Moving Lyric: ein neuer Zugang muss her!

 

Die modernisierte Reise durch die europäische Geschichte der Lyrik in zwölf Kurzfilme gepackt, verwirklicht von jungen Menschen für junge Menschen – das ist Moving Lyric.
Unterstützt durch das Programm „Jugend in Aktion“ entstand eine Sammlung der Arbeit eines Jahres. Hinter dem Projekt stecken die Newcomer Christian Kurz, Rosalie Hübl, Dominik Traun und Stefan Kurz.

Bunt gemischt wurden zwölf der herausragendsten Gedichte aus ganz Europa, elf davon Klassiker, auf originelle Weise verfilmt. Zeitlose Werke wie Goethes „Der Erlkönig“ und „Die Komödie“ von Dante Alighieri werden hier neu aufgearbeitet und einer Generation, bei der die Lyrik leicht in Vergessenheit gelangt, schmackhaft gemacht. Teilweise wurde – aus Zeitmangel –  nur ein Akt der Geschichten präsentiert. Erste Station auf der kulturellen Endeckungsreise ist „Der Erlkönig“. Weltliteratur von Goethe. Die Mamas unserer Zeit mussten diese Ballade noch auswendig lernen, wir nicht und die vier „Projektleiter“ sorgen dafür, dass uns dieses Schmankerl der deutschsprachigen Literatur nicht vorenthalten wird. Stellenweise mit sehr schnellem Schnitt zur Unterstreichung des Textes, und nur Close-Ups der Gesichter im Bild, wird der 8-Stropher nicht nur zum Ohrenschmaus.

Weiter geht es mit einer, naja sagen wir interessanten, Darbietung O´Shaughnessy´s „Ode“. Veröffentlicht gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist die englische Originalfassung nur selten in Büchern oder auf Web-Seiten anzutreffen. Meist wird dieses Gedicht in sehr gekürzter Fassung präsentiert. Auf Moving Lyric zwar nicht, dafür aber in Englisch mit österreichischem Akzent. Klingt komisch? Ist es auch, zumindest ein wenig. Verglichen mit dem „Erlkönig“ wirkt dieser Kurzstreifen fast schon langweilig und bieder. Aber über Geschmack läst sich bekanntlich ja streiten.

Die Internationale am Bahnhof
In Alighieris „Die Komödie“ wird in der Ichform eine Reise durch die drei Reiche der jenseitigen Welt – die Hölle (Inferno), der Läuterungsbereich (Fegefeuer) und das himmlische Paradies – erzählt. Geführt wird der Reisende von verschiedenen Jenseitsführern. Bei „Die Komödie“ wird nur der Inferno-Part in einem alten verlassenen Gemäuer, bildlich nicht sehr eindeutig zu der Geschichte passend, verfilmt. Es wurde nur mit den Licht und dessen Farbe variiert. Den Rest kann man sich denken, aber ein bisschen künstlerische Freiheit sei den vieren schon vergönnt. „Die Internationale“ von Eugéne Pottier, mit Melodie ein weltweit bekanntes Kampflied, wurde (ohne Melodie) auf einem Bahnhofsgelände gedreht. Die Bilder passen sehr zur sozialistischen Arbeiterbewegung, für die das Gedicht ursprünglich geschrieben wurde.

Kinderspielplätze und Schiller-Raps
Noch puristischer ist die Verfilmung von Henrik Ibsens „Der Bergmann“. Der norwegische Schriftsteller würde, wenn er noch leben würde, seine Geschichte auf einem Kinderspielplatz dargeboten wiederfinden.
Ein echter Meilenstein der vorchristlichen Literatur wird mit „Ödipus der König“ geboten. Ödipus, der seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet, wird in Moving Lyric von zwei Ärztinnen in einem alten verlassenen Gemäuer konfrontiert und treibt diese am Ende vor sich her. Das ist zwar wenig ungewöhnlich interpretiert, aber durchaus interessant. Der Originellste Fünfminuter ist Friedrich Schilles Ballade „Die Bürgschaft“. Wieder ein weltberühmtes Werk – nur diesmal in Rap-Form vorgetragen. Prädikat hörenswert, selbst für die, die mit Rap nichts am Hut haben. „An einem dichtenden Freund“ von Alexander Puschkins findet nicht bei einem Kaffee-, sondern bei einem Teekänzchen statt. Dem größten Lyriker der russischen Romantik wäre Vodka mit Sicherheit lieber gewesen, aber dennoch ein unterhaltsames Bild mit Realitätsnähe.

Ende des 16. Jahrhunderts entstand die Tragödie von „Julius Caesar“, geschrieben von William Shakespeare. Heutzutage ist es im verrauchten Hinterzimmer in schwarz-weiß mit ausgefeiltem Schnitt und origineller Belichtung dank des „Projekt-Quartetts“ noch genau so unterhaltsam. Bei der nächsten Verfilmung, „Der trojanische Herd“, bekommen wir einen Film präsentiert, dessen Autor sogar noch unter uns Lebenden weilt. Konstantin Hondros, mitte zwanzig (!), versucht laut eigener Aussage mit dem Gedicht unsere Illusion einer Raum/Zeit Distanz zu Gewalt auf verschiedenen Ebene zu relativieren. Die Idee zur Sendung überhaupt etwas beizutragen entstand aus dem Wunsch, nicht nur große Gedichte alter Meister verfilmt zu wissen.

Ein Gedicht des Polen Adam Mickiewicz namens „Uncertainty“ handelt von der Unsicherheit in der Beziehung zu einem Menschen. Diese Unsicherheit soll laut Moving Lyric durch die Aufnahmetechnik in Einzelbildern noch hervorgehoben werden. Das ist dem Projekt mit den stakkato-artigen Schnitten definitiv gelungen. Hier sieht man kaum Bewegungen der Akteure und die puristische Szenerie vor einer Tür lassen kein heimeliges Gefühl aufkommen.
Der letzte Programmpunkt von Moving Lyric stammt von Charles Baudelaire. Neben politischen Schriften und einer linken Zeitschrift übersetzte dieser verschiedene Werk des Amerikaners Edgar Allan Poe. 1957 brachte er erstmals einen Gedichtsammelband mit Namen „Die Blumen des Bösen“ heraus. Darauf enthalten ist neben über 100 Gedichten unter anderem „Die Schönheit, Zweikampf“. Ein Gedicht, das Kurz, Kurz, Hübl und Traun mit dem Flair der Pariser Bohéme und dem Bild eines Mannes, der gerade massiert wird, angereichert haben.

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Foto: Moving Lyric