weniger Trauer als vielmehr, dass man dem Kranken mit Wut, Bitterkeit, gar Gleichgültigkeit begegnet: Rita beklagt sich über eine lange, lieblose Ehe und freut sich darauf, das Wohnzimmer neu einzurichten. Sohn Curtis hat aufgrund seiner Homosexualität und beruflichen Erfolglosigkeit Schwierigkeiten mit dem Vater. Tochter Lisa ist alleinerziehend und hat Probleme, ihren Alkoholkonsum zu kontrollieren. Doch anstatt dass es zu einer Versöhnung kommt, werden Lügen entlarvt: Die Vergangenheit wird nochmals aufgerollt, was man voneinander (nicht) hält kommt an die Oberfläche.

Der Tod Bens scheint erst der Anfang dieser Entwicklung zu sein: Curtis gibt dem Immobilienmakler Brian (David Fuchs) gegenüber zu, ihn gestalkt zu haben. Daraufhin wird er von diesem verprügelt und landet im Krankenhaus. In diesem trifft er abermals auf die Krankenschwester seines Vaters (Betty Schwarz) sowie auf Mutter und Schwester, die ihm mit ihren Plänen gegen die Einsamkeit und für die Suche nach Liebe voraus zu sein scheinen…
Nicky Silver (geboren 1960 in Philadelphia, weitere Stücke: „Fat Man in Skirts“, „The Altruists“, …) behandelt in „The Lyons“ Themen wie Homosexualität, Familienkonflikte, Alkoholismus, Krebsleiden und Gewalt mit Ironie und (auch Slapstick-) Humor, ohne dass diesen ihr ernster Hintergrund aberkannt wird. Dinge, welche in anderen Familien im Hinblick auf die gesellschaftliche Wünschbarkeit nur gedacht werden, werden hier direkt angesprochen: Das fängt damit an, dass das Enkelkind als zurückgeblieben vermutet und der Sohn als talentlos bezeichnet wird und endet schließlich darin, den Familienmitgliedern zu gestehen, sich über die Zukunft dieser keine Gedanken zu machen.

Jedoch erzeugt keiner der Charaktere reines Mitleid beim Zusehenden, jede/r ist Opfer und Täter/in zugleich: Bens Wutanfälle einschließlich derber Sprache sind bei dem Verhalten seiner Frau verständlich (oberflächliches Gerede, als dieser im Sterben liegt, ihre Ausdrücke der Verachtung,…), umgekehrt gibt er zu, dem Sohn Spielzeug und CDs entwendet zu haben, um ihn wegen einer Vermutung lieber vorzeitig zu Heterosexualität zu „bekehren“ oder wirft der Familie subtil an den Kopf, dass sie an seinem unglücklichen Leben Schuld hätten.
Bei Curtis sind hingegen ein erfundener Partner, aber vor allem das Stalken und Aufsuchen einer Person ein fragwürdiges Verhalten. Die Freundlichkeit des Angebotes, mit einem Agenten zu sprechen, wird durch die darauf folgende Aufdringlichkeit (Fragen nach dem Sexualleben etc. bei einem ersten Treffen) und (mögliche) Hintergedanken, die teilweise vom Gegenüber unterstellt, aber in anderer Form tatsächlich vorhanden sind, zu einer Illusion.
Der Ärger und die Skepsis von Brian sind nachvollziehbar – weniger, dass er deshalb Gewalt anwendet. Lisa ist zwar ein Opfer häuslicher Gewalt, denkt nach ihrer Trennung aber wieder über einen Neustart nach. Nur wirken ihre Meinungen flatterhaft: Sie zeigt sich verzweifelt, als die Mutter ihr einen möglichen neuen Partner ausspannt. Währenddessen kümmert sie sich um jemanden im Krankenhaus, weshalb der Bitte, länger beim Bruder zu bleiben, nicht nachgegeben wird.
Die Krankenschwester ist einerseits fürsorglich, andererseits dominant in ihrem Auftreten, wenn ein Patient das Essen ablehnt.
Rita erzeugt als fröhliche Witwe wohl am wenigsten Mitgefühl: Sie behält das Erbe für sich und verreist mit ihrem Liebhaber. Auf der anderen Seite scheint es, dass sie sich bis zu diesem Zeitpunkt – eher aus Pflichtgefühl als aus emotionalen Gründen – um Belangen der Familienmitglieder gekümmert hat. Nun geht ihr eigenes Leben weiter: „Sterben ist nicht so schlimm. Nicht wenn man die Alternative bedenkt“.

Genau diese Ehrlichkeit und den Verzicht auf Schwarz-weiß-Malerei braucht es, um durch die Palette an negativen Themen nicht komplett bedrückt zu werden. Des Weiteren fügt sich das Lied „Que sera“ (Sir Henry) adäquat zum Inhalt ein, wobei die Unsicherheit über die Zukunft im Stück zusätzlich zu einer gewissen Gleichgültigkeit der Zukunft anderer gegenüber wird.

Schade ist einzig, dass die Charaktere kaum eine Entwicklung durchmachen. Das könnte zwar mit dem Genre der Komödie zusammenhängen, dennoch ist einzuwerfen, dass sich diese durch die Themenwahl und den Einsatz von Ironie angeboten hätte.

„The Lyons“ wurde 2011 uraufgeführt, die deutschsprachige Erstaufführung wurde von Hakon Hirzenberger im Phönix Theater inszeniert. Die nächsten Vorstellungstermine sind der 26. bis 28.2,  jeweils um 19.30 Uhr.

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/