AGAINST ME!: „Wir haben keine Ambitionen, uns zu politischen Figuren hochstilisieren zu lassen“

Lebe dein Leben so, wie du es willst. Stelle dich deinen Konflikten. Kehre dem Kapitalismus den Rücken. Die Punk-Szene ist seit jeher eine, die provoziert und polarisiert. Bands und Musiker befinden sich dabei ständig im Kreuzverhör. Das alte Spiel: Kaum ist der Erfolg spürbar, wenden sich viele ab. Dass Erfolg nicht gleich Ausverkauf bedeuten muss, beweisen die Punk-Rocker von Against Me!. Mit dem medial enorm beachteten Album „New Wave“, 2007 erschienen, konnte sich die Band von Sänger Tom Gabel einem breiten Publikum präsentieren.

Seit dem geht es steil aufwärts. Viel Lob von Seiten der Kritiker, auch für das letzte Studiowerk „White Crosses“, ausverkaufte Konzerte und enormer Zuspruch. Die andere Seite der Medaille: Fans der ersten Stunde fühlen sich verraten. Muss man darauf Rücksicht geben?

Im Interview mit subtext.at gibt Gabel Aufschluss darüber, wie man an seinem Selbstvertrauen arbeitet, warum Twitter und Facebook die neuen Mittelsmänner der Szene sind, und weshalb es nicht gut ist, ständig missgelaunt zu sein. Die Antworten schießen während des Gespräches nur so aus ihm heraus. Viel Nachdenken ist nicht.

subtext.at: Tom, lebst du deinen Traum?
Tom Gabel: Ich tue zumindest das, was ich schon immer machen wollte. Mit acht Jahren habe ich angefangen, Gitarre zu spielen. Seitdem möchte ich eigentlich nichts anderes mit meinem Leben anfangen (lacht).

subtext.at: Bist du in die Rolle des Frontmannes hineingewachsen oder hast du dich immer wohl gefühlt?
Tom Gabel: Über die Jahre wächst dein Selbstvertrauen und du fühlst dich in der Rolle wohler. Am Anfang imitierst du vielleicht noch Leute nach, die du bewunderst, aber nachher entwickelt sich alles ganz natürlich. Du willst etwas Originäres auf die Beine stellen. Ist zumindest meine Sicht der Dinge.

subtext.at: Wie definierst du momentan den Erfolg für die Band?
Tom Gabel: Im Moment sind wir eigentlich ganz froh darüber, dass wir als Gruppe weitermachen können. Wir fragen uns dann immer „War die letzte Show, die wir gespielt haben, ein Erfolg? Waren viele Leute da, war die Stimmung gut? Ist die Tour insgesamt gut gelaufen für uns? Gab es irgendwelche Zwischenfälle? Können wir eine weitere Platte machen? Können wir sie fertigstellen?“ Wir planen nicht weit in die Zukunft, sondern wollen unmittelbar Dinge erreichen.

subtext.at: Ich habe bei euch den Eindruck, dass ihr euch zuerst selbst zufriedenstellen möchtet und erst später an die Erwartungen der Fans oder der Plattenfirma denkt – wenn überhaupt.
Tom Gabel: Das stimmt, aber nur so kannst du selbst glücklich bleiben. Wenn du dich auf die Bühne stellst, nur um die Erwartungen anderer Leute zu erfüllen, dann wirst du ganz schnell ganz schön alt und unzufrieden werden.

subtext.at: Eure Zusammenarbeit mit dem Plattenriesen Warner ist beendet. War keine große Sache für euch, ein Majorlabel zu verlassen, oder?
Tom Gabel: Nicht wirklich. In den USA haben sie vor ca. einem Jahr nahezu jeden gefeuert, den wir kannten. Die, mit denen wir dort zusammengearbeitet haben, waren auf einmal nicht mehr da. Wir wussten, dass wir da nicht länger bleiben können. Sie haben uns dann gehen lassen.

subtext.at: Ihr habt sehr enthusiastische Fans. Wie gehen die damit um, wenn ihr euren Sound ein Stück weit verändert? Gehen Against Me! aus deiner Sicht Risiken ein, was dieses Thema anbelangt?
Tom Gabel: Sicher, aber viele sind sich über die Einzelheiten gar nicht klar. Ein Beispiel: Als wir unser erstes Album aufgenommen haben, hatten wir gerade einmal einen Tag im Studio. Elf Songs und den Mix haben wir in 24 Stunden fertiggestellt (lacht). Das Ergebnis klingt dann auch dementsprechend. Beim zweiten Mal hatten wir dann 8, 9 Tage, beim dritten Mal einen Monat, beim vierten Mal drei Monate… Je öfter du ein Album machst und aufnimmst, umso erfahrener wirst du auch. Du weißt mehr im Studio und kannst mehr umsetzen, eine ganz natürliche Sache. Du kommst stets dem Klang näher, den du in deiner Vorstellung hast. Es kommt oft vor, dass die Fans nicht darüber nachdenken. Sie verstehen nicht, dass es ganz simple Gründe dafür gibt, dass ein Album besser klingt als das andere oder sich verändert. Es hat weniger mit den äußeren Einflüssen zu tun als mit uns selbst. Wir verwenden unterschiedliche Mikrophone, Gitarren und Amps, solche Sachen.

