ALIN COEN BAND: „Künstler sind egozentrischer als andere Menschen“

Der Sommer, die Liebe, der Herzschmerz und solche Sachen – Alin Coen und ihre Band scheinen es genau zu wissen, wie das so ist mit dem Verliebtsein, mit dem berühmten Kribbeln im Bauch und den guten und schlechten Zeiten. Die Newcomerin, die vor kurzem von Stefan Raab eingeladen wurde, beim Bundesvision Song Contest für das Bundesland Thüringen anzutreten, macht ganz hervorragende Musik, die berührt, weil sie so ungekünstelt wirkt.

Die Musik handelt vom Leben und den schmerzhaften Momenten, die dazu gehören. Musikalisch wird das sehr gefühlvoll dargebracht. Indie, Pop, Folk – alles geht.

Im Interview mit subtext.at spricht Alin Coen vorwiegend über die Themen Zuneigung und Beziehungen. Und wie es wohl wäre, ein Alpaka zu sein.

subtext.at: Alin, was bedeutet es für dich, sich zu verlieben?
Alin Coen: Lass mich kurz nachdenken (lacht & überlegt). Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber man verliebt sich halt. Es passiert einfach. Dann weiß man Bescheid, dass es passiert ist.

subtext.at: Für manche ist es ein Bauchkribbeln, andere vergessen sich selber komplett und konzentrieren sich nur mehr auf den Partner.
Alin Coen: Ja, da gibt es immer verschiedene Merkmale. Genau so, wie du glücklich verliebt sein kannst und total unglücklich verliebt sein kannst! Insofern sind das zwei völlig verschiedene Stiefel, die da losgehen mit einem. (überlegt) Verliebtsein ist ein unglaublich intensiver Zustand. Manchmal kann das ganz brutal sein, wenn es eben nicht erwidert wird. Es kann aber auch der schönste Zustand überhaupt sein.

subtext.at:
Hat die Idealvorstellung von der ewigen Lieben inzwischen ausgedient?
Alin Coen: Es ist natürlich eine sehr romantische Vorstellung, dass es diese ewige Liebe gibt. Es gibt auch tatsächlich Leute, bei denen das klappt. Bei anderen funktioniert es offensichtlich nicht. Ich kenn diesen Gedanken, man möchte es gerne, es soll für immer, immer, immer halten und so intensiv bleiben. Es gibt die eine glückliche Beziehung, die zwanzig Jahre hält, und dann sehen die beiden doch ein, dass sie sich doch so doll auseinander gelebt haben und nicht mehr glücklich mit ihrer Beziehung sein können. Ich glaube, dass es total individuell und verschieden ist. Es gibt Leute, bei denen funktioniert es mit der ewigen Liebe, und es gibt Leute, die sind anders gestrickt. Bei denen klappt es dann nicht so gut.

subtext.at: Wenn man die Verbundenheit zum Partner erst mal aufgebaut hat, fehlt vielen das Gefühl, verliebt zu sein. Kennst du das?
Alin Coen: (überlegt) Dass die Verliebtheit irgendwann verfliegt, ist vermutlich bei den meisten Pärchen so, aber ich glaube, dass es dann durch ein anderes Gefühl ersetzt wird, was einem dann genau so viel gibt. (wirkt nachdenklich) Aber wie gesagt, ich glaube, dass es bei jedem verschiedenen ist.

subtext.at: Besteht die Gefahr, dass sich der Alltag nur noch um sich selbst dreht als Musiker oder Künstler?
Alin Coen: In dem Moment, wo man Interviews gibt, und ich bin da noch nicht, weil ich noch nicht so viel mache, wird man quasi dazu motiviert, viel über sich nachzudenken. Weil man viel über sich erzählen muss. Der Touralltag sieht aber nicht so aus, dass man sich so sehr mit sich selbst beschäftigt. Ich bin halt mit meiner Band zusammen unterwegs, ich habe also immer eine Gruppe von Leuten um mich herum, mit denen sehr interessante Gespräche entstehen. Da findet auch immer ganz viel Reflektion statt, auch über andere Dinge. Künstler sind egozentrischer als andere Menschen. Als Krankenschwestern zum Beispiel (lächelt). Ich glaube, es ist eine Anlage, die in einem ruht. Dass es mit dem Beruf kommt, glaube ich nicht. Wenn, dann liegt es eher an der Berufswahl. Es gehört zum Charakter dazu, in welchem Beruf man glücklich ist. Als Musiker musst du einen gewissen Anteil an Extrovertiertheit besitzen, wobei ich auch einen großen Anteil Introvertiertheit habe. Die Extrovertiertheit sorgt dann dafür, dass ich gerne auf der Bühne stehen mag.

