ANOUSHKA SHANKAR: „Ich verbinde das Traditionelle mit der Moderne“

Es sind große Fußstapfen, in die Anoushka Shankar seit Beginn ihrer Karriere treten muss. Die Tochter des ruhmreichen Komponisten und Musikers Ravi Shankar und Halbschwester von Jazz-Ikone Norah Jones, hat bereits im Alter von 8 Jahren damit begonnen, zu musizieren. Jetzt, viele Jahre und einige Veröffentlichung später, sitzt sie weiterhin zwischen zwei Stühlen, wie sie im Gespräch verrät.

Einerseits ist da das Traditionelle, mit dem sie vor allem in ihrer Heimat Indien unweigerlich in Verbindung gebracht wird, andererseits will die 35-jährige Sitarspielerin auf moderne Einflüssen innerhalb ihrer Instrumentalmusik nicht verzichten, wie es auf dem aktuellen Album „Land Of Gold“ zu hören ist. Ein Interview mit Anoushka Shankar über Weltbürgertum, Einflüsse und den Nobelpreis.

© Jamie-James Medina

subtext.at: Anoushka, sollten Künstler mehr Platz einräumen für Gesellschaftskritik innerhalb ihrer Kunst?
Anoushka Shankar: Das kommt auf die jeweilige Person an, den jeweiligen Künstler oder die jeweilige Künstlerin. Man kann nicht alle Leute über einen Kamm scheren, dafür sind wir alle und unsere Persönlichkeiten viel zu verschieden. Ich teile aber die Meinung, dass Künstler die Leute erreichen können, auf natürlichste Art und Weise, was toll ist. Das ist eine tolle Sache, wenn einem das gelingt. Für mich geht das aber noch weiter, denn ich bin der Meinung, dass wir als Personen und Bürger die Verantwortung haben, unsere Stimme zu erheben. Erhebe deine Stimme, nütze sie, gegen Ungerechtigkeit, gegen Missstände, ganz egal, ob Künstler oder nicht. Das ist viel wichtiger für mich.

subtext.at: Haben Künstler dann auch eine Verantwortung gegenüber ihrem Publikum?
Anoushka Shankar: Das ist eine knifflige Frage. Welche Erwartungen hat ein Publikum an einen Künstler? Viele Meinungen, viele Perspektiven, viele unterschiedliche Erwartungen. Weißt du, worauf ich hinaus möchte? Nehmen wir mich als Beispiel. Manche möchten, dass ich das musikalische Vermächtnis meines Vaters verwalte, diesem Stil treu bleibe und die indische Tradition am Leben erhalte. Andere meinen, dass ich mich selbst beweisen müsste und meine eigene Kreativität auslosten sollte, Grenzen sprengen sollte, weil ich einen multikulturellen Background habe. Welchen Weg soll ich einschlagen, auf wen soll ich hören, welche Karriere verfolgen? Das einzige, was ich als Künstlerin machen kann in dem Fall, ist, ich kann nur für mich sprechen, wahrhaftig und ehrlich zu mir selbst zu sein. Aus dieser Vollkommenheit möchte ich Musik machen. Das Publikum kommt dann danach auf einen zu und setzt sich mit dem auseinander, was mich beschäftigt, was ich sage und fühle. Künstler müssen auf sich selbst hören und erst dann stellt sich die Publikumsfrage. Das ist der einzige Weg, um etwas Wahrhaftiges zu erhalten.

subtext.at: Das Publikum merkt also den Unterschied und lässt sich nicht täuschen und reinlegen?
Anoushka Shankar: Ja, genau. Das denke ich wirklich. Natürlich wird nicht jede Person das lieben, was du tust. Wenn ich Musik höre, dann halte ich auch nach dem höchsten Punkt Ausschau, den ein Künstler erreichen kann. Ich suche nach der Leidenschaft, die nur aus der Tiefe der eigenen Seele kommen kann. Das will ich sehen und spüren, auch bei anderen.

Cover

subtext.at: Im „Land Of Gold“-Booklet schreibst du ganz deutlich, was dich während der Aufnahmen beschäftigt hat, nämlich Menschen auf der Flucht vor Bürgerkrieg und Unterdrückung, vor Armut und Not. Ich finde es gut, dass du dabei so deutlich wirst.
Anoushka Shankar: Vielen Dank.

subtext.at: Soll ein Künstler demnach seine Kunst erklären? Bedarf es einer Erläuterung vom Künstler, was die eigentliche Aussage sein soll?
Anoushka Shankar: Es kommt darauf an. (überlegt kurz) Es gibt kein Künstlerkollektiv, deswegen lässt es sich auch nicht pauschalisieren. Ich mag es jedenfalls nicht, zu viel vorweg zu nehmen. Ein bisschen ist gut, aber nicht zu viel erklären und erzählen, weil es dann die Erfahrung des Zuhörers schmälert. Die Leute sollen ihre eigene Erfahrung machen, wenn sie Musik hören. Es liegt an ihnen, was sie dabei emotional mitnehmen. Ich möchte deswegen nicht zu sehr ins Detail gehen, was die Songs betrifft und welche Bedeutung sie für mich haben.

subtext.at: „Land Of Gold“ schafft, wenn man so will, einen kulturübergreifenden Dialog. War das eine bewusste Entscheidung?
Anoushka Shankar: Ja. Das möchte ich eigentlich mit jedem Album erreichen, weil es mir sehr wichtig ist. Diese herausfordernden Augenblicke, beispielsweise mit einem Musiker ein Album aufzunehmen, der kulturell aus einer ganz anderen Welt kommt und einen anderen Background hat als ich, mit verschiedenen Instrumenten, die es normalerweise nicht zusammen zu hören gibt, sind wunderbar. Das kann natürlich ein schwieriges Unterfangen sein. Wird es funktionieren? Wenn nicht, dann findest du eben Wege, damit es klappt. Diese Momente sind für mich sehr aufregend. Wunderschön, weil du einen neuen Weg gefunden hast, dich auszudrücken. Eine tolle Erfahrung, die man für sich auch auf das allgemeine Leben anwenden kann.

