POLARKREIS 18: „Wir wollen die Menschen zusammenbringen“
Und plötzlich waren sie alles andere als allein, allein: Polarkreis 18 wurden innerhalb kürzester Zeit zu Popstars. Nach dem Höhenflug kam dann der Fall. Die Band um Sänger Felix Räuber konnte sehen und erfuhr am eigenen Leib, wie schnell das heutzutage gehen kann. Erst umjubelt Konzerte spielen, wenig später interessiert sich die große Masse nicht mehr für dich und deine Anliegen.
Mit „Frei“ kämpft die Formation nun weiter. Ein Aufgeben ist 2011 nicht in Sicht, immerhin machen Polarkreis 18 seit 1997 gemeinsam Musik. subtext.at hat im Interview mit Felix Räuber näheres über Erfolg und Misserfolg erfahren und auch darüber philosophiert, wie unsere Gesellschaft in dieser Zeit tickt.
subtext.at: Felix, euer letztes Album „The Colour Of Snow“ war ein sehr großer Erfolg. Gleichzeitig hat euch der Mainstream, das unersättliche Monster, geschluckt. Was habt ihr rückblickend aus dieser Zeit gelernt?
Felix Räuber: (überlegt) Wir haben gelernt, dass das Monster Mainstream, wie du es gerade formuliert hast, unersättlich ist. Wir haben die Zeit als extrem schnelllebig empfunden und neben den großen und vielen Chancen auch gemerkt, dass man sehr schnell ganz ganz tief fallen kann.
subtext.at: Hast du heute eine Erklärung für euren rasanten Aufstieg?
Felix: War ganz klar der Song „Allein, allein“. Wir haben einen Song kreiert, den hierzulande die Herzen der Menschen getroffen hat und den Zeitgeist dokumentiert hat, sag ich mal. Auch wenn ein Großteil der Menschen die eigentliche Botschaft des Songs wahrscheinlich gar nicht bewusst verstanden hat. Eigentlich ist es ein Abbild der derzeitigen Situation, der Gesellschaft, in der wir leben: Ein Chor von tausendfünfhundert Menschen singt das Wort „Allein“. Dabei entsteht eine Stimmung, eine Dekadenz, die eine große Menschenmasse in einer Art Zusammengehörigkeit dazu bringt, ihre eigene Einsamkeit zu besingen. Man befindet sich im urbanen Raum, wohnt mit ganz vielen Menschen auf einem Haufen, aber man weiß nicht, wer eigentlich der Nachbar schräg gegenüber im Haus ist. Weil man immer seinen eigenen Wege geht.
subtext.at: Neben der Wohnung meines Onkels lebte eine ältere Frau, und sie war schon zwei Wochen lang tot, als man sie dann fand.
Felix: Das ist genau das Bild. Absolut. Es liegt halt an dem krassen Leistungsdruck, dass die Leute superkrass erfolgsorientiert sind und ihr eigenes Glück über Erfolg definieren. Heutzutage wird Glück über Erfolg definiert. Das ist ein Trugschluss, in dem sich unsere Gesellschaft befindet, weil dadurch, dass Glück mit Erfolg zusammengebracht wird, bist du nicht automatisch ein glücklicher Mann, wenn du ein reicher Mann bist. Ein schlimmes Bild, was suggeriert wird. Ein Großteil strebt nach einer Karriere, nach Erfolg, der nicht sozial ausgerichtet ist, sondern egoistisch. In einem Land wie Indien oder Sri Lanka, wo die Menschen überhaupt nicht erfolgsorientiert sind, ist der Zusammenhalt in der Gesellschaft viel stärker. Dort sind die Menschen sind auch nicht einsam. In den sozialisierten Ländern finden sich viel mehr einsame Menschen als in Ländern, in…
subtext.at: Dritte-Welt-Ländern?
