DILLON: „Ich singe nur über Dinge, die mich erfüllen“

Statusupdate bei Dillon: Nach dem Debüt „This Silence Kills“ und dem Nachfolger „The Unknown“, gibt es noch kein neues Studioalbum der schüchternen Musikerin aus Berlin, sondern einen Konzertmitschnitt als Live-Veröffentlichung inklusive Chor. Damit gewinnt die manchmal spröde wirkende, aber doch stets berührende Musik von Dominique Dillon de Byington eine weitere klangliche Facette.

An der dritten Platte wird bereits eifrig getüftelt, wie die 29-Jährige im Gespräch bereits verrät. 2017 soll das noch unbetitelte Werk erscheinen und in der Farbe Pink erstrahlen. Man höre und staune. Dillon im Interview mit subtext.at über Stimmvielfalt, Emanzipation und Giacomo Casanova.

subtext.at: Dillon, du hast jüngst das Bedürfnis gehabt, mit Stimmen zu arbeiten und damit eine weitere Ebene zu deiner Musik zu kreieren. Woher kam dieses Verlangen?
Dillon: An erster Stelle war es eigentlich nicht mehr alleine zu singen, aber auch nicht in einer Band sein zu wollen. Ever. Ich möchte das nicht. Und dann natürlich, weil ich es schön finde. Ich liebe Stimmen. Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich mit meiner Stimme arbeiten kann. Ich hatte jetzt einfach das Bedürfnis, weitere Menschen mit auf die Bühne zu holen und nicht weitere Instrumente, Synthesizer. Jetzt kann ich mich umdrehen und da stehen einfach sehr viele Menschen mit mir. Ich bin nicht mehr alleine.

subtext.at: Weshalb magst du keine Band um dich haben?
Dillon: (überlegt) Nee. Ich hab Geschwister, wir sind eine Band. Meine Arbeit würde ich gerne alleine weiterhin bestreiten wollen.

subtext.at: Forscher sagen, nicht die Augen sind der Spiegel der Seele, sondern die Stimme. Ob wir selbstbewusst sind, ängstlich, niedergeschlagen oder glücklich – unsere Stimme verrät uns.
Dillon: Ich weiß nicht, ob man da in die Seelen des Chors blicken kann. Ich befürchte nicht. Ich habe jetzt aber eine viel bessere Zeit auf der Bühne. Nicht ausschließlich wegen der Stimmen, aber auch. Mit Sicherheit. Weil eben dieses Projekt jetzt so stattfindet, wie es stattfindet. Die Stimmen arbeiten ja gemeinsam, an einer Fläche. Es ist jetzt nicht so, dass man einzelne Stimmen wirklich heraushört. Die Stimmen sind für mich lebende, menschliche Synthesizer. Zwischen der Elektronik, die Tamer (Tamer Fahri Özgönenc, Sounddesigner bei Dillon) bedient, und was ich mache und singe und spiele. Genau dazwischen.

subtext.at: Wie kam die Idee überhaupt zustande, mit einem Chor auf Tour gehen zu wollen?
Dillon: Das Foreign Affairs-Festival hat mich darauf gebracht. Sie haben gefragt, ob ich etwas Besonderes machen möchte und dann hatte ich diese Idee. Ich dachte, es passiert einmal und nie wieder. Daraufhin habe ich es gefilmt, weil das Haus der Berliner Festspiele einfach ein wahnsinnig tolles Haus ist und der Saal auch. Wann werde ich die Möglichkeit haben, so was noch einmal zu machen? Wahrscheinlich nie, dachte ich. Dann habe ich mir das angehört und ich war so gerührt davon, dass ich da erst die Idee hatte, es als Livealbum herauszubringen. Und dann kam die Idee, damit auf Tour zu gehen. Mit Chor auf Tour zu gehen. Das kam alles versetzt.

subtext.at: Du hättest die Stimmen auch vom Band kommen lassen können…
Dillon: (überlegt kurz) Mir ging es wirklich darum, einen richtigen, menschlichen Chor dabeizuhaben. Wir haben ja sowieso immer wieder Chor-Elemente, in „Tip-Tapping“ zum Beispiel oder bei „This Silence Kills“. Bei „Nowhere“ gibt es einen digitalen Chor.

