PJ HARVEY: Die Vermessung der Welt

Auf ihrem neunten Album vermisst Polly Jean Harvey als besonnene Globetrotterin ein Stück weit die Welt. Ambitioniert? Gewiss. Prätentiös? Bisweilen. Dieser Polit-Pop-Entwurf will alles und noch ein bisschen mehr. Lieder über Länder und was es mit den Leuten macht. „The Hope Six Demolition Project“ ist ein starkes Manifest ohne die Seligkeit einer heilen Welt im Gepäck.

Seit über zwei Jahrzehnten verweigert sich PJ Harvey konsequent jeglicher Art von Kompromiss, in musikalischer wie inhaltlicher Hinsicht. Ihre letzte Platte „Let England Shake“ dokumentierte gleichzeitig Harveys Aufstieg zum Kritiker-Darling und porträtierte sie als starke Heldin, die Brüche für ihre Kunst nach wie vor gerne in Kauf nimmt. Neu ist: Der Blick wird nach außen, nicht mehr nach innen gerichtet und das Aufnahmestudio wird kurzerhand zur frei zugänglichen Kunst-Installation umfunktioniert, wenn Begriffe wie Korruption, Krieg, Wandel und Heimat auf der Agenda stehen. Die 46-Jährige lässt vielfältige globale Einflüsse zu, überschreitet Grenzen mühelos. Harvey will seit geraumer Zeit nicht mehr in der Indie-Nische operieren. Sprünge über den eigenen Tellerrand sind ausnahmslos erwünscht. Eingerahmt von sprachmächtigen Alltagserkundungen, subsumiert sich auf „The Hope Six Demolition Project“ das Weltgeschehen von den Vereinigten Staaten, über den Balkan bis nach Afghanistan.

Mit knorrigem Indie-Rock, bluesgrundiertem Folk und scheppernd-melodischem Lo-Fi im kritischen Diskurs, wagt sich „The Hope Six Demolition Project“ nicht nur mit Wappen-Cover und dessen Symbolik in die Gehörgänge. Dieses Album sucht den Reiz im Unfertigen. Manche Songs brauchen länger, um an den Punkt zu kommen oder erreichen ihn nie wirklich. Harvey agiert stets aus ihrem Instinkt heraus, was der Platte anzuhören ist. Gewieft, wie sie und Fotograf Seamus Murphy den Journalisten Paul Schwartzman von der Washington Post an der Nase herumführten und ihm brisante Details über Washington D.C. fürs Songwriting entlockten.

Diese Platte ist ein erneuter Ausflug in ein wild pulsierendes Kopfkino mit Songs, die sich im Schwebezustand zwischen Annäherung und Abstraktion befinden. Mal streifen sie durch Geräuscheparks der Kindheit („The Wheel“), dann sind es soziokulturelle Referenzen in den Texten („River Anacostia“) oder Saxofone, die sich neuerdings in den Mittelpunkt drängeln. „The Ministry Of Defence“, von dramatischen Pausen durchzogen, lässt einen gar zusammenzucken.

Es sind die Randgruppen der Gesellschaft, die Harveys Interesse geweckt haben. Sie singt über die „Community Of Hope“, die hoffnugslos vor einem Verwertungs- und Vertreibungsprogramm stehen. „The Hope Six Demolotion Project“ zeigt einmal mehr auf unverwechselbare Sicht der Dinge und die passt in Zeichen von Völkerwanderung, Rechtsruck und Finanzkapitalismus gut in die Realität. Ein Treibenlassen und Getriebenwerden, wenn die Kluft zwischen Arm und Reich stetig wächst und Konsumüberdruss und Opportunismus auf der Tagesordnung stehen. Polly Jean, wir brauchen sie nach wie vor.

Cover

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