BRAND NEW: Science Fiction

8 lange Jahre haben Brand New ihre Fans warten lassen und dann schallte vorletzte Woche plötzlich ein Paukenschlag durch das Internet. Da war es auf einmal, das lang ersehnte, fünfte und wahrscheinlich auch letzte Studioalbum der Alterntive Rocker aus Long Island. Ohne großes Tamtam, ohne Vorankündigung, ohne Marketingkampagne. „Science Fiction“ heißt das neue Werk, bei dem viele schon davon ausgegangen waren, dass es wohl nie das Licht der Welt erblicken würde. Dass Brand New damit nahtlos an ihre bisherige Diskographie anknüpfen und ihrer zu Ende gehenden Bandkarriere tatsächlich einen weiteren Meilenstein hinzufügen, davon haben wohl die wenigsten geträumt. Tatsächlich erfüllt „Science Fiction“ sämtliche daran geknüpften Sehnsüchte und Erwartungen…

Brand New waren immer schon wie eine Band, die eigentlich nicht so recht in diese Zeit passen will. Groß geworden auf der neuen Pop-Punk Welle der frühen 2000er Jahre dann in immer düsterer und experimenteller werdende Stilrichtungen abgebogen, erspielte sich die Band Kultstatus und eine riesige Fanbase, wollte aber vom Ruhm und großartiger medialer Außendarstellung nie viel wissen. Was Informationen und Announcements angeht waren sie immer gerne kryptisch und liebten es die Leute hinters Licht zu führen. Die Art und Weise wie sie nun ihre fünfte Platte veröffentlicht haben, passt dazu wie die Faust auf’s Auge. Am Dienstag Abend vorletzte Woche tauchte plötzlich ein Link zur Vorbestellung einer limitierten Vinyl-Version auf (die binnen 30 Minuten ausverkauft war), tags darauf fanden 500 auserwählte Fans nummerierte CDs in ihren Postfächern. Darauf befand sich ein einstündiger Track (der alle Songs des Albums beinhaltete) mit dem Titel „44.5902N104.7146W“. Koordinaten, die auf den Devil’s Tower, einen unter anderem aus dem Film „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ bekannten Berg in Wyoming deuten. Woraufhin natürlich Leaks des neuen Albums auf Youtube und zahlreiche Spekulationen um die Bedeutung dieser Aktion die Runde machten. Am Donnerstag folgte dann ansatzlos die tatsächliche Veröffentlichung des Albums per Download auf der Seite des bandeigenen Labels Procrastinate! Music Traitors. So weit, so Brand New.

Vorweg: „Science Fiction“ ist der Inbegriff von harmonischer Weiterentwicklung einer Band über die Jahre. Ein Zeugnis von einer Band, die so klingt, wie man es an diesem Punkt in ihrer Karriere erwarten würde. Es zieht Rückschlüsse und spannt Referenzen zu allen bisherigen Veröffentlichungen, klingt einerseits wohlig vertraut, anderseits finden sich darauf einige der ausgefeiltesten und flüssigsten Kompositionen, die die Band je hervorgebracht hat. Einen prominenteren Platz als je zuvor nimmt dabei die Akustikgitarre ein. Ein Groß der Songs beginnt mit zarten Anschlägen und Jesse Laceys Gesangsstimme, die gemeinsam so etwas wie das Rückgrat der Platte darstellen. Darauf aufbauend entwickeln sich die Stücke zu gewohnt mitreißenden und vielschichtigen Rocksongs, die mehr Einflüsse denn je für sich vereinnahmen. Blues, Grunge, Country, Alternative- und Post-Rock kommen allesamt an irgendeinem Punkt zum Vorschein. „Lit Me Up“ heißt der dunkel dahinbrodelnde Opener, zu dessen Beginn wir einen Audiomitschnitt einer Therapiesitzung hören, in dem eine unbekannte Frau von einem Traum berichtet. Es ist nicht das einzige Sample auf dem Album. Mal ist es schauerliches Gelächter, mal eine verzerrte Stimme, mal ein in der Ferne zu leisen Klaviertönen singender Jesse Lacey.

Es geht um innere Dämonen, das sich ausgegrenzt fühlen und den immerwährenden Kampf mit sich selbst. „I’m just a manic depressive, toting around my own crown; I’ve got a positive message, sometimes I can’t get it out“, heißt es da bezeichnend im zweiten Song. „Can’t Get It Out“ ist ein Song, der so auch auf „Deja Entendu“ landen hätte können. Vielleicht der am schnellsten zündenden Song der Platte, wenn man denn nach einem Hit suchen sollte. „Same Logic/Teeth“ erinnert an die besten Momente von „Daisy“, „137“ beginnt als Meditation über das Ende der Welt durch einen Atomkrieg und endet in einem furiosen Gitarrensolo von Accardi und „Desert“ ist eine Abrechnung mit christlichem Fundamentalismus und Homophobie, dass mit einer Gitarre dahingroovt während Lacey seinen Protagonisten singen lässt: „Don’t come running to me when they’re coming for you“. Tatsächlich ist „Science Fiction“ trotz seiner schweren Themen auch ein verdammt unterhaltsames Album geworden. So viel Herzblut, versteckte Anspielungen, Botschaften und vielschichtige Instrumentals wie hier drin stecken, dürfte uns dieses Album auch in einiger Zeit noch beschäftigen. Die Mischung aus Storytelling und Ausleuchten persönlicher Abgründe funktioniert nach wie vor und bekommt durch die subtilere (man könnte auch erwachsener sagen) Herangehensweise noch mehr Tiefgang. „Science Fiction“ ist ein Album geworden, das sich zu entdecken lohnt. Ein Album das man wieder und wieder hören will, um jede Textzeile und jede Note zu analysieren. Für Fans wahrscheinlich schon jetzt die Platte des Jahres und für alle Neuentdecker ebenfalls eine große Empfehlung. Brand New arbeiten ihre eigene Vergangenheit auf und machen die lange Wartezeit vergessen. Sollte es tatsächlich das letzte Lebenszeichen der Band gewesen sein – „Science Fiction“ wäre ein krönender Abschluss.

„It’s never going to stop. Batter up. Give me your best shot. Batter up!“

Tracklist

01. Lit Me Up
02. Can’t Get It Out
03. Waste
04. Could Never Be Heaven
05. Same Logic / Teeth
06. 137
07. Out Of Mana
08. In The Water
09. Desert
10. No Control
11. 451
12. Batter Up

VÖ: 17.08.2017 via Procrastinate! Music Traitors

Schreibt Albumrezensionen, Konzertberichte und führt gerne Interviews - transkribieren tut er diese aber weniger gern. Immer wieder auch für Blödsinnigkeiten abseits seines Kerngebiets "Musik" zu haben. Hosted einmal monatlich die Sendung "Subtext on Air" auf Radio FRO, ist bei mehreren Kulturinitiativen und in einer Band aktiv.