LISA SIMONE: „Erwarte das Unerwartete“

Die Sprösslinge berühmter Eltern haben es für gewöhnlich schwer, in der gleichen Branche Bestätigung zu finden, in der ihre Eltern Lorbeeren geerntet haben. Lisa Simone – Tochter von Soul- und Jazzlegende Nina Simone – bildet hier keine Ausnahme. Als Lisa ein Teenager war und als Sängerin aktiv werden wollte, dauerte es sieben lange Jahre, bis beide Elternteile davon überzeugt waren, dem Vorhaben zuzustimmen.

Die 53-Jährige, die seit geraumer Zeit in Paris lebt, hat etliche berufliche wie persönliche Wandlungen, etwa Verpflichtungen für die U.S. Air-Force, durchlebt und erst mit stolzen 50 Jahren ihre erste Soloplatte veröffentlicht. Ein Interview mit einer herzenswarmen Lisa Simone über Spiritualität, Utopien und Wandlungen.

©Alexandre Lacombesubtext.at: Lisa, du bist schon lange in der Musikwelt tätig, hast am Broadway gespielt und warst in Bands aktiv. Umso mehr war ich überrascht, dass dein aktuelles Werk „My World“ erst dein zweites Studioalbum ist.
Lisa Simone: Ich weiß. Glaub mir, mich hat es auch überrascht (lacht). Ich musste als Person erst wachsen, um Alben aufnehmen zu können. Ich habe viel über mich selbst lernen müssen und was es heißt, Geduld zu haben. Ich habe mich wie eine Schlange häuten müssen, um zu mir selbst zu finden. Ich musste Platz schaffen, um das überhaupt singen zu können, was in mir vorgeht. Einen Platz der Klarheit, der keine Einengung und keine Ablenkung zulässt. (überlegt) Vor 25 Jahren habe ich gebetet und dabei war mir klar, ich möchte meinen Lebensunterhalt mit dem Singen verdienen. Ich wollte Leute positiv beeinflussen und inspirieren, durch das, was ich selbst in meinem Leben erlebt habe, was mir selbst widerfahren ist. 20 Jahre habe ich dafür gebraucht, um mir dessen bewusst zu sein.

subtext.at: Die Zeit ist also erst jetzt reif, im Mittelpunkt zu stehen und Selbstbewusstsein auszustrahlen?
Lisa Simone: Selbstbewusst war ich eigentlich schon immer. Wie jeder andere auch, habe ich auch meine Dämonen mit mir geschleppt. Wie gesagt, ich musste mich häuten, Schmerz, Wut und Leid hinter mir lassen, um zu meinem Inneren durchzudringen. Vor 4 Jahren war ich mir im Klaren, dass ich nicht so weitermachen will wie bisher. Ich habe die nachfolgenden Jahre darauf dazu verwendet, meine Spiritualität zu erforschen. Das hat mir es erst ermöglicht, eine Basis zu haben, von der aus ich Songs schreiben und mit der Welt teilen kann. Ja, die Zeit ist reif. Ich bin bereit. Wenn ich Konzerte spiele, sehe ich am Ende die Leute, wie sie ein Lächeln auf ihren Lippen haben. Sie sind froh und fröhlich und sie bedanken sich bei mir. Ich habe begriffen, dass ich durch meine Musik mit den Leuten in Kontakt treten kann. Es gibt eine bestimmte Verbindung, die allgegenwärtig ist. Das ist sehr bewegend.

subtext.at: Bist du der Meinung, dass einem guten Dinge widerfahren, wenn man wartet und darauf behaart?
Lisa Simone: Jetzt packst du im Interview diese alten Kamellen aus (lacht). Dem muss ich wohl trotzdem zustimmen. Geduld, Glaube, Beharrlichkeit, Hingabe, Weitblick sind alles Dinge, die mir wichtig sind. Mein Song „Hold On“ spielt auf dieses Thema an. Selbst, wenn du innerlich blutest und der Druck zu viel wird, halte durch. Es sind höhere Mächte am Werk, die uns leiten. Oft sind wir Menschen so sehr damit beschäftigt, unser Ziel zu erreichen, dass wir uns gar nicht dessen bewusst sind, was wir alles anstellen und auf uns nehmen müssen, um von A nach B zu gelangen.

