„Es ist nicht schlimm, nach den Sternen greifen zu wollen“: CHRISTOPHER über eigene & fremde Erwartungen

In seiner Heimat Dänemark längst etabliert, im deutschsprachigen Raum als eine Art Newcomer gehandelt: Christpher Lund Nissen ist ein Pop-Musiker, wie er im Buche stecht. Smart, gut aussehend, charismatisch. Im Gespräch merkt man unweigerlich, aber auch auf der Bühne, wie sehr der 28-Jährige das genießt, was er tut. Nachdem bereits 2019 die Weichen vorsichtig gelegt wurden, soll Christopher in diesem Jahr einem breiteren Publikum vorgestellt werden. Die Chancen stehen gut.

Die Musik ist eingängig und geizt nicht mit Melodien moderner Prägung, wie man es aus dem skandinavischem Raum seit Jahrzehnten kennt und liebt. Vor dem Ausbruch der Covid 19-Pandemie kam ein Treffen mit Christopher in Wien zustande. Ein Interview über den Druck der Industrie, toxische Beziehungen und eigene und fremde Erwartungshaltungen.

© Petra Kleis

subtext.at: Christopher, dein aktuelles Album trägt den Titel „Under The Surface“. Blickst du darauf unter die Oberfläche des Alltäglichen? Es heißt ja immer, dass nicht alles Gold sei, was glänzt und der Schein oft trügt.
Christopher: Ich weiß nicht, ob der Schein immer trügt. (überlegt kurz) Mein Album davor hieß „Closer“, welches eine Möglichkeit für mich war, die Leute näher an mich heranzulassen. Mit „Under The Surface“ wollte ich die sie unter die Oberfläche blicken lassen. Wer bin ich, was bewegt mich, was macht mich aus? Darauf wollte ich Antworten geben. Mein Songwriting hat sich verändert und ist persönlicher geworden.

subtext.at: Ich war überrascht, weil das Album nur acht Songs enthält. Weniger ist mehr?
Christopher: Es sollte ursprünglich eine EP werden. Sechs Songs sind eine EP und neun ein Album, da haben wir uns für acht Nummern entschieden (lächelt). Wie auch immer man es benennen möchte. Heutzutage dreht sich die Musikwelt so schnell wie noch nie und Singles zählen mehr denn je. (überlegt kurz) Ich würde nie mehr ein Album mit zwölf oder dreizehn Songs veröffentlichen, welches drei Singles enthält. Die restlichen Songs versauern dann einfach vor sich hin. Auf diese Weise habe ich es am Anfang meiner Karriere gemacht. Das möchte ich nicht mehr. Was ich hingegen möchte: Musik häppchenweise veröffentlichen. Minialben oder EPs, wie auch immer man dazu sagen möchte. Die Songs bekommen so mehr Aufmerksamkeit.

subtext.at: Was definiert ein Album heutzutage überhaupt noch? Die Anzahl der Titel? Die Dauer, der künstlerische Anspruch oder die Industrie?
Christopher: Ich kann hier nur für mich sprechen, aber ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal ein Album mit zwölf Titeln von Anfang bis Ende durchgehört habe. Das ist natürlich traurig auf der einen Seite, auf der anderen aber nun mal der Lauf der Dinge. 90% der Leute konsumieren Musik heutzutage auf diese Art und natürlich gibt es die, die das Album-Format gern haben oder Musik auf Vinyl lieben. Für jeden gibt es etwas, was ihm steht. Für eine Adele oder jemanden wie Bruno Mars ist es ein Format, welches zu ihnen passt. Wer heutzutage ein Album veröffentlicht und anschließend fünf Jahre vergehen lässt, bis der Nachfolger erscheint, ist weg vom Fenster (lacht). Will man neue Fans hinzugewinnen und neue Märkte für sich entdecken, ist diese neue Veröffentlichungsweise unumgänglich. Es geht um Kontinuität, Produktivität und darum, immer weiterzumachen. Du musst die Leute daran erinnern, dass du noch da bist.