Felix: Genau.
subtext.at: Lass uns zurück zur Musik kommen. Musikhörer kann man grob in zwei Sparten einteilen: Die einen, die sich durch sie abgrenzen möchten, und die anderen, die dazugehören wollen. Wie war das bei euch?
Felix: Wir haben und 1997 gegründet und wollten uns damals schon abgrenzen und irgendwie eine Minderheit darstellen. Über die Jahre hat sich das umtransformiert. Wir wollen die Menschen zusammenbringen. Sie mobilisieren, damit sie an der Musik teilnehmen und daran mitempfinden, ihre eigenen Empfindungen fühlen. Es ist klar, dass unsere Musik jetzt an eine größere Masse gerichtet ist als früher. Damals war es halt Metal und Punkrock, als Symbol für Abwehr, jetzt ist es Popmusik als Symbol für Zusammengehörigkeit. Popmusik ist ja auch ein völlig dehnbarer Begriff. Populäre Musik kann alles sein, Punkrock wie Industrial-Hardcore (lacht).
subtext.at: Speziell die Metalszene zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine sehr treue Fangemeinde hat. Innerhalb der Popszene bist du heute top, morgen Flop.
Felix: Absolut. Das haben wir auch gespürt. Wir sind sehr schnell hochgestiegen, aber auch schnell wieder losgelassen worden. Passiert wahrscheinlich jedem Künstler, der irgendwie in den Pop gerät. Trotzdem denke ich, dass du es schaffen kannst, einerseits Fans zur Identifikation zu führen, und trotzdem im Pop stattzufinden. Dazu braucht du einen sehr sehr langen Atem, weil es ist wie in einem Haifischbecken – du musst dich immer wieder beweisen. Das ist auf jeden Fall hart.
subtext.at: Kann man über Geschmack streiten?
Felix: Ich denke, dass man über Geschmack extrem krass streiten kann.Als Band, die in der Öffentlichkeit stattfindet, bist du eine Projektionsfläche für die Meinungen der Leute. Jeder hat eine andere Meinung über dich, alle sagen etwas andres. Wenn man als Mensch dazu neigt, aus Kritik zu lernen, dann hört man auch auf alles. Man hört sich alles an und das finde ich auch wichtig: Das man offen bleibt für die Kritik anderer Menschen. Wir können uns das soweit zu Herzen nehmen, ohne uns dabei selber aufzulösen. Es ist schon interessant, die Geschmäcker der anderen zu erforschen.
subtext.at: Gehst du mit Kritik von außen höflich um?
Felix: Innerlich ist das immer ein krasser Kampf, vor allem mir nahestehende Menschen, wenn sie sehr schroff und hart kritisieren. Mir geht das sehr nahe. Wenn Menschen, die man liebt, dass nicht vertreten können, was man selber liebt. Dann gibt es aber auch Momente, wo man denkt „OK, jetzt komm mal runter und konzerntrier dich darauf und versuche das rauszufiltern, was du für dich mitnehmen kannst“. Das artet dann meistens in emotional sehr aufwühlende Gespräche aus, und man kann dann die Nacht danach nicht schlafen, aber es bringt einen trotzdem irgendwie weiter.
subtext.at: Ihr als Band habt eine starke Gesamtidentität, von den Videos angefangen, über die Plattencover bis zu euren Outfits bei den Shows. Muss man heutzutage all diese Felder bedienen?
Felix: Wir sind natürlich in einer Zeit angekommen, wo durch das Internet und jeglicher Art von visueller Plattform irgendwie das Produkt nicht mehr als reines Hörprodukt wahrgenommen wird. Jeder Künstler präsentiert sich auch mit einem visuellen Aspekt. (überlegt) Das ist halt eine große Chance, weil du dich nicht nur als Musiker, sondern auch als Künstler verstehen und in jeglicher Form ausleben kannst. Das finde ich sehr cool, weil du kannst unglaublich viel ausprobieren, neben der Musik. Dadurch ist das Feld, in dem du künstlerisch aktiv bist, wesentlich größer. Finde ich eigentlich ganz spannend und haben wir seit der ersten Platte uns zu eigen gemacht. Wir beachten alle Aspekte und schaffen die Dinge aus uns selbst heraus. Es war nie ein gecastetes Produkt, sondern kam immer von uns selbst. Hat sich bis heute nicht geändert.
subtext.at: Von der musikalischen Seite seid ihr ja totale Bombastfetischisten.
