Einmal Mitleid mit Pommes und Ketchup!

Bei jeder Katastrophe irgendwo auf der Erdkugel gilt aufs Neue unser „Mitgefühl allen Betroffenen“. Menschen posten bei Facebook, wie sehr sie mitleiden mit den Bebenopfern in Japan und den Grubenarbeitern in Chile. Sie treten Gruppen bei, die symbolisch „ein Licht“ anzünden für die Japaner. Im besten Fall wird gespendet.

Doch jetzt mal ehrlich: Wem von uns geht es wirklich schlecht, wenn er Nachrichten von der Katastrophe konsumiert? Wer ist verzweifelt und traurig, wenn er an die über tausend Opfer denkt? Denn nichts anderes bedeutet ja „mitleiden“, also das Leid ebenfalls empfinden, das jemand anderem zustößt. Ich wage zu behaupten nur die wenigsten. Und ich stelle hier einmal die ketzerische These auf, dass das auch ganz in Ordnung so ist.Echtes Mitgefühl mit einer Unzahl von namenlosen Opfern überfodert uns einfach. Um wirklich Mitleid empfinden zu können brauche ich eine konkrete Bezugsperson, zu der ich eine Beziehung aufgebaut habe. Nicht umsonst berührt uns das einzelne Schicksal des kleinen Giosué aus „La vita é bella“ mehr, als die bloße Zahl von 6 Millionen Holocaust-Opfern.

Abgesehen davon wäre es auch nicht zielführend, wenn wir tagtäglich mit anderen, weit entfernten Menschen Mitleid empfinden würden. In den allermeisten Fällen können wir nämlich gar nichts tun. (Ja, okay, spenden. Spenden ist natürlich immer gut. Tun wahrscheinlich aber auch nur 5 % aller „ach-wie-schrecklich-Rufer“.) Was bleibt ist Pathos und lauthalse Mitgefühlsbezeugungen. Im ergonomisch geformten Bürostuhl sitzend klicken wir dann halt auf die Facebook-Gruppe „Japan we are with you“. (Anm.:Hier spreche ich nicht von organisierter und politischer Hilfeleistung anderer Nationen, die im Gegensatz zur persönlichen Einflussnahme sehr wohl möglich und in einer globalisierten Welt unbedingt notwendig ist.)

So what? höre ich jetzt manchen sagen. Nichts. Dagegen ist nichts einzuwenden. Pseudo-Mitleid schadet niemandem und lässt uns für einen kurzen Moment glauben besonders gute Menschen zu sein. Warum dann dieser Kommentar? Weil wir uns hin und wieder daran erinnern sollten, dass es auch um uns herum Leid gibt. Zwar möglicherweise nicht in dem Ausmaß, wie zur Zeit in Japan, aber durchaus vorhanden.

Wir rennen täglich an ihnen vorbei, sitzen mit ihnen in der Klasse, wohnen mit ihnen Tür an Tür: Menschen, die mit – selbstverschuldet oder nicht – ziemlich widrigen Umständen zu kämpfen haben. Das Gute daran ist *Trommelwirbel*: Hier kann Ottonormalverbraucher etwas tun.

Fazit: Solange wir also reales Mitleid unseren näheren Mitmenschen gegenüber empfinden,  ist ein bisschen heuchlerisches Pathos erlaubt. Solange wir der Bettlerin am Hauptplatz einen Kaffee kaufen, uns für unsere Nachbarfamilie einsetzen, die abgeschoben werden soll oder uns Zeit nehmen, uns mit der einsamen Großtante zu treffen. Aus Mitgefühl.

Foto: Heinz-Josef Lücking // Lizenzlicenses/by-sa/3.0/deed.de