subtext.at: Das klingt toll und schön aber auch unheimlich nach Druck, den du haben musst, wenn es darum geht, neue Musik zu veröffentlichen.
Christopher: Das stimmt schon. Ich stelle mir immer die Frage, ob das Publikum sich noch an mich erinnert, wenn ich nach einem Jahr oder nach eineinhalb Jahren neue Musik veröffentliche, weil konstant so viel Musik herausgebracht wird (lacht). Zu viele Gedanken sollte man sich darüber auch nicht machen. Mach dein Ding, fokussiere dich. Es ist definitiv anders als zu meinen Anfängen. Ich bin aber auch ein großer Freund vom Fortschritt, von Veränderung. Ich bin nicht jemand, der immer mit dem Strom schwimmt, aber ich behalte Entwicklungen stets im Auge.

subtext.at: Üblicherweise starten Alben mit einem Opener, der catchy und eingängig ins Ohr geht. „Under The Surface“ fängt hingegen mit einer Midtempo-Ballade an. Warum?
Christoher: Das Album beginnt eigentlich mit dem Song „Bad“ und „Bad“ ist keine Ballade.

subtext.at: Nicht auf Spotify. Dort ist die mediokre Single „My Heart“ an erster Stelle zu finden. Hat das Label für den deutschsprachigen Raum die Reihenfolge der Songs geändert?
Christopher: Kann gut möglich sein. „Bad“ war die erste Single, dann „Monogamy“, beide Uptemo und dann „Irony“ sowie „My Heart“. Danach kam noch „Real Life“ heraus und jetzt schließlich „Ghost“.

subtext.at: „Ghost“ ist der allerneuste Song von dir und somit der Vorbote deines fünften Albums?
Christopher: Genau. 2020 wird es erscheinen. Was Singles angeht, da tue ich mir sowieso schwer, was auszuwählen.

subtext.at: Fällt dir die Auswahl denn so schwer?
Christopher: Extrem schwer. Ich habe ja schon einige Sachen veröffentlicht, aber ein Lied herauszupicken und es damit zum Gesicht des Albums zu machen, zum Gesicht dieser Ära, ist schwer. „Nun gut, was hört sich am meisten nach einem Hit an, was möchte ich sagen, was was geht in mir vor 2020?“, solche Fragen. Was könnte im Radio laufen, was auf Spotify gut gehen? Bei „Ghost“ habe ich dennoch versucht, all diese Gedanken auszublenden.

subtext.at: Schreibst du Songs nur aus deiner Sicht oder kommt es vor, dass du die Perspektive von anderen einnimmst?
Christopher: Ich schreibe aus meiner Sicht, es kommt aber auch vor, dass mir ein Freund etwas erzählt und es fließt dann mit ein im Songwriting-Prozess ein. Liebeskummer, sich niedergeschlagen zu fühlen, Euphorieschübe, wir machen alle die gleichen Emotionen durch. Wir können uns damit identifizieren. Bei „Ghost“ zum Beispiel, da ist der Chorus fröhlich und aufbauend, die Strophen sollten aber als Kontrast dazu melancholisch sein. Man versucht, etwas aus dem eigenen Leben zu nehmen und es mittels Musik greif- und hörbar zu machen. Der Song handelt davon, wie ich mir mein damaliges Leben mit meiner jetzigen Frau, damals Freundin, geistig ausgemalt habe (lacht).

subtext.at: Gratulation.
Christopher: Danke. Sie hat mich zappeln lassen und anschließend drei Monate lang geghosted, bevor wir zusammengekommen sind (lacht). Das ist jetzt fünf Jahre her. Dieses Gefühl, wenn alles in der Schwebe ist, wollte ich damit ausdrücken.