subtext.at: Besteht dein Chor aus Frauen und Männern?
Dillon: Nur Frauen diesmal. Da bin ich aber auch offen. Solange du die Töne triffst, „I don’t care“. Oder „you are welcome“, weil „I don’t care“ hört sich ziemlich böse an (lacht).

subtext.at: Wie bringt man seine Vision, die vielleicht nicht unbedingt der normalen Vorstellung entspricht, einem Chor bei?
Dillon: Ich habe mir Zeit genommen, um ganz genau zu erklären, warum es überhaupt einen Chor gibt. Es kann ja wahnsinnig schnell kitschig rüberkommen. Das war mich sehr wichtig. Der Chor sollte wissen, dass es nicht als Kitschelement gemeint ist. Es ist keine Backgroundsängergeschichte.

subtext.at: War es schwierig, das Set an diese neue Gegebenheit anzupassen?
Dillon: Es kam sehr natürlich zustande und auch ziemlich schnell. Im Studio hat es zwei Tage gedauert, glaube ich, bis wir das eingesungen und einprogrammiert haben. Das war eigentlich ziemlich selbstverständlich.

subtext.at: Forschen behaupten auch, dass eine hohe Klein-Mädchen-Stimme insgeheim nach einem Beschützer Ausschau hält. Eine Piepsstimme sei außerdem nicht vereinbar mit dem Selbstbild moderner Frauen. Die Stimmen der Frauen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten im Schnitt um zwei bis drei Halbtöne gesenkt.
Dillon: Gott sei Dank. Ich finde es sehr unerträglich, wenn die Stimmen hier oben sind (deutet mit der Hand über ihren Kopf).

subtext.at: Eine Folge der Emanzipation, vermuten Soziologen.
Dillon: Verstehe ich, aber man sollte sich nicht nur auf die Emanzipation verlassen. Für mich hat die Klangfarbe einer Stimme aber ziemlich wenig mit dem Geschlecht zu tun. Man kann an erster Stelle nichts dafür, wie man sich anhört, aber man kann ja dann irgendwie versuchen, damit zu arbeiten. Wie mit Haaren auch (lächelt). Kurze Haare, lange Haare, die Farbe… Kann man mit der Stimme genau so machen. Ich könnte auch mit einer höheren Stimme sprechen (imitiert eine hohe Stimmlage), aber möchte ich nicht. Ich kenne auch wahnsinnig viele Männer, die auch eine hohe Stimme haben und viele Frauen, die extrem tiefe Stimmen haben. Inwiefern das Natur ist? Und ich meine auch Schauspieler, die sprechen ja auch immer so (spricht in einer tieferen Tonlage). In Berlin kann ich angehende Schauspieler daran erkennen, wie sie sprechen. I hear it, wenn sich jemand bei mir vorstellt.

subtext.at: Verzögerungslaute wie „äh“ oder „ähm“ kommen weiters nicht gut an und Menschen mit einem angenehmen Stimmklang hält man auch optisch für attraktiv.
Dillon: Verständlich. Eine hohe Stimme bedeutet auch Alarm. Ich verstehe auch, weshalb Kinder hohe Stimmen haben: Damit man sich um sie kümmert. Das macht schon Sinn. Klar, angenehme Stimme, angenehme Person – erst mal. Und dann?

subtext.at: Mamas Stimme, zum Beispiels übers Telefon, soll zudem die Nerven beruhigen, fand die Wissenschaft heraus. Das dabei ausgeschüttete Hormon Oxytozin hilft dabei, Stress abzubauen.
Dillon: Ich habe auch schon oft meine Mutter angerufen, wenn ich gemerkt habe, dass ich eine Panikattacke bekomme. Vor einem Jahr noch, also nicht mit 12.

subtext.at: Und hat es geholfen?
Dillon: Ja. Es geht auch gar nicht darum, irgendetwas Bestimmtes zu sagen. Hauptsache sie ist für dich da.

