THIRTY SECONDS TO MARS: „Ohne Kampf gibt es kein Vorankommen“
Die einen haben plötzlich und überraschend Erfolg, die anderen arbeiten hart für ihren Triumph. Für sie kam der Jubel nicht über Nacht, doch mittlerweile gehören sie zu den erfolgreichsten und angesagtesten Acts der Szene: Thirty Seconds To Mars. Das Trio um Jared Leto hat mit der letzten Veröffentlichung „This Is War“ seinen Status erfolgreich ausgebaut.
Trotzdem gibt es auch einige Kritikpunkte: Wieso gibt es keine Songs vom tollen Debütalbum live zu hören? Wieso müssen die Songs immer so groß und bombastisch sein?
Da Jared Leto für uns nicht zur Verfügung steht, stellen sich Shannon Leto und Tomo Miličević dem subtext.at-Fragebogen – und das durchaus respektabel. Von Allüren ist bei den beiden ziemlich wenig zu spüren, vielmehr gibt es Shakehands und ein nette Einladung auf einen Espresso. Als Außenstehender merkt man, dass die beiden ein eingespieltes Team sind. Der eine fängt einen Satz an, der andere beendet ihn. Kurzerhand wird auch die subtext-Fotografin mit in das Gespräch verwickelt.
subtext.at: Tomo, Shannon, ich möchte mit einem Zitat von Keith Richards beginnen. Er hat das Musikmachen mit einem Ritt auf einem wilden Pferd verglichen. Wie beschreibt ihr dieses Gefühl?
Shannon Leto: Keith hat einen wichtigen Teil weggelassen: Man muss nackt sein, während man das Pferd reitet. Das ist sehr wichtig (lacht).
Tomo Miličević: Ich bin überrascht, dass Keith dieses wichtige Detail nicht erwähnt hat.
Shannon: Vielleicht wollte er dieses Detail nicht explizit erwähnen, um es dir dann in einem persönlichen Gespräch zu vermitteln.
subtext.at: Könnt ihr dieses Gefühl trotzdem nachempfinden?
Shannon: Klar. Wenn du Musik machst, kommen ganz unterschiedliche Gefühle in dir hoch. Manchmal fühlst du dich frei und ungebunden, manchmal so, als hättest du keine Kontrolle über die Dinge, die mit dir passieren. (überlegt kurz) Es kommt einer Reise sehr nahe. Es ist eine Erfahrung, die nicht so einfach zu beschreiben ist. Genau kann ich das auch nicht festmachen. (überlegt) Es kommt wirklich einer spirituellen Erkenntnis gleich.
subtext.at: Es gibt Musiker und Songwriter, die ihre Antennen immer ausgefahren haben und ständig nach Inspiration und Ideen Ausschau halten. Ergeht es euch auch so?
Shannon: Nun, es kommt darauf an, wie die Dinge sind, wo ich mich gerade befinde und was um mich herum passiert. Wenn ich mit Jared und Tomo in einem Raum bin, passiert das eigentlich von ganz alleine. Manchmal gibt es Sachen, die deine Inspiration anregen – es kann sich aber auch umgekehrt verhalten. 95% der Zeit denken wir sowieso nur über Musik nach. Immer. Ein Maler wird bestimmt auch ständig ans Malen denken. Ein Schriftsteller grübelt sicherlich die ganze Zeit über sein Werk nach.
Tomo: Es gibt Momente, wo du Nachts nicht schlafen kannst, weil dir so viele Ideen durch den Kopf kreisen.
Shannon: Oder dann, wenn du aufwachst!
Tomo: Genau.
Shannon: In deinem Kopfhast du eine Idee für einen Song, die raus muss. Oder es ist in meinem Fall ein Schlagzeugbeat oder so etwas. Du wachst dann auf und nimmst schnell dein iPhone oder irgendetwas anderes, um es so schnell wie möglich aufzunehmen. Wenn du das nicht tust, ist es möglicherweise schnell wieder weg.
subtext.at: Von all euren Songs – welcher ging euch besonders leicht von der Hand und welcher war ziemlich schwer zu schreiben?