By Alexandre Lacombe

subtext.at: Oft läuft ein Plan auch nicht gerade nach einem geraden Muster ab, sondern im Zickzack.
Lisa Simone: Genau. Mein Leben, alles andere als geradlinig (lächelt)! Man muss oft mit dem Unerwarteten zurecht kommen im Leben. Erwarte das Unerwartete. Man wird zu einem Hansdampf in allen Gassen, zu einem umtriebigen Tausendsassa. Du erlernst viele Dinge, am Ende jedoch beherrscht du nichts Konkretes. Also ja, gute Dinge passieren einem, wenn man auf sie wartet.

subtext.at: Geduld ist sowieso nicht jedermanns Stärke.
Lisa Simone: Das kannst du laut sagen! Geduld, was ich da nicht alles habe lernen müssen über mich. Es ist immer noch ein weites Feld und ich bin weiterhin dabei, mich zu verbessern (lacht lauthals)!

subtext.at: Wann hast du eigentlich gewusst, dass du Sängerin werden möchtest? Gab es einen bestimmten Zeitpunkt, wo du festgestellt hast, dass dir Talent in die Wiege gelegt worden ist?
Lisa Simone: (überlegt) Als ich 15 Jahre alt war, habe ich das erste Mal vorgesungen, in einer Kirche. Ich habe in einer Gospelgruppe angefangen. Für mich war das etwas, was sich völlig natürlich angefühlt hat. Mit 17, als professionelle Musiker mich für Projekte engagieren wollten, hörte ich nur: „Nein, nein, du wirst nicht diese Art von Leben führen.“ Ich begrub also erst mal die Vorstellung, Sängerin zu sein – bis zu meinem 28. Lebensjahr und einem Glas Rotwein (lacht). Singen ist für mich wie Atmen. Ich mache es einfach, ich denke nicht darüber nach. Ab dem Zeitpunkt habe ich angefangen, mich ernsthafter mit der Sache auseinanderzusetzen. Auch, weil mich Leute in meiner Umgebung dazu motiviert und mich in dem Vorhaben bestärkt haben. Es ist eben doch wichtig, auf dein Herz zu hören, um nicht früher oder später Dinge bereuen zu müssen, die man sie nicht in die Tat umgesetzt hat.

 

subtext.at: Deine Familie hat dich also nicht unterstützt?
Lisa Simone: Nein. Das kam erst viel später. Mein Verhältnis zur Musik hat sich über die Jahre stark verändert. Meine Mutter aber auch mein Vater hatten wiederum ein anderes Verständnis dafür. Meine Mutter wurde in ihrer Karriere stets gedrängt und gepusht, die Träume anderer zu erfüllen, seitdem sie 5, 6 Jahre alt war. Sie hatte gar nicht die Option, es nicht zu tun. Mit 28 Jahren stand sie mir aber nicht mehr im Wege und 7 Jahre später, als ich am Broadway aufgetreten bin, sagte sie endgültig zu mir: „Du kannst ja wirklich singen“. Es war nicht so, dass sie nicht an mein Talent geglaubt hat, sondern sie wollte nicht, dass ich mit den negativen Dingen in Berührung komme, die sie während ihrer Karriere erleben musste.

subtext.at: So etwas verbucht man wohl unter Beschützerinstinkt.
Lisa Simone: Natürlich. Meine Mutter hat all meine Shows gesehen. Sie wollte mich beschützen, ich war ihr Baby, und gleichzeitig war sie total aus dem Häuschen, wenn sie mich auf der Bühne gesehen hat (lacht).

©Alexandre Lacombe

subtext.at: Welchen Vergleich ziehst du, wenn du dann im Studio bist und nicht auf der Bühne? Gibt es auch Gemeinsamkeiten?
Lisa Simone: Nun, ich habe das Album mit meiner Band live eingespielt. Wenn du auf der Bühne stehst, ist das Erlebnis dennoch ein anderes. Wenn ich auf die Bühne gehe, existiert für mich nichts anderes. Es ist ein Mysterium. Manchmal bin ich so sehr drin, in dem Moment, dass ich mich an bestimmte Begebenheiten gar nicht mehr erinnere. Es gibt Dinge, die ich gerne sage und dem Publikum mitteile, aber ich weiß nicht, zu welchem Zeitpunkt. Ich entscheide frei und nach Gefühl. Elektrizität ist in der Luft und ich weiß, wie sich das anfühlt. (überlegt) Es ist meine Berufung. Ich habe keine Angst oder Furcht, wenn ich auf der Bühne bin. Ich bin dazu in der Lage, eine Verbindung mit dem Publikum entstehen zu lassen. Ich bin sehr dankbar darüber, weil ich mir im Klaren bin, dass es nicht selbstverständlich ist.

