AWOLNATION: „Der Wind in den Bäumen und das Rauschen des Pazifiks inspirieren mich“

Willkommen zur neuen Lässigkeit. Das hyperaktive Songwriting von Aaron Bruno hat sich 2018 hörbar gewandelt. Mal wieder. Erneut. Diese Erkenntnis ist keine neue, weiß Gott nicht, doch die Musik, die uns Awolnation in diesem Jahr präsentieren, gibt sich (neben ihrer weiterhin pulsgebenden Eigenwilligkeit) gelöster und natürlicher, als man es gewohnt ist.

Leider dabei auch weniger griffig und zupackend. Grund genug, um Bruno erneut zu treffen. Relaxter als bei unserem ersten Zusammentreffen, aber auch wesentlich ruhiger wirkt der 39-Jährige im Gespräch. Ein Interview über Rockmusik im Mainstream, Leidenschaft und Zaubertränke.

subtext.at: Aaron, für das heuer erschienene Album „Here Come The Runts“ hast du dir vorab vorgenommen, mehr echte Instrumente bei der Produktion zu verwenden. Weht damit ein frischer Wind für Awolnation?
Aaron Bruno: Wir haben davor auch echte Gitarrenspuren oder echtes Schlagzeug für einige Songs verwendet, allerdings ist es jetzt für dieses Konzept unmissverständlicher und direkter auf den Punkt. Es kommt der Augenblick, da hast du zum Beispiel einen tollen Gitarristen an deiner Seite, was deine Möglichkeiten nahezu endlos erscheinen lässt. Das war anfangs nicht der Fall bei Awolnation. Für „Here Come The Runts“ kam dann eins zum anderen. (überlegt kurz) Ich finde jetzt nicht, dass es einen großen Unterschied zu den ersten zwei Platten gibt. Die Intensität, sie ist immer noch vorhanden, allerdings etwas handgemachter. Es fällt uns jetzt auch leichter, dieses Material live vorzutragen.

subtext.at: Diese direktere, puristische Ausrichtung, war das eine bewusste Entscheidung?
Aaron Bruno: Von Rock mit elektronischen Anleihen bin ich momentan ziemlich genervt.
Für mich hört es sich an, als ob Boybands aus dem Pop-Segment möglichst einfach alternativ klingen möchten. Es ist furchtbar.

subtext.at: Damit möchtest du eigentlich von dem weg, mit dem du berühmt geworden bist.
Aaron Bruno: Als die erste Awolnation-Platte herauskam, fühlte ich mich wie ein einsamer Cowboy in der Prärie. Dieser Mashup-Stil, der sich aus verschiedenen Genres speist, war zu dem damaligen Zeitpunkt noch nicht so weit verbreitet. Dann ging es auch schon los, der Erfolg kam und ich war ein Teil davon. (überlegt kurz) Sieben Jahre später scheinen manche Leute dem noch immer hinterherzujagen.

Foto: © Red Bull Records

subtext.at: Du wolltest das Rad also nicht neu erfinden, sondern nur für einen neuen Anstrich sorgen?
Aaron Bruno: Ich will das Rad nicht neu erfinden, ich möchte nur deinen Kopf in Aufregung versetzen, wenn wir musikalisch eine steile Kurve in Angriff nehmen (lacht).

subtext.at: Gab es etwas, was die Aufnahmen aus deiner Sicht besonders hat werden lassen?
Aaron Bruno: Ich war viel mehr fokussiert als sonst. Ich hatte eine klarere Vorstellung davon, wie lebensbejahend dieses Album werden sollte. Ich wollte keinen schwarzen Brocken wie „Run“ abliefern, sondern eher in die Richtung von „Megalithic Symphony“ gehen mit einem anderen Ansatz. Ich möchte mich nicht wiederholen. Ich wollte herausfinden, wie man kraftvoll klingen kann, ohne sich zu wiederholen.

subtext.at: Der Vorgänger „Run“ hat mich sofort fasziniert und in den Bann gezogen, wobei ich mit „Here Come The Runts“ weiterhin meine Probleme habe. Ich fand mich einfach nicht zurecht und würde sie mittlerweile eher als „Grower“ bezeichnen. Teilst du diese Einschätzung?
Aaron Bruno: Nein. Es ist wohl ein impulsives Empfinden von dir und solch ein Empfinden kann immer unterschiedlich ausfallen.