Shannon: Unsere Songs stellen sich gegenseitig auf die Probe und wetteifern miteinander. Es gibt Lieder, obwohl ich hier keine nennen möchte, die sehr schnell entstanden sind. Andere brauchen mehrere Jahre, bis sie fertig sind (lacht).
Tomo: Es kommt auf den einzelnen Song an, weißt du? Manchmal „passiert“ es einfach und du hast diesen Song so gut wie fertig.
Shannon: Oh ja, genau. Tomo, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen!
Tomo: Manchmal verhält es sich aber auch wie bei einem Bauprojekt oder einer wissenschaftlichen Angelegenheit. Du musst forschen und erkunden, weiter suchen, verschiedene Sachen ausprobieren, in verschiedene Richtungen gehen. Auf „This Is War“ gibt es Songs, die wir beispielsweise in fünf verschiedenen Versionen aufgenommen haben. Die klingen auch gar nicht gleich und sind komplett anders, mit anderen Keyboards und Arrangements… Du pickst dir dann die Version aus, die dir am besten erscheint. Die anderen verschwinden wieder – deswegen musst auf jeden Fall viele Songs schreiben (lacht).
subtext.at: Als Band kenne ich euch schon lange, seit dem Debüt. Es interessiert mich sehr, weshalb ihr live kein einziges Lied von der ersten Platte spielt. Warum ist das so?
Shannon: Wir waren mit der ersten Platte auch auf Tour, das ist schon etwas her, aber ich denke, dass es für alles den richtigen Zeitpunkt gibt. Die Leute wollen momentan die neueren Sachen hören. Wir als Band ebenso, weil uns die Songs uns ein frisches Gefühl vermitteln. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt Einiges vom Debüt in unser Set integrieren.
Tomo: Wir haben uns weiterentwickelt, wir sind nicht mehr dieselben Leute wie damals. Manchmal ist es schwer, da wieder einen Bezug oder eine Verbindung herzustellen, weil wir heute einfach andere Leute sind. Wir lieben die Songs vom Debüt, das steht außer Frage. Bestimmt werden wir in Zukunft die Songs wieder spielen. Jetzt, wie Shannon schon gesagt hat, freuen wir uns über das aktuelle Material.
Shannon: Das neue Material funktioniert live einfach wahnsinnig gut. Da geht die ganze Energie und Zeit drauf, für die Show, die Produktion und wie wir das live umsetzen. (überlegt kurz) Ältere Songs wird es bestimmt geben.
Tomo: Hier und da.
Shannon: Vielleicht heute Abend, wer weiß?
Tomo: Deswegen musst du zu all unseren Shows kommen, weil wir ja eventuell einen alten Song zum Besten geben (lacht).
subtext.at: Kritiker behaupten, dass ein Trio den besten musikalischen Ausdruck vollführen kann. Thirty Seconds To Mars sind auch ein Trio…
Shannon: Diese Behauptung habe ich bisher noch nie gehört.
Tomo: Kann mich auch nicht erinnern, das jemals vernommen zu haben. Ich denke nicht, dass es eine Rolle spielt. Ein Duo kann genau so gut sein wie eine zehnköpfige Gruppe. Es kommt auf die Leute an, auf die Bandzusammenstellung.
Shannon: Ich weiß nicht… Wer ist denn überhaupt auf diese Idee gekommen?
Tomo: Ich finde das auch ein bisschen komisch.
subtext.at: Bei einer Band wie Slipknot, die aus 9 oder 10 Mitgliedern besteht, geht es auf der Bühne bestimmt chaotischer zu als bei euch.
Tomo: Slipknot habe ich in den letzten Jahren einige Male gesehen und sie sind live sehr gut.
Shannon: They’re fucking great, right?
Tomo: Ihre Performance leidet jedenfalls nicht darunter, dass sie so viele sind (lacht). Da kommen starke Emotionen hoch, die sich dann auf das Publikum übertragen.
Shannon: Das sind nur diese verfluchten Kritiker, die mit solchen Dingen daherkommen.
subtext.at: Woher kommt eigentlich eure Faszination für diese epischen und heroischen Töne auf „This Is War“?