subtext.at: Würdest du bestimmte Details verändern, wenn du in die Zeit zurückreisen könntest?
Tom Gabel: Du meinst, was Platten angeht? Sicher (lacht). Wir als Band haben eine ganz andere Sicht zu den Dingen wie die Fans, was sowieso klar sein dürfte. Wir hören die fehlerhaften Details heraus und wenn ich mir jetzt ein früheres Album aus unseren Anfangstagen anhöre… Da klingt so manche Snare-Drum wirklich grauenhaft (lacht)! Wie gern würden wir da in die Zeit zurückspringen und das verbessern. Wenn das möglich wäre, würden wir wohl mehr ändern. Einige seltsame Gitarrentöne und auch die Texte, die mir manchmal ein bisschen dubios vorkommen (lacht). Was soll man machen, es gehört alles zum Lernprozess eines Musikers dazu.

subtext.at: Wenn ihr so sehr auf die Details achtet, fällt es euch dann leicht, eine Platte herauszubringen und sie den Urteilen der Fans und Kritiker auszusetzen?
Tom Gabel:
Die letzten Male ist es uns eigentlich ziemlich leicht gefallen. Wenn du deine Songs 1000 Mal anhörst, dann willst du endlich, dass sie veröffentlicht werden, bevor du verrückt wirst (lacht).

subtext.at: Findest du, dass die Musik von Against Me! mit Botschaften gespickt ist?
Tom Gabel: Ja und nein. Natürlich gibt es in jedem Song etwas, das mir persönlich am Herzen liegt und das ich aussagen möchte, aber die Leute interpretieren vieles auch für sich. Wir haben keine Ambitionen, uns zu politischen Figuren hochstilisieren zu lassen. Klar, wir haben politische Botschaften in unseren Texten, aber das ist nur eine Facette von vielen. Ich möchte sie nicht jemandem aufzwingen, es ist schließlich meine Sicht der Dinge. Wenn sich Leute davon angesprochen fühlen, dann ist das fein.

subtext.at: Ihr verbindet politische Aussagen mir Herzensangelegenheiten. Ist das in Ordnung für dich?
Tom Gabel: Ja, das klingt gut (lacht).

subtext.at: Bist du zufrieden mit eurem derzeitigen Status?
Tom Gabel: Nein, aber ich bin auch nie mit irgendetwas wirklich zufrieden (lacht). Ich möchte nicht selbstgefällig erscheinen. Ich denke immer an die nächste Sache, den nächsten Schritt, den es zu bewältigen gibt.

subtext.at: Hört sich nach permanenter Arbeit an…
Tom Gabel: Das tut es (lacht)!

subtext.at: Wie sieht generell eurer Arbeitsprozess aus?
Tom Gabel: Zuerst machen wir Demos, bevor es weitergeht. Ich schreibe am Anfang auch die Texte. Dann bilde ich die Melodien um die Texte, um eine Struktur zu bekommen. Anschließend setzt sich die Band zusammen, um all die anderen Teile zusammenzuschreiben.

subtext.at: Du bist wohl der erste Musiker, der mir erzählt, dass zuerst die Texte entstehen und anschließend die Musik.
Tom Gabel: Du kannst nur bestimmte Akkorde haben. Du versuchst also, die passenden Wörter in die Akkordfolgen zu bringen. Umgekehrt ist es für mich interessanter und herausfordernder.

subtext.at: Eure vorletzte Veröffentlichung „New Wave“ schient bestimmte Barrieren niederzureißen und euren Punk-Background zu erweitern.
Tom Gabel: Das passiert meistens zwischen zwei Platten. Zwei, drei Jahre liegen dazwischen, da ist es ganz natürlich, dass sich die Zeiten ändern und andere Einflüsse ihren Weg finden. Es stimmt, dass „New Wave“ für uns den nächsten, größeren Schritt markiert hat. Da hat auch die Zusammenarbeit mit den Produzenten am besten funktioniert und wir hatten genug Zeit, unsere Vorstellungen umzusetzen. Auch bei „White Crosses“, unserem letzten Album, hat das bestens geklappt. Es war für uns an der Zeit, diesen Schritt zu machen.