© Daniel Hjorth

subtext.at: Als ich „Under The Surface“ gehört habe, dachte ich mir, du seist jemand, der noch mit selbstzerstörerischen Beziehungen zu kämpfen hat.
Christopher: Wer möchte denn in einer selbstzerstörerischen Beziehung gefangen sein? Das ist ungesund und für keinen hilfreich. Du solltest dich so schnell wie möglich vom Acker machen. Es gibt definitiv Songs, die davon handeln, dass dich jemand schlecht behandelt. Dann packst du eben deine Sachen und gehst im besten Fall.

subtext.at: An anderer Stelle heißt es: „It’s a fine line between loving you and dying“. Optimistisch klingt das nicht.
Chrsitopher: Diese Zeile ist im Song „High“ zu finden. Da ging es mir darum, das Gefühl zu beschreiben, etwas Wertvolles beschützen zu wollen. Natürlich kann jeder die Texte für sich selbst interpretieren. In dem Song „Irony“ etwa, da geht es um ein Tattoo, welches ich mir hab stechen lassen (zeigt auf seine Hand). Meine Eltern waren total dagegen, aber ich hab mir trotzdem eins machen lassen. Du versuchst, die beste Person zu sein, die du eben sein kannst – mit deinen Fehlern, Macken und Vorlieben. Du willst deine Eltern nicht hängen lassen, du willst sie Stolz machen. Auch wenn du keine Tattoos hast, kannst du dich hoffentlich in den Song hineinversetzen.

subtext.at: „Nobody’s perfect under the surface“, heißt es an anderer Stelle. Strebst du nach Perfektion?
Christopher: Nein, tue ich nicht. Ich versuche etwas abzuliefern, was dem so nah wie möglich kommen kann. Natürlich kann man Perfektion offensichtlich nie erreichen. Wenn man nur die Hälfte des Weges geht, dann ist das aus meiner Sicht schon cool genug. Es ist nicht schlimm, nach den Sternen greifen zu wollen und seine Träume realisieren zu wollen, so lange du dir bewusst bist, dass du Perfektion nie erreichen wirst. (überlegt kurz) So erging es mir auch. Du hast ein Ziel vor Augen, du erreichst es und fühlst dich super. Dann legst du dir ein neues Ziel fest. Und noch eins. Und noch eins. So geht das immer weiter. Es ist wichtig, dass man auch den Weg dahin genießt. Das braucht es definitiv Übung.

subtext.at: Die Zeiten ohne Erwartungshaltung von außen scheinst du zu vermissen. Können Erwartungen nicht auch dazu führen, dass man eben an sich arbeitet und sich etwas gewissenhaft vornimmt?
Christopher: Ich kann gut unter Druck arbeiten. Mit Erwartungshaltungen komme ich auch klar. In dem Song geht es einfach darum, dass man sich manchmal diese Zeit zurückwünscht, an dem so vieles einfacher war. Vor allem in den jungen Jahren. Du weißt nicht, was du mit deinem Leben anstellen wirst und es ist vollkommen in Ordnung. Klar, Druck gibt es. Ich habe einen Manager, eine Booking Agentur, eine Band, mit der ich auf Tour bin, ein Label, die alle von mir abhängig sind wie ich von ihnen. Ich muss abliefern, performen und die Maschinerie am Laufen halten. Ich kann mir nicht einfach die nächsten fünf Jahre freinehmen. Ich könnte, aber es spielen zu viele Faktoren eine Rolle und es sind zu viele Personen involviert, die ich nicht hängen lassen möchte.

© Daniel Hjorth

subtext.at: Hattest du jemals das Gefühl, zwischen zwei Stühlen festzustecken? Dass deine eigenen Vorstellungen davon abweichen, in welchem Licht dich andere sehen möchten und wollen?
Christopher: Von meiner Familie und meinen Freunden habe ich nie Druck verspürt. Label und Manager treten mit einer gewissen Erwartungshaltung an dich heran, doch die Erwartungen, die du selbst an dich stellst, die sind definitiv schwieriger zu erreichen. Ich bin mein größter Kritiker. Man kann die Messlatte nur für sich selbst festlegen. Du kannst nicht höhere Erwartungen an andere haben und dich davon ausnehmen.