Shannon: Während der Aufnahmen gab es einige Herausforderungen, denen wir uns stellen mussten. Es gab die Weltwirtschaftskrise, ein neuer Präsident wurde gewählt und überhaupt schien alles den Bach runterzulaufen. Es gab eine große Skepsis, die weltweit zu spüren war. Wir haben dann auch unsere persönlichen Probleme überwinden müssen. Diese Zeit hat sich für uns so angefühlt, als würden wir in den Krieg ziehen. Es muss kein physischer Krieg sein, mehr eine mentale Angelegenheit, ein geistlicher Zustand von Krieg, der dich fertig macht. Wenn du dich verändert willst, wachsen willst und dich pushen möchtest, dann musst du dafür kämpfen und dich anstrengen. Ohne Kampf gibt es kein vorankommen. Dein Inneres will dich dabei zurückhalten, weil es viel einfacher ist, in bestehenden Mustern zu bleiben, als sich zu verändern.
Tomo: Es ist einfach, das zu tun, was du kannst, aber schwierig, neuen Dingen nachzugehen.
Shannon: Das ist es, so sieht’s aus.
Tomo: Da möchte ich noch etwas hinzufügen…
Shannon: Bitte sehr, Tomo.
Tomo: Der Sound der Platte spiegelt die Dinge wieder, durch die wir als Gruppe und Menschen gegangen sind. Es ist unsere Sicht der Dinge. Es war keine bewusste Entscheidung, sondern es hat sich über einen gewissen Zeitraum einfach so entwickelt. Ob wir das hätten beeinflussen können? Ich weiß nicht.
Shannon: Hey, wollt ihr einen Espresso?
subtext.at: Nein, danke. Kümmert es euch, welche Sichtweisen andere über euch haben?
Shannon: Sichtweisen? Was meinst du damit?
subtext.at: Lest ihr euch Kritiken und Kommentare über euch durch?
Shannon: Nee.
Tomo: Nein, die interessieren uns nicht.
Shannon: Die Sache ist die (haut den Kaffebecher aus Pappe auf den Tisch): Die Kritiker können sich total über dich auslassen. Was kannst du dagegen tun? Nichts. Wenn du es genau betrachtest, kennen sie uns gar nicht, uns sie lassen sich trotzdem über uns als Person aus. Das ist nicht fair.
Tomo: Genau.
Shannon: Es ist eine reine Zeitverschwendung, sich damit zu beschäftigen.
Tomo: Lass mich dir eine Frage stellen: Hast du jemals ein Album nur deswegen gekauft, weil es ein Kritiker gelobt hat? Oder nicht gekauft, weil sich jemand darüber ausgelassen hat? Wahrscheinlich nicht. Wenn du es getan hast, hast du es am Ende für dich selbst herausgefunden, ob es dir gefällt oder nicht. Kritiker haben auch nur einen Job, es ist ihre Meinung, die ganz witzig aussehen kann oder wie auch immer, aber es spielt nicht wirklich eine Rolle für die, die Musik für sich entdecken möchten.
Shannon: Die Leute reden immer, wie innen das Maul gewachsen ist.
Tomo: Wir wollen uns da nicht einbringen und kein Teil davon sein.
Shannon: Und ich weiß nicht so recht, wo deren Problem liegt (lacht).
subtext.at: Was ist die erinnerungswürdigste Songinterpretation, die ihr bislang von einem Fan gehört habt?
Shannon: (sieht die Fotografin an) Kennst du einen unserer Songs?
Fotografin: Ich kenne sie alle.
Shannon: OK, das ist gut. Welcher gefällt dir besonders?
Fotografin: Ich mag „Oblivion“…
Shannon: Wie geht der Song noch mal? „Under the…“
Fotografin: (überlegt) Habe ich jetzt länger nicht gehört… „Under the burning sun I take a look around.“
Shannon: Siehst du: Diese Interpretation ist die beste, die ich bisher von einem Fan hören durfte. Applaus für dich (klatscht in die Hände)!
(alle lachen & anschließend gibt eine kurze Diskussion über den Song)
Fotografin Danke für die Ehre, aber es war nicht so gut.
Shannon: Nein, es war toll, deine eigene Interpretation.
Tomo: Wir haben dir einfach das Scheinwerferlicht überlassen.
Links & Webtips:
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Foto: EMI