Foto: Marathonmann // Bastian Scholl

Marathonmann: Alles auf die akustische Null

„2020 war für keine Band ein einfaches Jahr“. Marathonmann aus München bringen es auf den Punkt. Gerade für Punkrock-Vertreter hat Corona den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Jungs aus Bayern machten aber das beste draus – ein akustisches Live-Album. Klingt komplett anders als man es von Marathonmann gewohnt war, bringt aber neue Facetten in die Geschichte einer Band, die seit Jahren zum Must-Listen der deutschen Punkrock-Szene gehört. Am 9.4. erscheint die akustische Version von „Alles auf Null“ auf Redfield Records, und wird passenderweise als Live-Stream-Konzert im Z-Bau Nürnberg präsentiert. Ein – wie sollte es anders sein – Zoom-Interview mit Frontmann Michi zum neuen Album, Grenzen und Verantwortung als Musiker. 

subtext.at: Hätte mir vor einem guten Jahr jemand erklärt, dass Marathonmann ein Akustik-Album, noch dazu live, veröffentlichen wird, hätte ich denjenigen wohl für verrückt erklärt. Würdest du mir da zustimmen?
Michi: In gewisser Weise. Vor ungefähr drei Jahren hatten wir ja schonmal eine Acoustic-Tour gespielt, das ist also nicht komplett ungewöhnlich. Aber dass wir 2020 eine akustische Live-Platte aufnehmen, hätte ich vor einem Jahr auch nicht gedacht.

subtext.at: Du hast schon angesprochen – euch hat es ja auch akustisch schon gegeben. Auf dieser Acoustic-Platte klingt das dann aber doch nochmals komplettt anders, gerade was Instrumentals angeht. Wie schwierig war es, weg von der „klassischen“ Punkrock-Besetzung hin zu Cello, Klavier & Co zu denken?
Michi: Komischerweise war das gar nicht so schwer – wie du schon gesagt hast, gab es Marathonmann ja schon in verschiedenen Ausführungen, mal mit Akustik-Gitarren, mal mit Klavier dabei. Wir hatten schon ein paar Versionen von uns probiert, und die auch im Studio probiert. Irgendwie ist es ziemlich einfach von der Hand gegangen, die Songs umzubasteln. Johnny (Gitarrist der Band, Anm. d. Red.) hat sich mal ans Klavier gesetzt, und hat gemeint, dass er ja eigentlich Klavier gelernt hätte (lacht). Das war schon mal ein großer Vorteil, dass wir da das Klavier schon mal abgedeckt hatten. Die Streicher sind eh beides Profis – da war die Sache schnell gegessen. Ich bin an die Akustikgitarre gegangen – man weiß ja, dass jeder Bassist auch die akustische Gitarre spielen kann. Das ist ja nichts Besonderes (lacht). Es ging relativ gut – die sprichwörtliche „Magie“ war sofort da.

subtext.at: In der Aussendung zum Album heißt es, ihr seiet „mit der üblichen Punkbesetzung an Grenzen gekommen“. Du hast gerade gemeint, dass es instrumental gesehen gar nicht so schwierig war – an welche Grenzen seid ihr gestoßen?
Michi: Musikalische Grenzen? Eigentlich hatten wir uns keine Grenzen gesetzt, und richtige Grenzen hatten wir eigentlich keine. Wir wollten dann auch schnell immer mehr Instrumente – etwa noch einen Kontrabass oder eine Querflöte. Wenn du einmal in diesem kleinen Orchester-Arrangement drinnen bist, dann tun sich so viele Möglichkeiten auf, die viele Grenzen sprengen können. Das ist total interessant – wir haben auch schon öfters gesprochen, ob es möglich wäre, die Band noch zu vergrößern und dann eine „Super-Show“ zu machen. Mit so vielen Gastmusikern, dass sich dann wirklich jeder denkt, dass sie durchdrehen (lacht).

