GAVIN ROSSDALE: „Mit Bush fühle ich mich komplett“

Die Erkenntnisse, die Gavin Rossdale als Solokünstler in den letzten Jahren machen durfte, haben ihn erfahrener gemacht, doch auf der Bühne gab es stets etwas, was er vermisste: Die Bush-Songs. Zehn Jahre waren sie in der Schublade, 2011 hat er sie wieder herausgeholt und seine Band reaktiviert. „Dass, was ich mir mit Bush aufgebaut habe, kann ich woanders nicht finden. Das musste ich erst mal einsehen“, meint der Sänger im Interview mit subtext.at.

Überraschend plaudert Rossdale auch private Dinge aus, erzählt von Gwen Stefani und wie es ist, mit den Kids im Park herumzutollen – trotz nerviger Paparazzi. Unser Fokus soll sich aber auf die Musik konzentrieren. Bush sind zurück und „The Sea Of Memories“ ist ein sehr gutes Lebenszeichen.

Trotz der Verspätung von mehreren Stunden finden alle geplanten Gespräche statt. Rossdale ist der angenehmste Gesprächspartner, den man sich wünschen kann. Er bietet frisches Obst und Wein an, wirkt im Interview ehrlich und reflektiert. Ihm bedeutet Musik eine Menge. Wenn er davon erzählt, wirkt er zufrieden und froh.

subtext.at: Gavin, ich möchte dir zuerst sagen, dass Bush die allererste Band war, die ich jemals live gesehen habe. Das war im Jahr 2000, ich habe sogar das Ticket noch. Ihr habt damals in Wien mit Muse als Support gespielt.
Gavin Rossdale: Das ist toll. (wirkt erstaunt und freut sich) Schön.

subtext.at: Damals habt ihr „The Science Of Things“ veröffentlicht. Kannst du dich an diese Zeit zurückerinnern? Heutzutage ist es für eine Rockband normal geworden, elektronische Elemente zu besitzen…
Gavin Rossdale: Natürlich kann ich mich zurückerinnern. Ich habe es geliebt, diese Platte zu machen. Ich habe stets versucht, die Dinge mit jedem neuen Album in Bewegung zu halten, ihnen einen anderen Dreh zu geben. Ich bin ja in London aufgewachsen und dort war es ganz normal, auch mit anderen Musikstilen wie Dub oder House in Berührung zu kommen. Die Clubs haben vorwiegend Dancemusik gespielt, von Rock war keine Spur. Dieses Vermischen von Stilen liegt mir wahrscheinlich im Blut. Damals wollte ich einen Weg finden, diese Unterschiedlichkeiten unter einen Hut zu bringen. (überlegt kurz) Ich hatte damals ein Studio, mit analoger Aufnahmetechnik, für eine Band im klassischen Sinn geschaffen, und auf der anderen Seite einen Typen am Computer. Manche hielten mich zu dieser Zeit für verrückt, weil ich beides auf einer Platte haben wollte: Eine organische und eine elektronische Seite. Warum separat, wenn beides geht?

subtext.at: Hat sich dein Bezug zur Musik auf irgendeine Weise verändert? Drückst du dich mittlerweile anders aus als du es früher getan hast?
Gavin Rossdale:
Nun, meine Gefühle haben sich nicht verändert. Ich liebe Musik, sie bleibt für mich ein Mysterium. Wie das eine Mädchen, dass du nie kriegen wirst (lächelt). (überlegt) Manchmal habe ich ein schlechtes Gefühl, weil meine Antworten so simpel sind (lächelt). Es ist ein verrückter Job. Es kommt so sehr auf deinen Instinkt an, aber auch auf die Technik. Du kannst nie genau wissen, wie am Ende das Ergebnis deiner Bemühungen aussehen wird. Zum Glück kann ich sagen, dass ich mit „The Sea Of Memories“ äußerst zufrieden bin. (überlegt kurz) Letzte Nacht habe ich Miles Davis gehört und bin dabei eingeschlafen. Es soll jetzt nicht heißen, dass ich ihn langweilig finde (lächelt). Es interessant zu beobachten, wie andere Künstler es machen, wie sie eine Stimmung kreieren, ihr Zusammenspiel funktioniert, so etwas interessiert mich wirklich. Der Mann am Bass spielt so smooth und sinnlich, ein Genuss. Ich denke, dass es darauf ankommt: Du willst besser werden, in dem, was du tust. That’s it.