subtext.at: Was macht eine gute Stimme für dich generell aus? Lieblingssänger oder Lieblingssängerin?
Dillon: Billie Holiday und Jeff Buckley, von den Stimmen her. Ich bin aber auch sehr leicht gestrickt, was das angeht. Wenn die Stimme mich mitnimmt, dann nimmt sie mich mit und dann ist es mir auch egal, was sie mir sagt und was sie mir vorsingt. Das heißt auch nicht, dass es ein Konzept für mich gibt. Kann ich nicht sagen. (überlegt) Manchmal ist es die Aussprache, manchmal die Farbe der Stimme. Manchmal nur, weil diese Stimme richtig krasse Sachen machen kann. Beyoncé oder Mariah Carey früher. Da raste ich aus. Nicht meine Lieblingsstimme oder eine, die mich in den Schlaf singt, aber trotzdem supergeil.

subtext.at: Demnach unterscheidest du leicht zwischen technisch guten Sängern und welchen, die vielleicht technisch nicht perfekt sind, dich aber dennoch berühren.
Dillon: Weiß ich ja gar nicht, ob sie perfekt sind oder nicht, aber auf jeden Fall lösen sie etwas bei mir aus, was andere nicht auslösen. Vielleicht können sie es genau so perfekt hinbekommen, aber sie machen es nicht, weil sie auf etwas anderes hinauswollen.

subtext.at: Was sagen die Leute über deine Stimme?
Dillon: Alles. Nervige Kleinkindstimme, aber auch wie rührend, wie eine Engelsstimme. Das geht in alle Richtungen.

subtext.at: Kann man jede Stimme durch Training verändern und verbessern? Hast du jemals Gesangsstunden genommen?
Dillon: Ich habe nie welche genommen, bin mir aber sicher, das hilft. Es kommt aber auch darauf an, was man mit seiner Stimme machen möchte. Ich habe keine großartigen Sachen vor. Ich persönlich sehe meine Stimme so, wie ich auch meine Haare oder sonst was sehe. Wir kommen miteinander klar. Es gibt Tage, da ist es nicht so, dann gibt es Tage, da ist es besser. Wir passen aufeinander auf, aber es ist das allerwichtigste in meinem Leben. Ich schreibe halt tatsächlich lieber als zu singen, aber ich singe auch das, was ich schreibe, gern. Ich sehe meine Stimme eher so als Gebrauchsgegenstand an. Damit kann ich singen, was ich schreibe. Punkt.

subtext.at: Könntest du dir auch vorstellen, für andere Künstler zu schreiben?
Dillon: (schüttelt den Kopf) Habe ich noch nie gemacht. Ich weiß nicht, ob ich das machen könnte. Vielleicht. Das was ich schreibe, ist halt extrem autobiographisch. Es ist nicht schlimm, wenn das jemand anderes singt, aber ob ich das wirklich wollen würde? Ich glaube nicht. Ich würde dir auch ungern meine ganzen Anziehsachen geben – und dann siehst du so aus wie ich. Du kannst dir was ausleihen, ich kann dir ein Wort schenken, aber ein ganzes Lied? I don’t know.

subtext.at: Letztes Mal im Interview hast du gemeint, dass du manchmal nicht weißt, was du möchtest, aber ganz genau weißt, was du nicht willst. Hat sich da was getan?
Dillon: Es ist genau das Gleiche. Ich weiß immer noch, was ich alles verachte. Allerdings sage ich das nicht immer sofort. Früher war das immer sofort „Nein, mache ich nicht, nein mache ich nicht, nein, auf keinen Fall“ und jetzt gucke ich erst mal und vielleicht mache ich es ja doch. Ich habe weniger Angst und ich traue mich auch mehr an Sachen heran. Es ist viel einfach, zu allem nein zu sagen. Es ist viel einfacher, nichts Neues auszuprobieren und mit neuen Person nicht zu reden. Natürlich fühlt sich das nicht gut an, aber als ängstlicher Mensch musst du keine Angst haben. Es kommt niemand Neues, der dich enttäuschen kann. Du kannst nichts verlieren, weil du nichts gekauft hast. Du kannst nichts vergessen, weil du hast nichts erfahren. Man wird dann halt einfach taub. Habe ich bei mir irgendwann gemerkt und deswegen habe ich irgendwann angefangen, nicht alles abzulehnen und nicht immer nein zu allem zu sagen.

