Gekommen, um zu sterben – aber erst morgen

Nach Sun City kommen die Leute, um zu sterben. Die Rentnerstadt in der Wüste Arizonas ist das Paradies für viele US-Amerikaner aus dem Norden, die im Alter den Schnee gegen Sonne tauschen und ihren Lebensabend in Ruhe unter Gleichaltrigen mit Golf, Keramik und Shuffleboard verbringen möchten. Im Film Gestorben wird morgen porträtiert die deutsche Dokumentarfilmerin Susan Gluth die Stadt und ihre Einwohner. Sie richtet dabei die Scheinwerfer auf die Probleme des Alters wie Einsamkeit, Gesundheit und den Verlust der Selbstbestimmung, schafft es aber dabei dennoch, ein positives Bild vom Altern zu zeichnen.

60.000 Personen wohnen in den Häusern von Sun City, die sich an den breiten Straßen, natürlich rollatorfreundlich ohne Gehsteigkante, aneinanderreihen. Seit der Gründung Anfang der 1960er Jahre hat sich die Stadt nahe Phoenix zu einem Eldorado der betagten und besser betuchten Mittelschicht der Bevölkerung entwickelt. Krankenhaus, Arztpraxen und Apotheken sind ebenso schnell erreichbar wie Supermärkte, Freizeitcenter und Golfplatz. Bemerkenswert ist die hohe ehrenamtliche Beteiligung der Bewohner in der Verwaltung, Freizeitgestaltung oder der Kirche und die niedrigen Steuersätze, da es keine Schulen und wenig andere steuerlich finanzierte Einrichtungen gibt.

Foto: gluthfilm

Gegen die Einsamkeit
In Sun City sind die Menschen unter sich, Wohnraum kaufen darf man hier erst ab 55. Die Einwohner sind fast ausschließlich weiß, das Durchschnittsalter liegt bei circa 80 Jahren. Lediglich die Pflegekräfte in Sun City sind jünger und kommen aus Lateinamerika oder Asien. Das Leben in Sun City ist sehr abgeschottet, erinnert fast an „Gated Communities“ – in Europa würde so ein Modell ohne kulturelle und generationenübergreifende Durchmischung wohl kaum funktionieren, in den USA aber umso mehr. Der Film zeigt sehr typisch den „American Way of Life“ im Alter, der sich in großen Teilen von unserem unterscheidet, aber sich in einem Punkt doch ähnelt: Die Sorgen und Probleme sind dieselben. Vom schmerzenden Knie über die Kinder, die sich nie melden, bis zum Verlust des Ehepartners: Die Bewohner Sun Citys haben ähnliche Sorgen und schätzen den Austausch miteinander. Der Film unterstreicht die Bedeutung der Gemeinschaft – vor allem im Alter, wenn die Einsamkeit überhandnehmen kann.
Susan Gluth gelingt es in Gestorben wird morgen, das Alter und auch das Leben in Sun City als etwas Positives darzustellen. Das sahen übrigens viele Bewohner der Rentnerstadt bei der Premiere vor Ort anders, wie Co-Produzent Antonio Martinez beim Special Screening im Moviemento erzählt: „Sie empfanden die Darstellung von Sun City als negativ, in Wirklichkeit sei es dort noch viel fröhlicher und positiver.“

Die Dokumentation zeigt die gesamte Bandbreite des Alters – vom frisch Pensionierten bis zur blinden Pflegebedürftigen – und betont dabei auch die Individualität des Alterns. Nicht jeder will golfen, nicht jede will töpfern. „Das ist auch die Herausforderung für die Politik“, resümiert Karin Hörzing, Vizebürgermeisterin für Soziales in Linz, die beim Screening ebenfalls anwesend war: „Es braucht idealerweise persönlich zugeschnittene Konzepte.“ Besonders wichtig sei ihr dabei, die Menschen möglichst lange aktiv zu halten und Angebote mit niederschwelligem Zugang anzubieten, um die Einsamkeit im Alter zu verringern.

Foto: gluthfilm

Das dritte Leben
Erst seit wenigen Jahrzehnten ist die Gestaltung des Lebensbereichs nach der Pensionierung ein Thema. Früher ging die Erwerbstätigkeit oftmals direkt in die Pflegebedürftigkeit über. Mit 65 sind Senioren heute aktiv, reisen, gehen ihren Hobbys nach und haben Zeit für sich und ihren Partner. Eine Protagonistin des Films, Kitty, betont vor allem, wie wichtig der Partner ist – nicht nur in dieser Lebensphase. Immerhin ist sie mit Roger verheiratet und nicht mit ihren Kindern. Für sie ist es schmerzhaft, dass die Kinder weit weg wohnen und sie Kitty vermutlich nicht so sehr vermissen wie Kitty sie. Aber das findet sie auch gut so, sie haben ihre eigene Familie – wie auch Kitty Roger hat. Schwierig wird es dann, wenn der Partner oder die Partnerin stirbt. Dann habe man aber immerhin die Freunde in Sun City.

Das sogenannte „Third Life“ ist für viele ein aufregender, aber auch beängstigender Lebensabschnitt, an den auch die Protagonisten des Films unterschiedlich herangehen – von erwartungsvoll über zynisch bis pragmatisch. Susan Gluth inspiriert mit ihrem Film sowie den Protagonisten und regt an, diese Zeit für sich zu nutzen – ob in Sun City oder Linz sei jedem selbst überlassen.

GESTORBEN WIRD MORGEN
Regie: Susan Gluth
Kamera: Susan Gluth
DE 2018 | 73min

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