subtext.at: Nun ist es etwas her, seitdem du Interviews geben musstest und Konzerte gespielt hast. Wie fühlt es sich an, wieder im Lot zu sein und all diese Dinge erneut aufzunehmen?
Gavin Rossdale: Es fühlt sich wirklich toll an. Ich habe eine Chance bekommen, Musik zu machen, die mir etwas bedeutet und mit tollen Menschen unterwegs zu sein. Musik für Leute zu spielen, ist ein uralter Job, aber es ist ein Privileg. Es kann immer sein und die Gefahr bestehen, dass die Leute es nicht mehr aufnehmen und nicht kommen. Eine Garantie gibt es nicht. Die Leben kann sehr brutal sein. Was ich sagen kann: Bush haben das Glück auf ihrer Seite. Das macht mich glücklich, denn ich weiß, dass es auch ganz anders aussehen könnte. Ich versuche, an mir zu arbeiten, besser zu singen und insgesamt Bush besser zu machen. Wenn das Publikum die Halle verlässt, sollen sie mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Das ist mein Job. Tun sie es nicht und fühlen sie sich nicht anders, habe ich meine Aufgabe nicht erfüllt.

So klar, so deutlich. Angst vor einem Flop? „Du hast diese naiven, idealisierten Vorstellungen, dass die Platte durch Mund-zu-Mund-Propaganda ihr Publikum findet und überzeugt. In Amerika haben soziale Portale wie Twitter beispielsweise auch eine wichtige Rolle. In Europa scheint es noch nicht so extrem zu sein. Auf Twitter hinterlassen die Fans nach jeder Show 500 Kommentare. Jeder kann seine Meinung kundtun, früher war das noch anders. Selbst die Bonustracks auf dem neuen Album werden kommentiert.“

Angst, dass die Medien trotz dem Comeback von Bush sich dennoch mehr auf seine Ehe mit Gwen konzentrieren? „Ich habe eine sensationelle, ikonische Frau – deshalb verfolgen mich die Paparazzi. Keiner meiner Fans will mich in diesem Kontext sehen, deswegen vermeide ich es auch, in jedem Boulevardblatt zu erscheinen und mein Gesicht zu präsentieren. Darum geht es mir nicht“.

subtext.at: Vor diesem Gespräch habe ich mich erneut durch die Bush-Diskografie gehört. Musik kann ein ganz schön starker Auslöser für Erinnerungen sein…
Gavin Rossdale:
Das ist wahr.

subtext.at: Gibt es Songs, die du deswegen nicht mehr spielst, weil sie mit negativen Dingen behaftet sind?
Gavin Rossdale: Es ist verrückt, weil sobald du einen Songs veröffentlichst, teilst du ihn mit allen anderen. Jeder Text ist flexibel und kann dir etwas anderes bedeuten als mir. Wenn ich am Abend „Comedown“ singe, werde ich in die Gesichter von all diesen Leuten blicken, wie sie mit mir „Cause I don’t want to come back down from this cloud“ singen. Gestern war es so, ich kann da nur daran denken, wie sehr es mit freut, dass diese wunderbaren Leute noch an uns interessiert sind. Ich könnte nicht weiter davon entfernt sein, von den Dingen, die ich ursprünglich im Kopf gehabt habe, als ich den Song geschrieben habe. Ich bin stolz auf die Texte. Nicht jeder ist wahres Gold wert, doch ich habe immer gewollt, dass sie interessant bleiben und zum Nachdenken anregen. Mir geht es um die Gegenwart. Es gibt keine Songs, die ich nicht spielen will.

subtext.at: Auf „The Sea Of Memories“ finden sich viel mystische Elemente in deinen Texten. Wasser kommt häufig vor, Wellen, Feuer, das Leben nach dem Tod…
Gavin Rossdale:
Das stimmt. Wie auch die Medusa oder Judas, die beide Erwähnung finden.

subtext.at: Warum gibt es all diese Dinge auf der Platte?
Gavin Rossdale: Ich liebe es, Wörter mit einer starken Bedeutung zu verwenden. Wörter sind wie Feuerwerkskörper (macht eine explodierende Handbewegung). In deinem Kopf können sie plötzlich explodieren und dir interessante Ideen liefern. Ich bin keine religiöse Person, aber ein Wort wie Jesus hat eine unglaublich starke Ausstrahlung. Ich gehe respektvoll mit diesen Dingen um, weil ich alle Religionen respektiere. (überlegt) Es gibt eine Textzeile in „All Night Doctors“, die lautet: „You shine, the world stops and god’s a humble“. Für mich klingt das sehr wahrhaftig.