subtext.at: Du schreibst auf deiner Website, dass deine beiden Alben „This Silence Kills“ & „The Unknown“ für dich zusammengehören.
Dillon: Ja.

subtext.at: Warum empfindest du das so?
Dillon: Weil ich 2011, als ich „This Silence Kills“ im Studio aufgenommen habe, schon fertiges Material hatte. Diese Lieder waren damals schon fünf, sechs Jahre alt. Beim Produzieren wusste ich schon, was musikalisch bei mir der nächste Schritt ist, die beiden Songs „This Silence Kills“ und „Abrupt Clarity.“ Damals wollte ich einfach eine vernünftige Aufnahme von meinen Schlafzimmerproduktionen. Das haben wir dann auch gut umgesetzt. Sobald es eine Möglichkeit gab, an neuen Sachen zu arbeiten, war ich Feuer und Flamme. Die alten Sachen konnte ich mir nicht mehr anhören. Es war total Horizonterweiternd für mich. Ich wusste damals schon, dass es der Beginn vom nächsten Album ist. „The Unknown“ ist demnach eine direkte Fortsetzung. Ich wusste immer, die gehören zusammen, aber ich wusste nicht, ob da noch eins kommt. Habe ich nicht verstanden.

subtext.at: Dein nächstes Album soll sich um das große Thema Liebe drehen. Wie sieht das bei Dillon aus, wenn sie die Liebe vertont?
Dillon: Sehr schön. Gedichte über Tulpen, Zugvögel, Wiegenlieder, Regenbögen, aber dann alles in Schwarzweiß (lächelt). Beim letzten Album sang ich schon über die Natur. Über Wasserfälle und Waldbrände und den Abgrund des Meeres. Ich habe einfach nicht das Bedürfnis, bestimmte Wörter wie „I want to die“ zu singen. Deswegen wollte ich so abstrakt wie möglich sein. Jetzt hat es sich gedreht. Die nächste Platte ist einfach näher an mir, doch auch wenn ich über Tulpen singe, so taucht das Wort Tulpe nicht auf. Ich singe nur über Dinge, die mich erfüllen. Habe ich bemerkt, bei diesem Album. Ich habe auch keine Wahl. Ich wache auf und dann stellt sich die Frage, was heute verarbeitet wird. „Omg, you want to write about the fact that you love buying flowers every sunday, what a pleasure“. Vor zwei Jahren waren es panic attacks and suicides, und now it’s good. Ich habe es Menschen schon vorgespielt und die haben es verstanden. Es hört sich nicht komplett anders an, aber es macht Sinn.

subtext.at: Ein positiver Einfluss hat dich also erfasst.
Dillon: Total. Es geht aber nicht ausschließlich um romantische Liebe.

subtext.at: Hast du schon einen Titel?
Dillon: Ich bin mir noch nicht so sicher. Es wird ein Wort sein, aber es gibt noch keinen Titel. Ich sehe das Artwork schon und ich sehe halt Pink, aber nicht Neon, sondern warmes, dunkles Pink.

subtext.at: Liebe besteht zu drei Viertel aus Neugier, behauptete Casanova. Stimmst du dem zu?
Dillon: Ja, doch, mit Sicherheit. Da fließen aber auch so viele Sachen mit ein, von Traumata, über Hormone, chemicals in the brain, Gerüche, sicher auch die Neugier, aber dessen bin ich mir sehr bewusst. Das ist total spannend, auch selbst zu sehen, wie man sich verhält, wenn man irgendeine Art von attraction für jemanden empfindet. Ich kann das selbst überhaupt nicht verheimlichen. Jeder weiß es sofort (lacht).

subtext.at: Ist das in Ordnung für dich?
Dillon: Was denn?

subtext.at: Wenn andere mitbekommen, dass du verliebt bist?
Dillon: Klar. Es gibt nichts Schöneres. Ist total witzig und lustig, solange niemand verletzt wird.

subtext.at: Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?
Dillon: Ja, mit Sicherheit. Es heißt aber nicht, dass die für immer hält oder funktioniert, aber es ist vielleicht die beste Nacht deines Lebens.

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Dillon im subtext.at-Interview
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Foto. BPitch Control

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