subtext.at: Es gibt Menschen, die dazu neigen, ihre Probleme aus Selbstschutz zu verdrängen.
Alin Coen: Ich habe eigentlich immer schon das Gefühl gehabt, dass ich ziemlich viel zulasse. Ich verbiete mir ziemlich wenig. Das hat viel mit meinen Eltern zu tun, wie sich mich erzogen haben. Viele Leute verbieten ihren Kindern zu weinen, wütend zu sein oder dieses oder jenes zu tun. Wir kriegen ganz viel mit von der Erziehung, die uns prägt. Was darf man zulassen, was nicht? Meine Eltern haben mir in dieser Hinsicht gezeigt, dass man Emotionen zulassen darf. Gestern zum Beispiel, da habe ich mich mit jemandem unterhalten, der in einer Beziehung war, sich aber getrennt hat. Er konnte mit dieser Person nicht richtig darüber kommunizieren. Da hat er „Wolken“ von mir entdeckt und ihr dieses Lied geschickt. Über dieses Lied entstand dann die Kommunikation.

subtext.at: Du musst dich geschmeichelt fühlen.
Alin Coen: Ich fand das sehr, sehr abgefahren und toll, na klar. (wirkt aufgeregt) Das Leute ein Mittel finden, über ihre Gefühle zu kommunizieren, über ein Lied zum Beispiel, ist ein ganz großes Kompliment für mich.

subtext.at: Das ist ja auch das tolle an Musik; Das sie das zum Ausdruck bringt, was man selbst vielleicht nicht ausdrücken kann.
Alin Coen: Ja, sehe ich auch so. Es gibt Poeten, die Gedichte schreiben, wo ich denke: „Oh Mann, ja! Wie kriegt denn der das hin? Das ist doch solch ein komplexer Gedanke, wie kriegt der das hin, es in so einfache und schöne Worte zufassen?“ (lacht) Das ist natürlich großartig, wenn man sich damit identifizieren kann.

subtext.at: Es gibt auch Menschen, die ein Problem damit haben, sich selbst zu akzeptieren und ihr Leben selbstbewusst zu gestalten. Kennst du das auch?
Alin Coen:
Ja, auf jeden Fall. Es gibt immer noch Anteile, die ich total peinlich an mir finde (lacht). Wenn ich auf der Bühne stehe und irgendwelche Ansagen mache, die peinlich sind, dann kenne ich das natürlich auch. Man stellt sich selber in Frage (lächelt). Aber es gehört wahrscheinlich zum Mensch sein dazu. Vielleicht muss man lernen, da eine gewisse Lockerheit zu entwickeln. Unsicherheiten hat jeder. Man muss den ganzen Kontext betrachten, dass man nicht hässlicher ist als andere und so etwas. Wenn es einem so geht, ist es eine Sache, die sich verbessern lässt.

subtext.at: Darf man noch an eine heile Welt glauben?
Alin Coen: Ich weiß nicht, ob es jemals eine heile Welt gab. Der Mensch war schon immer voller Aggressionen. Selbst zu Uhrzeiten. Da musste er diese Aggressionen haben, um die Tiere umzubringen, die er essen wollte. (überlegt) Ich glaube, dass es sehr tief im Menschen verwurzelt ist. Aggressionen sind der Ursprung allen Übels (lacht). Auf der anderen Seite wäre der Mensch ohne diese gar nicht überlebensfähig. Man kann selber versuchen, einen positiven Effekt auf diese Welt zu haben, mit dem was man schafft und tut. Die Probleme auf der Welt sind aber auch so vielfältig und so groß. Innerhalb von Familien finden bereits Aggressionen statt.

subtext.at: Welche Kraftquellen zapfst du an?
Alin Coen:  (wirkt erstaunt & lächelt) Welche Kraftquellen? Musik ist eine Quelle, aus der ich Kraft schöpfe. Die Jungs meiner Band sind cool, und sie sind auch ganz wunderbare Musiker. Zur Zeit sind sie mein Bezugssystem. Positive Begegnungen mit anderen Menschen, daraus kann ich ganz, ganz viel Kraft schöpfen. Auf der anderen Seite auch Ruhe. Ich mag es auch gerne zurückgezogen. Es gibt so viele Dinge, aus denen man Kraft schöpfen kann. Schlafen ist auch ganz gut (lacht herzhaft).