subtext.at: Bei unserem letzten Treffen meintest du noch, gemischte Reaktionen würdest du bei Kritikern und Fans begrüßen. Hat sich daran etwas geändert?
Aaron Bruno: Extreme Reaktionen halte ich nach wie vor für ein gutes Zeichen. Bei „Run“ habe ich einige unglaubliche Reviews gelesen. Da habe ich verstanden, dass es wichtig ist, Emotionen bei Leuten auszulösen, positive wie auch negative. Es gibt nichts Schlimmeres, als den Leuten egal zu sein. Heuer haben wir es gar nicht darauf abgesehen, Besprechungen zu bekommen. Das amerikanische Rolling Stone-Magazin hat uns dieses Mal zum Beispiel nicht besprochen. Damit können wir leben. Die Leute sollen selbst entscheiden, ob sie uns weiterhin eine Chance geben oder nicht. Es werden sowieso immer weniger Rezensionen gelesen, jedenfalls in den USA. Ob es in Europa auch so ist, weiß ich nicht. Wenn ein großes Magazin der neuen Madonna-Platte vier von fünf Sternen gibt, obwohl sie nichts taugt, dann kann ich dem einfach nicht mehr trauen.

subtext.at: Fallen dir prägnante Zeilen wie „I found a potion for fixing passion“ zu einer Melodie spontan ein oder entstehen die Texte langsam und zaghaft?
Aaron Bruno: Meistens fallen mir Textzeilen nach einer Melodie ein. Falls ich Glück habe, gleichzeitig. Den Titel „Here Comes The Runts“ hatte ich schon vorher im Kopf, noch bevor die Songs entstanden sind. Ich wusste, die Platte würde diesen Namen tragen.

subtext.at: Dieser Zaubertrank, der die Leidenschaft wieder auf Touren bringt, wie sieht der aus? Nach was schmeckt der?
Aaron Bruno: Keine Ahnung (lacht). Dem Song liegt die Idee zugrunde, dass s eine Art Dealer gibt, der diesen Trank hat, der dich leidenschaftlich werden lässt. Er hilft einem dabei, zu sich selbst zu finden und die eigenen Interessen zu wecken. Glaub es mir oder nicht, aber es gibt viele Leute, die draußen herumlaufen und überhaupt keinen Schimmer haben, für welche Dinge sie leidenschaftlich brennen. Ich hoffe, der Song inspiriert die Leute dazu, in ihrem Innersten zu kramen. Bei „Run“ stand in einem Review, dass ja alles ganz toll sei, doch die Leidenschaft würde fehlen… Das hat mich damals echt getroffen. Gleichzeitig wurde ich mit Brian Wilson verglichen (lacht).

subtext.at: Awolnation zeichnen sich seit jeher dadurch aus, in keine bestimmte Schublade zu passen. Gibt es Druck, mit jedem Album einen neue Facette von dir zu zeigen?
Aaron Bruno: Sie muss nicht neu sein, sondern zumindest eine verbesserte Facette. Ich möchte mich steigern und expandieren, was meine Musik anbelangt, und nicht wiederholen. Das wäre ziemlich langweilig. Wenn mir etwas in den Sinn kommt, was ich musikalisch schon mal gemacht habe, dann wende ich mich von dem wieder ab. Awolnation soll für sich wie ein Film stehen, bei dem man als Zuschauer nicht weiß, was im nächsten Moment alles passieren wird. Das ist mein Ziel.

subtext.at: Gab es einen Moment, bei dem du sichtlich gemerkt hast, wie die Fäden alle zusammenlaufen? Dass es dieses Mal einen eher organischen, natürlichen Vibe haben wird als einen elektronischen?
Aaron Bruno: Da die Platte in den Bergen außerhalb von L.A. entstanden ist, hat mich die Umgebung sichtlich inspiriert. Es gab nur Natur, kein Großstadtgetümmel. (überlegt) Der Wind in den Bäumen und das Rauschen des Pazifiks inspirieren mich.