subtext.at: Deine Musik strahlt das auch auf mich aus, weil du als Person es auch ausstrahlst, diese gewisse Spiritualität.
Lisa Simone: (lächelt und klatscht mit den Händen).

subtext.at: Was bedeutet generell Spiritualität für dich?
Lisa Simone: Kennst du das Cover meines ersten Albums?

subtext.at: Ja. Es zeigt deinen Rücken voller Tattoos.
Lisa Simone: Genau. Bei diesen Tattoos handelt es sich um die tibetischen Chakren, die Mantras repräsentieren, die ich befolge. Jedes steht für eine andere Symbolik, jedes Chakra besitzt eine andere Farbe. Nach zwei Monaten, nachdem ich mit den Mantras angefangen habe, ließ ich mir diese Tattoos stechen. Diese Symbole sind für mich wichtig, weil sie für meinen positiven Wandel verantwortlich sind. Sie sind meine Basis, deswegen sind sie auch auf meiner Wirbelsäule verewigt. Spiritualität bedeutet für mich, wie ich mein Leben lebe, wie ich voranschreite. Es definiert meine Stärke und steht für die Person, die ich nun mal bin. Durch sie bin ich quasi wiedergeboren worden.

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subtext.at: Wie stark bist du dann von deiner unmittelbaren Umgebung beeinflusst, wenn du Musik schreibst? Ich weiß nicht, wo du am kreativsten bist, daheim, draußen, in der Natur…
Lisa Simone: Nun, „Ode To Joe“ und „This Place“ sind am Piano meiner Mutter entstanden. Ich lebe mittlerweile in dem Haus, in dem sie verstorben ist. „My World“ ist beispielsweise während einer Meditationsübung entstanden, weil mir ein Brief in den Sinn kam, den ich von meinem Mann erhalten habe. Es ging darum, mir meine perfekte Welt vorzustellen und so kam mit der Song in den Sinn. Die Melodie, der Text, alles. Als Nächstes habe ich dann nach einem Aufnahmegerät mit vollen Batterien gesucht (lacht). Eine Stunde später ging ich ins Studio und der Song war fertig. Es kommt drauf an. Jeder Song hat seine eigene Geschichte, seinen Ursprung. „Tragique Beauty“ habe ich einen Abend vor dem Tod meiner Mutter geschrieben. Der Prozess ist an sich sehr oldschool. (überlegt) Ich habe nie draußen in der Natur geschrieben. Eine gute Idee für die Zukunft (lächelt). Heute habe ich einen Text im Flugzeug geschrieben. Ich habe an ein Gespräch mit meiner Tochter gedacht. Die meisten Ideen kommen einem aber dann, wenn man schlafen gehen möchte (lacht). Ich sage dann immer: „C’mon, nicht jetzt!“

subtext.at: Du hast es schon angesprochen mit dem Song „My World“ – denkst du, dass eine perfekte Welt, ein Utopia auf Erden, irgendwann möglich sein wird?
Lisa Simone: Dieser Song ist mir sprichwörtlich zugeflogen. Manche wird er berühren, manche nicht. (überlegt) Für mich ist er herzerweichend. An ein Utopia habe ich nicht wirklich gedacht, aber wer weiß, eines Tages? Es ist auch etwas, dass die Leute, die Erwachsenen, für unrealistisch halten, vor allem die Vorstellung davon. Kinder haben noch ihre Vorstellungskraft, wir Erwachsenen leider nicht. Wenn ich den Songs abends singe, dann setzte ich mich auf die Bühne, und schaue in die Gesichter der Leute. Allein die Vorstellung einer heilen Welt setzt Dinge in Kraft. Davon bin ich überzeugt. Wir können eine ganze Menge von unseren Kindern lernen.

subtext.at: Heilung durch Schmerz und Leid, glaubst du daran?
Lisa Simone: Definitiv. Die Geburt eines Kindes (lacht lauthals)! Bei der Geburt wirst du so viel Liebe verspüren wie nie zuvor. Mein Song „Unconditionaly“ handelt darüber. Du wirst so verwundbar und schmerzerfüllt sein, aber am Ende des Tages so viel reicher an Wissen, Stärke und Größe. Wenn du dir deine Notizen gemacht hast, muss du hoffentlich nicht noch mal da durch (lacht).

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Foto: Alexandre Lecombe

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