„Frei von Ideologien! Das ist Anarchismus!“
Heute, am 5. Oktober 2009, wäre Leopold Kohr 100 Jahre alt geworden. Öffentliche Beachtung fand er mit seinen Theorien zum menschlichen Maß als Vorbild für die Größe von Gesellschaften und Staaten. Seine Kritiker halten und hielten seine Überlegungen, die im Kontext der Wirtschaftskrise wieder an Brisanz gewinnen, für nicht umsetzbar.Geboren 1909 in Oberndorf bei Salzburg, wurde Kohr früh politisch geprägt. Nachdem er sich stark mit der Sozialdemokratie und später auch dem Marxismus auseinandergesetzt hatte, bezeichnete er sich in Folge als Anarchist. Er verstand sich als kritischer Beobachter von übergroßen Gesellschaften und Ideologien.1937 ging Kohr nach Spanien, um dort während des Spanischen Bürgerkrieges als Berichterstatter von Zeitungen aus Österreich, der Schweiz und Frankreich zu arbeiten. Er positionierte sich gegen den Faschismus. Um der politischen Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime zu entgehen musste er im darauf folgenden Jahr aus Österreich fliehen.
„Die wirklich revolutionäre Alternative zu Kapitalismus, Imperialismus, Kommunismus, Nationalismus – zu Schwarz, Rot, Blau oder Braun – ist nicht Grün, sondern klein.“
Der Philosoph, Ökonom und Staatswissenschafter widmete sich in den USA neben seinen Lehrtätigkeiten in den Fächern Nationalökonomie und politische Philosophie seinen Ideen zu einem besseren Leben des Individuums. Kohr war der festen Überzeugung, dass Menschen nur in überschaubaren Größen ein Leben in Frieden und Wohlstand führen können. Er begründete diese Annahme mit den zerfallenen und an ihrer übermenschlichen Größe gescheiterten Großreichen des Altertums und der neueren Geschichte. Leopold Kohr plädierte stets für ein Europa der Regionen. Nach dem Modell der Schweiz sollte sich Europa aus 40 bis 50 gleich großen Staaten mit einer begrenzten Anzahl an Einwohnern zusammensetzen. Somit könnten die Fähigkeiten und Bedürfnisse jedes Einzelnen hervorgehoben und entsprechend aufeinander abgestimmt werden.
Kohr setzte sich 1967 für die Unabhängigkeitsbewegungen der Karibikinsel Anguilla ein, indem er im Besonderen die Wirtschaft nach seinen Modellen gestalten wollte. Nach zwei Jahren geriet Anguilla jedoch erneut unter britische Verwaltung, wobei eine innere Autonomie und 1982 schließlich eine Verfassung erreicht wurden.
Verleihung Right Livelihood Award und die (Wieder-)Entdeckung Kohrs
1983 wurde Leopold Kohr für seine Theorien zu idealen Größen von Gesellschaften in Stockholm mit dem Right Livelihood Award (dem Alternativen Nobelpreis) ausgezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt fand Kohr auch in Österreich langsam wieder Beachtung. Er hielt einige Vorträge zu seinen Ansichten in Bezug auf Fortschritt (vgl. „Grenzen des Wachstums“, Club of Rome) und – was ihm ein ganz besonderes Anliegen war – diskutierte diese anschließend mit dem Publikum. Die Leopold-Kohr-Akademie, gegründet 1986 in Neukirchen am Großvenediger, und der Kulturverein Tauriska haben sich zum Ziel gesetzt, die Theorien Leopold Kohrs in Bezug auf die Förderungen von Regionen – im Sinne Kohrs als überschaubare Einheiten – wieder aufzugreifen und in eigenen Projekten auch praktisch umzusetzen.
1989 erhielt Leopold Kohr das Große Goldene Ehrenzeichen um Verdienste um die Republik Österreich. Fünf Jahre später, im Jahr 1994, starb Kohr in Gloucester.
Im Zentrum von Salzburg befindet sich das Leopold Kohr Archiv, das zu bestimmten Öffnungszeiten auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Kohr Nachlasses werden dessen Theorien auch in interdisziplinären Lehrveranstaltungen der Universität Salzburg Interessierten näher gebracht.
Weitere Informationen
Wer mehr über Leopld Kohr erfahren will hat dazu folgende Möglichkeiten: im Otto Müller Verlag erscheinen Kohrs wichtigste, aber zumeist vergriffenen Werke neu. Zudem widmen sich in den kommenden Tagen Radiosendungen dem Geburtstagskind, so z.B. Ö1 mit einem Salzburger Nachtstudio am Mi, 7. Oktober, um 21.01 Uhr. Am Sa, dem 17. Oktober., widmet Deutschlandradio Kohr eine lange Nacht. Wer schnell ist kann die Ausstellung im Salzburg Museum besuchen, die noch bis zum 11. Oktober zu sehen ist.
Links & Webtips
Foto: Salzburg Museum