subtext.at: Wie lässt sich auf Tour die Motivation aufrecht erhalten?
Gavin Rossdale:
Eine gute Frage, interessant, dass du sie stellst. Manchmal wirst du während des Tages ganz depressiv, weil sich alles in die Länge zieht. Wenn du abends auf der Bühne stehst, ist das eine unglaubliche Erleichterung. All deine Emotionen kannst du für die Show verwenden. Isolation, Alleinsein, Heimweh. Es ist, als würdest du in die Leere eintauchen und sie erforschen. Ich liebe diesen Thrill, ich kann es nicht anders sagen. (überlegt kurz) Ich bin froh, weil ich einen Job gefunden habe, der mir unendlich viel Spaß bereit. Ich kann sehr schlecht mit Zahlen umgehen, von dem her passt das ganz gut (lacht). Ich habe neulich eine Person getroffen, die zu mir sagte: „Wow, du bist so energisch, wenn du von Musik sprichst!“ Ich sagte zu ihm: „So bin ich immer.“ Ich habe diese Leidenschaft, dieses Feuer in mir (lächelt).

subtext.at: Passiert alles aus einem guten Grund? Bist du eine Person, die solch eine Einstellung besitzt?
Gavin Rossdale:
(überlegt kurz) Ich würde mir wünschen, dass ich daran glauben könnte. Die Welt würde für mich dann mehr Sinn ergeben. Auf der anderen Seite denke ich, dass die Welt oft nicht logisch erscheint, unfair und grausam ist, aber auch wunderschön und voller Freude sein kann. Es ist schwierig, sich da festzulegen. Ich kann nicht glauben, dass es wie Karma funktioniert, so einfach und unkompliziert. Es gibt viele reiche Leute, die Idioten sind, weil sie das nicht wertschätzen, was sie besitzen. Ich möchte gerne daran glauben, vielleicht zu 65% (lächelt). Was denkst du?

subtext.at: Auf diese Frage weiß ich auch keine eindeutige Antwort.
Gavin Rossdale:
Da gab es mal eine Liste mit Religionen. Wenn dir Mist widerfährt, musst du das Vaterunser aufsagen und zum Papst beten, dann wird alles gut. Bei den Muslimen – hack dir eine Hand ab, und alles wird gut. Bei den Buddhisten – ist es wirklich Mist, der dir widerfährt? (alle lachen)

Songs schreibt der Musiker auf ganz traditionelle Weise. Sie entstehen auf der Akustikgitarre, bis sie am Ende komplettiert und zusammengefügt werden. Mit seinem Engineer versucht er, im Studio die passende Atmosphäre für die Songs zu finden. Beim neuen Material wurde vorwiegend am Bass und am Schlagzeug komponiert. „Ich versuche so sehr, wie ein Maler zu sein, was ich leider nicht bin“ schildert Rossdale. „Die Zeiten sind so modern geworden, heutzutage kannst du dir unterwegs ein Studio einrichten und aufnehmen. Du hast so viele Optionen zur Wahl, wobei es aber nicht zwingend bedeutet, dass du dann kreativer bist“.

subtext.at: Hat der Titel „The Sea Of Memories“ für dich eine spezielle Bedeutung? Was ist mit dem vorherigen Titel, „Everything Always Now“ passiert?
Gavin Rossdale:
Als wir noch bei Interscope unter Vertrag standen, war der Titel „Everything Always Now“ für das neue Album vorgesehen. Wenig später hatte ich einen neuen Manager. Ich hatte davor vier Manager, es ist verrückt. Er meinte, dass die Platte vielleicht noch nicht fertig ist und ich weiter schreiben sollte. Vielleicht hatte er recht mit seiner Aussage. Acht Monate später dachte ich mir, dass die Platte eher „Everything Alway Then“ heißen könnte (lacht). Es fühlte sich nicht richtig an, ihr diesen Titel zu geben. Später kristallisierte sich „The Sea Of Memories“ als Name heraus. Für mich ist es ein starker Titel. Jeder von uns hat eine Geschichte, führt Erinnerungen mit sich. Das war mein Gedanke dazu. Kultur, Religion, Familie, Schule, was auch immer – diese Dinge beeinflussen unseren Charakter maßgeblich. Wir haben zwar all unsere Meinungen, aber diese Dinge beeinflussen uns trotzdem, leiten uns. In Palästina steinigen sich die Kids im Alter von drei Jahren, doch mit neun erstechen sie sich gegenseitig. Das ist sehr traurig. (überlegt kurz) Musik kann ein Ausweg sein. Heute Abend sind viele gleichgesinnte Leute zusammen. Es gibt keine Kämpfe, keinen Hass, keine Aggressionen. „The Sea Of Memories“ zeigt, wie wir versuchen, zu existieren. Eine universelle Idee. Du bist mit all deiner Geschichte heute zu mir gekommen, ich biete dir meine Geschichte an. Wir versuchen, eine gemeinsamen Weg zu finden, ich beantworte deine Fragen. Musik kann eine Brücke sein, ein Ausweg.

Links & Webtips:
bushofficial.com
facebook.com/BushOfficial

twitter.com/GavinRossdale

Foto: EarMusic (Edel)

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