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subtext.at: Siehst du dich als Weltbürgerin?
Anoushka Shankar: Ja, tue ich (lacht).

subtext.at: Nenne eine deiner Stärken und eine deiner Schwächen als Künstlerin.
Anoushka Shankar: (denkt sehr lange nach) Meine Stärke, vielleicht meine Emotionalität? Ich denke, ich kann das, was ich fühle, auf meinem Instrument sehr gut wiedergeben. Meine Schwäche? Vermutlich mein mangelndes Selbstvertrauen. Manchmal möchte ich verschiedene Dinge ausprobieren, aber ich scheitere dann an mir selbst. Ich bin in dem Sinne vielleicht zu ängstlich. Das würde ich gerne an mir verbessern.

subtext.at: Können wir stehen lassen, dass du zwar der Tradition deines ruhmreichen Vaters Ravi Shankar als Sitarspielerin folgst, aber eben nicht blind?
Anoushka Shankar: Ja, genau. Mein ganzes Leben spiegelt sich in meiner Musik wieder. Klar, ich bin Inderin, aber ich bin eben auch Britin und Amerikanerin. Die Frage nach der kulturellen Identität, die gab es bei mir schon immer. Wenn ich mich zum Beispiel in Indien aufhalte, dann frage ich mich schon, was das Land mit mir macht, was es in mir auslöst und welche Verbindung es gibt. Es ist, als ob zwei Seelen in deiner Brust wohnen. Ich liebe die Tradition und das klassische Sitarspiel, was die Musik angeht, aber ich möchte mich nicht nur darauf beschränken. Warum? Weil es nicht der Wahrheit entsprechen würde. Das wäre nicht ich. Ich möchte auch modernen Einflüsse zulassen. Ich verbinde das Traditionelle mit der Moderne.

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subtext.at: Die Songs auf „Land Of Gold“ fließen förmlich ineinander, es fühlt sich für mich wie Ebbe und Flut an. Die Musik ist sehr warm, kraftvoll und geschmeidig zugleich.
Anoushka Shankar: Die Leute meinen zu mir, dass es sie emotional berührt. Von einer filmisch anmutenden Atmosphäre höre ich auf oft.

subtext.at: Die Platte ist strukturiert aufgebaut, hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Ganz klassisch.
Anoushka Shankar: Ich bin wohl etwas altmodisch, was das anbelangt (lacht). Ich denke halt weiterhin in Alben, wenn ich Musik mache. Es geht mir nicht um einzelne Songs, die in keiner Verbindung zueinander stehen.

subtext.at: Dabei ist unsere Aufmerksamkeitsspanne laut Studien drastisch gesunken.
Anoushka Shankar: Ich weiß. Ich mag es trotzdem, wenn man sich Zeit für etwas nimmt und sich näher mit einer Sache beschäftigt als nur für ein paar Sekunden. Ich möchte die volle Aufmerksamkeit (lacht). In die Welt der Popkultur habe ich sowieso nie hineingepasst, wo alles viel schneller und lauter sein muss, auch wenn manche Songs von mir vielleicht poppig klingen.

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subtext.at: Zeitgenössische instrumentale Musik boomte in den späten 90ern. Wo befindet sich dieses Genre heute?
Anoushka Shankar: (überlegt & seufzt) Die Industrie ist eine ganze andere als damals. Einerseits fühlt sich vieles freier an, weil Leute Musik machen können, die sich nicht um etwaige Grenzen oder Kategorisierungen schert und nichts mit dem Mainstream zu tun haben muss, der mehr denn je eingeschränkt ist. Multigenres und Songs, die länger als fünf Minuten dauern, sind heute kein Problem mehr. Ein Künstler muss sich heute mehr denn je die Frage stellen, wie er seine Musik vertreibt und wie er die Leute erreichen kann. Ich finde das cool, denn es ist nicht mehr so festgefahren wie einst.

subtext.at: Popkultur war ein gutes Stichwort vorhin. Verdient Bob Dylan deiner Meinung nach den Nobelpreis?
Anoushka Shankar: Viele Leute bezeichnen Dylan als den ersten Songwriter, der den Nobelpreis erhält, was eigentlich gar nicht richtig ist. Der Inder Rabindranath Tagore war der erste Poet, der ihn bekommen hat. Es müsste das Jahr 1913 gewesen sein, wenn ich mich nicht irre. Vielleicht schaust du das Datum nochmal nach. Als Tagore damals sein Buch veröffentlicht hat, waren es eigentlich die Texte aus seinen Songs, die abgedruckt waren. Es ist also nicht das erste Mal, es ist schon mal passiert (lächelt). Über Auszeichnungen und Preise mache ich mir keine Gedanken. Warum verdient der eine einen Preis wie den Grammy und der andere nicht? Klar, Bob Dylan ist ein Genie und er verdient alle Preise dieser Welt, was nicht heißt, dass ein anderer Künstler, der vielleicht nicht in dem Maße berühmt oder bekannt wie Dylan ist, ihn nicht verdient. Auszeichnungen sollte man stets mit einem Augenzwinkern entgegennehmen (lächelt).

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Foto: Jamie-James Medina

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