Felix: Total (lacht). Finde das total interessant, wenn ich Artikel lese, wie gestern die Spex beim Frisör, wo dann drin steht: „Das sind bombastische Luftschlösser, die sofort einstürzen, wenn man die ganzen Effekte wegnimmt.“ Ich finde das krass und noch lange nicht bombastisch genug. Da geht auf jeden Fall noch 50% mehr. Da ist noch Luft nach oben. Ich weiß nicht, warum es manchen Leuten zu bombastisch und zu viel ist. Ich verstehe den Ansatz, dass man das Pure nicht mehr heraushören kann an der Musik, wenn es alles überfrachtet ist, aber Überfrachtung kannst du auch als Stilelement nutzen, wie es der Barock für sich genutzt hat. Du kannst dem Barock als Kunstform vorwerfen, dass er zu überfrachtet ist und die Intention der Aussage kreist nur noch um die Details, nicht um den Kern. Andererseits hat Barock in der Kunst seine Berechtigung und ist eine ernstzunehmende Epoche. Heute pilgern eine Million Menschen zu diesen Bauwerken, um sich das anzugucken. Wahrscheinlich hat man damals auch gedacht, die drehen jetzt total durch (lächelt). Wir bauen unsere Lieder immer immer weiter auf. Auf jeden Fall ist da noch Luft nach oben (lacht).
Anderseits denkt man dann, dass die Leute das nicht als gut wahrnehmen. Bleibt man jetzt dabei und baut einfach weiter? Mobilisiert man beim nächsten Mal nicht tausend Menschen, sondern zehntausend, die mitsingen? Oder nimmt man sich das zu Herzen und geht zurück zur Gitarre, spielt nur ein Lied? Wir sind in einer Phase, wo wir die Grenzen noch nicht komplett ausgelotet haben.
subtext.at: Das werfen euch die Leute ja auch meistens vor, dass euch jegliche Zurückhaltung fehlt.
Felix: Die werfen uns das vor, aber ich muss da stets an Falco denken, den ich sehr mag. Zu seinen Lebzeiten hat er ja extrem viel Kritik bekommen, dass er immer so übertheatral seine Sachen inszeniert hat. Heute ist er ein angesehener Musiker. Das kann ich nur unterschreiben. Hätte er sich seiner Zeit gebeugt, und hätte er ein Akustik-Album gemacht, wäre seine gesamte künstlerische Vision verwässert worden. Er wäre damit nicht mehr so klar definierbar wie er es jetzt ist.
subtext.at: Zum Schluss ein Zitat von Schopenhauer, was sehr gut zu euch passt: „Ganz er selbst sein darf jeder nur, solange er allein ist. Wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit; denn nur wenn man allein ist, ist man frei.“
Felix: Das stimmt auf jeden Fall (lacht).
subtext.at: Passt sowohl zu eurem aktuellen Album „Frei“ wie auch zum letzten.
Felix: Das ist auch der Punkt. Alleinsein muss nicht zwingend etwas trauriges sein, sondern es kann auch ein großartiges Befreiungsgefühl von jeglichen Konventionen und Abhängigkeiten sein. Da steckt auch etwas im Song drin, weil er dir kein trauriges Gefühl vermittelt. Eher etwas Aufbrechendes. Da geht die Sonne auf, als das sie untergeht. Ich persönlich kann aber sehr sehr selten alleine sein, weil ich da sehr schnell traurig werde (lacht).
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Foto: Universal Music