ALABAMA SHAKES: Unzeitgemäße Zeitgenossen

Verflucht retro klingt sie, die Band um Frontfrau Brittany Howard, und damit einhergehend auch ungemein lebhaft. Alabama Shakes machen fernab aller Vermarktungsstrategien und Trends einfach „nur“ gute Musik. Straffe Songs, die dank zugkräftiger Melodien und kehlig vorgetragener Stimme ad hoc zu begeistern wissen. Manche Kollegen erklärten bereits im letzten Jahr diese Gruppe zur besten ihrer Art. Haben wir Europäer jetzt Nachholbedarf?

Für manche Musikjournalisten sind Alabama Shakes wieder ein Act, ohne die Rockmusikwelt um einiges ärmer wäre. „Boys & Girls“ ist ein Debüt, das erstklassig klingt, wobei dessen einzelne Bestandteile für sich genommen weder besonders noch außergewöhnlich sind. Alabama Shakes adaptieren den Rock der 60er und 70er und fahren damit richtig gut. Das Quartett spielt eine eigene Interpretation dieser Stilistik. In den Refrains schwingt sich Howard schwungvoll und treffsicher auf und untermalt somit einen Roadmovie-Soundtrack durch so manche Hinterlassenschaften der amerikanischen Südstaaten.

Ja, gut geht es los. „Hold On“, der Hit der Platte, ist am Anfang vorzufinden und gibt den Takt an. Als würde Amy Winehouse oder Janis Joplin (wenn sie noch am Leben wären) hinter dem Mikro der White Stripes Platz nehmen. So oder ähnlich kann man sich den Sound vorstellen. Der Fuß wippt und es darf gescheppert werden. Die Band musiziert über Abenteuer im Alltäglichen. Über Religion, Glaube, Gott („There must be someone up above“) und die Welt.

Brittany Howard fühlt jede noch so kleine Lücke mit ihrer voluminösen Stimme aus. Sie weiß, dass die kleinen Dramen des Lebens große Gesten benötigen, damit sie überhaupt Gehör finden. Die Kings Of Leon aus Tennessee haben sich diesen Satz gleichermaßen hinter die Ohren geschrieben. So überwältigend wie in „Be Mine“, ein vor Ekstase ergriffenes Stück, ist „Boys & Girls“ bedauerlicherweise nicht immer. Es gibt noch Verbesserungsbedarf. Ein Song wie „Goin‘ To The Party“ ist so schnell vorbei, ohne das etwas Nennenswertes passiert. Der Walzer in „Heartbreaker“ ist nett gemeint, aber wirkungslos. „Boys & Girls“ hängt in der Mitte durch und erzeugt damit so manche Längen, die nicht nötig wären.

Dessen ungeachtet haben die Songs, diese Oldtimer, Sonne im Herzen und Hummeln im Hintern. In Europa hat es dieses urige Traditionsbewusstsein der Alabama Shakes (Stichwörter sind Bluesrock, Garagenrock & Soul) nicht so leicht. Wer weiß, wohin die Reise geht und wie lang sie anhalten wird. Zumindest sind die Segel gesetzt. Das hier ist absolut großherzig – und hoffentlich auch verkäuflich.

Facts:
Alabama Shakes – Boys & Girls
Gesamtspielzeit: ca. 37 Minuten
Rough Trade


Links & Webtips:

alabamashakes.com
facebook.com/theAlabamaShakes
twitter.com/alabama_shakes

Foto:
Rough Trade, Pieter M. van Hattem, Autumn de Wilde

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