subtext.at: Apropos „Durchdrehen“ – live wart ihr 2020 auch am Start. Ohne Durchdrehen halt – mit Abstand, Sitzplatz und Vielem mehr, was durch Corona dazugehört. Wie schwierig war es, euch von einer klassischen Punkrock-Show auf eine Acoustic-Tour einzustellen?
Michi: Wie erwähnt waren wir ja schon mal auf einer Acoustic-Tour, das ging also. Wir stellten damals schon fest, dass es natürlich etwas ganz Anderes, aber in dieser anderen Form etwas sehr Intensives ist. Laute Konzerte sind natürlich intensiv, aber wenn du die Leute im Sitzen vor dir siehst, ist es das auch, auf eine komplett andere Art. Jeder ist entspannt, trinkt seinen Wein – auch die Band (lacht). Man redet unter einander, nimmt nicht alles ernst, und hat einfach einen schönen Abend, wo man nicht, wie etwa bei einer lauten Show, „über“ dem Publikum steht, entertainen und abliefern muss. Man kann auch etwa zwischendurch mal aufs Klo gehen – das hat einen ganz anderen Zauber. Es war nicht schwierig, wir hatten uns einfach gefreut, dass wir das machen durften. Auch und gerade mit sitzendem Publikum.

subtext.at: Ältere Versionen von „Abschied“ gab es zuvor, neuere wie „Die Bahn“ vorher noch nicht in akustischer Form noch nicht. Hattet ihr bei den neueren Alben auch schon mitbedacht, neue Nummern auch akustisch performen zu können?
Michi: Bei dem Album, das wir eventuell gerade schreiben (lacht)? Ja, wir denken da schon ein bisschen anders, etwa in Klavierstimmen, und ich denke auch oft daran, wo etwa ein Cello oder eine Geige im Song vorkommen könnte. Ich denke aber, dass ein Punkrock-Song, wenn er akustisch funktioniert, ein guter Song ist. Oder generell ein Song – auch in anderen Bereichen. Wenn du ihn akustisch gut spielen kannst und er gut funktioniert, ist es ein guter Song. So gehen wir auch generell an die Sache ran. Die Überlegung wäre schon, ein lautes Album zu machen, und daneben vielleicht eine akustische EP davon. Wie die Foo Fighters fast schon (lächelt).

Ein Bild aus besseren, lauteren Zeiten: Marathonmann in gewohntem Gewand live (Molotow Hamburg, Dezember 2014. Foto: Christoph Leeb)

subtext.at: Ihr hattet durch Corona keine „normale“ Release-Tour, sondern eben die angesprochene Akustik-Tour. Könnte man sagen, dass gerade dadurch Marathonmann viel mehr geworden ist, als es vorher war?
Michi: Kann man wirklich so sagen. Ohne Corona hätte es diese Version von uns sicher nicht so gegeben. Unsere Cellistin war schon mal bei einer Show dabei, aber dass wir so viele Songs so verändern und neu ausarbeiten – das war schon Corona, ja. Das muss man schon so sagen – sonst wären wir wahrscheinlich von der Album-Tour in die nächste Produktion geschlittert und hätten gar keine Zeit gehabt.

subtext.at: Das Album präsentiert ihr auch live – halt nicht vor Publikum, sondern in einer leeren Location, die wohl sonst eher nach „verschwitztem Freitagabend“ klingen würde. Wie schafft ihr es, auf einer Bühne zu stehen, ohne Publikum, aber dennoch das Feeling eines Live-Konzertes rüberzubringen? Wie schwierig ist es, so eine Live-Situation quasi zu simulieren? 
Michi: Für mich persönlich ist es sehr, sehr schwierig – weil eine Band natürlich von Applaus, Blicken und Emotionen im Publikum lebt. Gerade bei einer akustischen Show, wo Leute sitzen. Ich schaue da sehr gerne in die Augen, wie sie sich bewegen, und merke die Stimmung bei ruhigeren Songs gleich mal. Das hat man im Livestream gar nicht. Wir versuchten beim letzten Stream, dass die Band untereinander möglichst gut funktioniert, dann sind die Blicke untereinander oder die blöden Sprüche zwischendurch der Applaus. Man kann zwar ein paar Fragen zwischendurch über Live-Chats oder dergleichen stellen – das ist aber nicht dasselbe. Ich kann mich noch nicht daran gewöhnen – ich bin nicht der große Livestream-Fan. Ich hab natürlich große Lust, am 9.4. die Release-Show zu spielen, auch die Lichtshow ist besonders, aber es bleibt eine strange Sache und mein Publikum ist mir natürlich lieber. Man muss sich anpassen, lernt das auch und kann auch durch einen Livestream die Energie rüberbringen, die es braucht, um die Sache weiterzumachen und die Situation zu überstehen.