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subtext.at: Produzent war Butch Vig, der vor allem wegen seiner Arbeit mit Nirvana berühmt ist. Wie lief die Zusammenarbeit?
Tom Gabel: Es war unglaublich. Es hat sich herausgestellt, dass er für uns die perfekte Wahl ist. Es ist schwierig, jemanden in die Band zu lassen, einen Außenstehenden. Einen, der dich kritisiert, und dieses oder jenes ändern möchte. Die erste Reaktion, die es in dir auslöst: „Fuck you!“ (lacht). Bei Butch war es nicht so, es lief hervorragend, wir konnten ihm vertrauen.

subtext.at: Da muss man wohl offen an die Sache herangehen.
Tom Gabel: Mit Sicherheit. Ich denke auch, dass man sich nicht davor fürchten sollte, Neues auszuprobieren. Du wirst nie wissen, ob du etwas Bestimmtes magst oder nicht, bevor du es nicht probierst.

subtext.at: Bist du jemand, der an neuen Studiotechniken und Veröffentlichungsweisen interessiert ist?
Tom Gabel: Wenn es um die Aufnahmen geht, dann bin ich kein Vintage-Purist. Es müssen keine analog aufgenommenen Songs sein. Ich bin ganz offen, was das angeht. Was die Veröffentlichung der Alben angeht denke ich, dass es immer Personen geben wird, die Vinyl oder CDs kaufen werden, die es in der physikalischen Form besitzen möchten. Auf eine digitale Veröffentlichung kannst du heute aber auch nicht mehr verzichten, wenn du möglichst viele Leute erreichen willst. Die ganze Maschinerie hat sich dahingegen gewandelt, dass der Mittelsmann nicht mehr nötig ist. Twitter, Facebook und sämtliche sozialen Portale ersetzen den Mittelsmann. Ich will nicht sagen, dass ich kein Fan von Musikmagazinen bin, aber in der Vergangenheit hast du dich auf sie beziehen müssen, es gab ja sonst nicht viel. Sie haben die Verbindung zwischen Musiker und Fan hergestellt. Jetzt braucht es das nicht mehr. 15 000 Leute folgen mir auf Twitter. Wenn ich etwas sagen möchte, dann mache ich es dort. Wenn sie mir eine Frage stellen, kann ich sie direkt beantworten. Es gibt keinen Gatekeeper mehr (lacht).

subtext.at: Viele Musiker haben Angst davor, sich zu wiederholen.
Tom Gabel: Dieses Gefühl kenne ich auch. Manchmal denke ich, dass ich stets die gleichen Akkordfolgen verwende und über dieselben Dinge schreibe. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich über eine bestimmte Sache alles gesagt habe, dann möchte ich das nicht noch einmal aufnehmen, dieses Thema. Jedes Mal, wenn du einen neuen Song schreibst, denkst du dir „Oh Mann, der ist total scheiße. Ich werde nie wieder einen guten Song hinbekommen und mir fällt auch kein Thema mehr ein, über das ich schreiben könnte“ (lacht). Nach all den Zerwürfnissen machst du aber weiter, und am Ende hast du doch etwas, was dich zufriedenstellt. Diese Angst ist aber immer da (lacht).

subtext.at: Du hast doch zu Beginn des Interviews gemeint, dass du dich jetzt selbstbewusster fühlst. Wie passt das zusammen?
Tom Gabel: Sicher, aber du wägst immer ab. Du weißt, dass es gut ist, aber trotzdem machst du dir deine Gedanken (lacht). Ergibt das Sinn?

subtext.at: Lernt man das Leben erst dann richtig schätzen, wenn man um den Verlust weiß und Krisen überwunden hat?
Tom Gabel: Ich habe mir das auch mal gedacht, dass ich als Sänger allerhand durchmachen muss, um darüber zu schreiben. Über was soll ich schreiben, wenn alles im Lot ist? Ich habe dann irgendwann eingesehen, dass es unmöglich ist, sich dauernd wegen irgendetwas schlecht zu fühlen. Das macht dich nur krank und verrückt (lacht).

against-me-cover

subtext.at: Nach „White Crosses“ stehen euch jetzt alle Türen offen.
Tom Gabel: Ja und nein. Was die Aufnahmen angeht, haben wir damit bestimmt einen neuen Standard erreicht. Ich glaube nicht, dass wir jemals eine komplettere Platte machen werden als „White Crosses“, weil da aus meiner Sicht jeder Ton an der richten Stelle ist. Perfekter geht es nicht.

subtext.at: Trotzdem habt ihr das Album mit Bonusmaterial unter den Namen „Black Crosses“ erneut veröffentlicht. Ist es jetzt perfekter als davor?
Tom Gabel: Das hat sich so ergeben. Wir haben ja Warner verlassen und später unser eigenes Label gegründet. Wir wussten, dass untere alte Plattenfirma unser Album nicht mehr unterstützen würde, deshalb haben wir Demos und akustische Varianten des Materials draufgepackt und das Album als „Black Crosses“ erneut herausgebracht, damit die Fans auch etwas davon haben. Wir haben zwei Jahre an der Platte gearbeitet, es wäre schade gewesen, wenn es einfach so untergegangen wäre.

Black_Crosses

subtext.at: Deine Pläne für die Zukunft?
Tom Gabel: Ein weiteres Album (lacht). Ich habe mir jetzt ein eigenes Studio eingerichtet, da werden wir es aufnehmen.

subtext.at: Werdet ihr Butch einladen, euch im Studio zu besuchen?
Tom Gabel: Sicher, wenn er Zeit hat (lacht).

Links & Webtips:
againstme.net
facebook.com/AgainstMe

twitter.com/tommygabel

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