subtext.at: Gab es eine Zeit, in der du alle zufriedenstellen wolltest und auf deine eigenen Bedürfnisse vergessen hast?
Christopher: Gute Frage. (überlegt) Du musst andere nicht zufriedenstellen, wenn dir nicht danach ist, obwohl wir manchmal dazu neigen, damit eine Situation nicht unkontrolliert eskaliert. Ich kann ziemlich schlecht „Nein“ sagen und in der Vergangenheit habe ich oft Dingen zugestimmt, die ich eher hätte ablehnen sollen. Daran arbeite ich. Ich wäre gern der Typ, dem es egal ist, was andere von ihm halten und denken, doch der bin ich nicht. Wenn ich schlechte Kritiken bekomme, vor allem live, was selten vorkommt, macht mich das fertig (lacht). Da möchte ich gerne sagen: „Fuck that. Let’s keep moving.“ Doch ich ertappe mich dabei, wie ich immer wieder drüberlese, warum dem Kritiker die Show nicht gefallen hat und was ich hätte besser machen können. Wenn die Leute mich als Arschloch abstempeln, kann ich das nicht einfach so wegstecken. Manchmal klappt’s besser, manchmal schlechter.

© Petra Kleis

subext.at: In deinen Songs geht es auch um den Konsum vom Social Media. Machst du dir Gedanken über den Einfluss, den diese Medien auf uns alle ausüben?
Christopher: Wir scrollen uns durch die ganzen Feeds und wir wissen, dass wir uns und unser Leben nicht mit dem vergleichen sollten, was wir da aufgetischt bekommen. Und doch tappen wir in die Falle. Ich weiß, dass ich mein Leben nicht mit dem von Bruno Mars vergleichen sollte und doch tue ich es (lacht). Ich will auch einen Privatjet und im Madison Square Garden auftreten! Es nützt nichts. Es macht einen süchtig. Es werden unrealistische körperliche Standards forciert, an denen sich vor allem die jüngeren Leute orientieren. Kim Kardashian, die Models von Victoria’s Secret. Das ist nicht die Norm und das muss einem mal bewusst werden. Klar, die leben ein verrücktes Leben, doch vergleiche dich nicht mit ihnen, denn der Schein trügt oft und die Filter, die dieses Trugbild verschönern, sind massiv vorhanden.

subtext.at: Haben wir Männer es denn leichter, was Social Media angeht?
Christopher: Ich glaube schon, ja. Ich glaube, dass Frauen zum Beispiel öfter an Bulimie leiden als wir Männer. Dennoch gibt es genau so viele Jungs, die an Stress leiden und mit Ängsten aller Ort konfrontiert sind. Dieses Gefühl, nicht gut genug zu sein, kann durch Social Media noch verstärkt werden.

subtext.at: Glaubst du, dass man seine Persönlichkeit im Laufe der Jahre noch ändern kann?
Christopher: Wieso sollte man es nicht können?

© Daniel Hjorth

subtext.at: Weil man weiß, wer man ist, die eigenen Schwächen und Stärken kennt, sich im besten Fall für andere nicht mehr verbiegen muss…
Christopher: Vielleicht bin ich ja naiv, aber die Welt wäre arm dran, wenn es irgendwann zu spät sein sollte, sich und sein Verhalten zu ändern. Ich bin ein großer Verfechter von zweiten Chancen und ich bin jemand, der daran glaubt, dass es nie zu spät ist, den richtigen Schritt zu tun. Es ist wie mit der Frage nach dem Glas, ob es halbvoll oder halbleer ist. Die Einstellung ist wichtig.

subtext.at: Gab es einen Augenblick, wo du einen Aspekt deiner Persönlichkeit hättest verändern wollen oder bewusst verändert hast?
Christopher: (überlegt) Nein. Es ist ein Prozess und in manchen Dingen wirst du besser. Ich weiß nicht, ob man da gleich von einer Veränderung sprechen sollte. Aus deinen Fehlern musst du lernen und du lernst so viel. Lessons are to be learned.

© Petra Kleis

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Titelfoto: Petra Kleis

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