subtext.at: „Man muss sich anpassen“ – nicht nur ihr als Band, auch das Publikum muss sich anpassen. Wenn ich mit anderen spreche, höre ich oft einen Überdruss an Livestream-Formaten sowohl bei Artists als auch beim Publikum heraus. Siehst du die Gefahr auch, dass der Zugang zu Musik dadurch auch langfristiger verändert wird?
Michi: Der Livestream ist dann so schnell weg, wie er gekommen ist. Die Leute wollen sicher raus, auf Live-Konzerte. Auch mit Abstand – auch die Tour mit Maskenpflicht und Co hat keinen gestört. Die Leute haben auch mitgemacht – die wollen auch einfach mal etwa wieder eine Gitarre hören. In einem Stream könntest du deine Platte playback spielen und dazu spielen, und keiner würde es merken. Der Livestream ist der Übergang – und verschwindet dann schnell wieder.

subtext.at: Wie wird die Tour zum Akustik-Tour realistischerweise aussehen?
Michi: Wir wollen natürlich auf Tour gehen. Wir haben auch eine Tour geplant, die wäre auch geblockt – aber wissen halt nicht, was Sache ist. Aber wieder eine Tour ankündigen ist halt schwierig – auch angesichts steigender Zahlen.

subtext.at: Noch kurz zu einem anderen Thema: dem politische Aspekt. Wenn du an Live-Gigs in normalem Umfeld denkst – muss man hier auch politisch wieder in Richtung „Normalität“ agieren, wenn es etwa auch in der Clubszene Tendenzen gibt, die es vor zwei Jahren so noch nicht gegeben hätte? Wo siehst du hier auch die Verantwortung der Artists?
Michi: Ich glaube schon, dass sich die Sache wieder etwas beruhigen kann. Klar: die Dinge sind passiert und gesagt und ich will auch niemanden in Schutz nehmen. Natürlich habe ich die Debatten mitbekommen – aber Leute wissen auch oft nicht mehr, was sie denken sollen. Es ist ein absolutes Gefühlschaos in den Menschen – manche können besser damit umgehen, manche gar nicht. Das ist auch das, was wir in vielen Texten thematisieren – das Menschliche, Gefühle, Reaktionen auf Dinge, die man vielleicht gar nicht so will. Es hat sich viel aufgestaut, das explodiert gerade – natürlich auch viele uncoole Sachen. Wenn es wieder normaler wird, wird es auch hier wieder normaler. Aber Sachen sind gesagt – wie es weitergeht mit Locations oder Artists, die fragwürdige Dinge publizieren, weiß ich nicht. Das wird die Zukunft dann zeigen. Wir als Marathonmann versuchen, mit unserer Kunst den Leuten diese Zeit so gut wie möglich zu gestalten – ohne Verschwörungstheorien oder Aussagen, wie man denken sollte. Wir sind Künstler, wir sind Musiker – wir sollten mit unserer Musik Leute die Zeit einfacher gestalten.

subtext.at: Zum Abschluss noch: nenne bitte ein Ding, was du an einem Akustik-Album nicht vermissen werde?
Michi: Was ich nicht vermissen werde, wenn wir nicht mehr akustisch spielen? Das Geigen-Feedback und das Cello-Feedback auf den Monitoren. Definitiv. Oder die Mikrofone an Streichinstrumenten – das sind ganz schlimme Mikrofone (lacht).

  • Marathonmann: Alles auf Null
    VÖ: 9.4.2021, Redfield Records
    Format: CD, digital, limited Vinyl (Halb Schwarz/Silber, Schwarz mit weißem Splatter)
    Redfield Records
    Tracklist
    1. Holzschwert
    2. Nie Genug
    3. Hinter den Spiegeln
    4. Flashback
    5. Abschied
    6. Die Bahn
    7. Rücklauf
    8. Wir sind immer noch hier
    9. Blick in die Zukunft
    10. Wo ein Versprechen noch was wert ist
    11. Am Ende nichts
    12. Die Stadt gehört den Besten
    Mehr Infos: official // Facebook 

Titelfoto: Marathonmann // Bastian Scholl

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.