subtext.at: Die Umgebung zu verändern, um sich selbst zu verändern?
Aaron Bruno: Es ist natürlich entstanden, es war kein Ziel von mir. Ich habe nicht das Vorhaben gehabt, einen genauen Ort aufzusuchen, um eine bestimmte Art von Song aufzunehmen. Je älter wir werden, umso mehr wissen wir, was uns künstlerisch antreibt. Wenn ich heute die Straße entlanglaufe, kann ich etwas sehen, was mich inspiriert und zum Schreiben eines Songs verleitet. Vielleicht erreicht es mich nicht sofort, sondern im Traum, in Gedanken oder in Form eines Déjà-vus. Ich wollte jedenfalls ein Rock ’n‘ Roll-Album aufnehmen, mit einem positiven Grundgefühl, welches ich auf Poprock-Platten aus den 70ern und 80ern wiederfinde. The Cars, Bruce Springsteen, Dire Straits, Tom Petty, Fleetwood Mac waren allesamt Künstler, die zur gleichen Zeit catchy und experimentelle Songs zum damaligen Zeitpunkt produziert haben. Sie sind nicht zwingend im Pop-Sektor zu Hause, obwohl sie massiv Erfolg hatten. Selbst Metallica oder Nirvana waren hoch in den Charts angesiedelt, ohne Pop zu sein. Heute vermisse ich das. Rockmusik wird wieder zu einem reinen Underground-Ding degradiert. Klar, es gibt Gruppen wie beispielsweise The War On Drugs, die toll sind und ihr Ding durchziehen, doch Rockmusik im Mainstream findet jedoch nicht mehr statt.

subtext.at: Hast du eine Erklärung dafür, weshalb die Popularität von Rockmusik abnimmt?
Aaron Bruno: Das weiß ich nicht. Ich kann nur mutmaßen, dass die Leute sich einfach zu sehr an elektronische Sounds gewöhnt haben. (überlegt) Die Leute werden oft hinters Licht geführt, was dabei live ist und was nur vom Band kommt.

subtext.at: Selbst eine Band wie Daft Punk will sich auf echte Instrumente fokussieren und um Elektronik einen Bogen machen.
Aaron Bruno: Wobei Daft Punk schon immer Samples verwendet haben, die auf echten Instrumenten beruhen. Daft Punk sind überhaupt toll. Wenn ich aber von Electronic-Acts rede, meine ich hier nicht die Großen wie The Prodigy, Justice oder Hot Chip. Das sind alles tolle Künstler, die ich liebe. Ich meine eher die Künstler, die sich heutzutage in den Top 10 der Charts tummeln. Es gibt Gruppen, die riesige Arenen füllen, die aber so klingen wie New Kids On The Block oder N’Sync. Da gibt es kein Risiko, keine Gefahr.

subtext.at: Gibson und Fender, die bekanntesten Gitarrenhersteller, haben Schulden und stecken beide in Geldnöten. Was bedeutet das für die Rockwelt?
Aaron Bruno: Kann ich nicht sagen. (überlegt) Ich weiß, dass es eine hohe Nachfrage nach Vintage-Gitarren gibt. Ich stelle vielmehr fest, dass die Leute immer weniger Zeit und Muße aufbringen, ein Instrument wirklich zu lernen und zu beherrschen. Das ist eine aussterbende Kunstform. Die meisten jungen Leute machen Shortcuts und fangen mit dem Computer an. Ich habe auch Pro-Tools als eine Art Instrument verwendet, doch bei dieser Platte war ich froh, eine Band um mich zu haben.

subtext.at: Ist es denn wichtig in der heutigen Zeit, ob Musik handgemacht ist?
Aaron Bruno: Das kann ich nicht pauschal sagen. Ich kann nur sagen, dass ich handgemachte Musik bevorzuge als am Computer programmierte Beats.

subtext.at: Du hast sehr klare Vorstellungen, doch wann hat sich zum letzten Mal deine Sichtweise auf etwas Konkretes geändert?
Aaron Bruno: Je älter ich werde, umso mehr verändert sich meine Sicht auf die Dinge. Ich war früher in mancher Hinsicht sehr stur. (überlegt) Das ist eine sehr gute Frage übrigens. Countrymusik fand ich früher immer ganz schlimm. Vor wenigen Jahren habe ich dann begriffen, dass ich mich mit diesem Genre nicht richtig beschäftigt habe. Country-Pop fand ich stets lustig, aber ich habe begriffen, dass es da viel mehr gibt. Früher habe ich auch ständig Gras geraucht, da hat sich meine Sicht auch geändert. Jetzt, wo ich nüchtern bin, kann ich die Musik viel mehr genießen und richtig wahrnehmen, mit allen Sinnen, nicht nur zugedröhnt. Es ist wunderbar, die Musik als eine Art Droge zu haben anstatt Drogen und Musik in Kombination zu sich zu nehmen. Don’t do drugs (lacht)!

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