subtext.at: Liegt es in der Natur der Kunst, alles mögliche zu hinterfragen?
Alin Coen:  (überlegt lange) Dafür müsste man wahrscheinlich erst mal den Kunstbegriff definieren. Es gibt dekorative Kunst oder Kunst, die gar nichts mit diesen Fragen zu tun hat. Kunst hat viel mit Fantasie zu tun. In der Malerei gibt es total viele Hintergründe, vor denen… (bricht ab) Es kann gut sein, dass es für einen Maler, der abstrakt malt, trotzdem einen poetischen Background hat. Abstrakte Malerei kann unglaublich schön sein. Mein Vater malt und zeichnet Musik. Er bringt den Klang auf Papier, mit Farben und Formen. (überlegt) Es ist ein Nachdenken über die Welt, aber ich weiß nicht, ob es etwas mit Hinterfragen zu tun hat. Die Poesie von Rilke beispielsweise, die sich mit der Natur beschäftigt – ist das ein Hinterfragen? Ich denke eher, dass es ein Versuch ist, es besser zu begreifen. Deswegen glaube ich nicht, dass Kunst immer etwas hinterfragen muss.

subtext.at: Können zufriedene Musiker etwas über sich erzählen?
Alin Coen:  Das kann ich gar nicht sagen, aber ich merke bei mir selber, dass sich meine Texte mit Dingen beschäftigen, die nicht so viel mit Glück zu tun haben. Es gibt bestimmt Musiker, die total glückliche Musik machen können und fröhliche Dinge zum Ausdruck bringen können. Das kann genau so schön sein wie traurige Musik (lächelt). Früher war Musik dazu da, Gott zu preisen. Da hatte sie einen geistlichen Hintergrund, aber sie entwickelt sich ja auch weiter. Inzwischen kann Musik alles sein, darf Musik alles sein. Ich schweife ab, wie war deine Frage noch mal (lacht)?

subtext.at: Die Frage war, ob zufriedene Musiker etwas zu erzählen haben.
Alin Coen: Aber das ist ja der totale Quark! Warum sollte ein glücklicher Musiker nichts zu erzählen haben?

subtext.at: Es gibt viele Künstler, die das bestätigen, diese These.
Alin Coen: Mir fällt es auch schwerer, etwas Glückliches zu erzählen. Ich glaube aber, dass es an mir liegt. Es gibt bestimmt andere Musiker, die das ganz toll können. Es ist doch wunderschön, wenn man etwas Positives über die Welt zu erzählen hat.

subtext.at: Das Cover eurer neuen EP „Einer will immer mehr“ wirkt naiv und ist ganz verspielt. Da ist auch ein Kater oder Tiger zu sehen…
Alin Coen: Ich glaube, es ist ein Leopard. Das hat sich unsere Grafikerin ausgedacht (lacht)!

subtext.at: Wenn du dir ein Tier aussuchen könntest, welches wärst du dann?
Alin Coen: (überlegt lange) Gute Frage. Ein Mensch wahrscheinlich (lacht).

subtext.at: Das kann ich nicht gelten lassen.
Alin Coen: OK. Ersatzweise muss es leider das Alpaka sein. Das Alpaka ist einfach das geilste Tier der Welt (lacht). Die sehen ultralustig au, wie irgendwelche Aliens. Da gibt es auf YouTube ein Video, wo eine Alpakaherde auf die Kamera zuläuft, untermalt mit Stars Wars-Musik – so lustig (lacht)! Es sind quasi Lamas, eigentlich Mini-Kamele, und es sind ganz gutmütige Wesen. Sie werden auch Delphine der Weiden genannt, weil sie eine heilende Wirkung auf Kinder haben. Um der Welt etwas Gutes zu tun, wäre ich gerne ein Alpaka (lacht).

subtext.at: Um am Ende noch einmal auf das Anfangsthema zurückzukommen: Wann ist aus deiner Sicht das Ende einer Beziehung gekommen?
Alin Coen: Das ist total schwer, den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden – wenn es denn so sein soll. Häufig werden Beziehungen meist darüber hinaus geführt. Es gibt Paare, die führen ihre Beziehung noch Jahre weiter, obwohl der Schritt von Außen betrachtet eigentlich schon längst notwendig wäre, die Trennung. Das ist ein ganz schwerer Prozess. Den richtigen Punkt findet man wohl nicht so leicht. Er entwickelt sich dann aus irgendwelchen Situationen heraus. (überlegt kurz) Man verpasst meistens den Punkt, sich zu trennen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich immer die Hoffnung, manchmal ist es auch eine berechtigte Hoffnung, die Krise zu überstehen. Wenn man gemeinsam diesen Tiefpunkt übersteht, kann es dann hinterher noch schöner werden. Manchmal ist es auch eine Frage von Mut. Es ist ein ständiges Hin und Her (lacht). Bei Paaren, die Kinder haben, ist es auch sehr schwierig. Nee, weiß man immer nicht (lacht). Bei mir besteht aber im Moment gar keinen Bedarf nach einer Trennung.

Links & Webtips:
alincoen.com
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Foto: Ministry Of Sound (Warner)

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