Filmreview „Liebe“

Das Drama mit dem Originaltitel „Amour“ wurde 2012 in Frankreich gedreht und wird gerade im Moviemento Kino Linz gezeigt. Regie führte der durch Filme wie „Die Klavierspielerin“ (basierend auf dem gleichnamigen Roman Elfriede Jelineks) oder „Das weiße Band“ (Goldene Palme 2009) bekanntgewordene Michael Haneke.

Der Inhalt: Georges (Jean- Louis Trintignant) und Anne (Emmanuelle Riva) befinden sich in ihren Achtzigern. Sie sind musikliebend und wohnen in Paris. Ihre Tochter Eva (Isabelle Huppert) ist Musikerin, tourt durch die Welt und schaut ab und zu vorbei.

Der gewohnte Alltag kippt jedoch, als Anne einen Schlaganfall erleidet. Sie ist fortan halbseitig gelähmt und bereits bei alltäglichen Dingen wie dem Toilettengang auf Hilfe angewiesen. Georges kümmert sich um sie, stellt zuerst eine, dann eine weitere Krankenschwester ein-  Letztere wird wieder gekündigt-, und bekommt Unterstützung beim Einkaufen und Haushalt von einem benachbarten Ehepaar.

Der zweite Anfall Annes verändert die Situation nun drastisch: Sie muss gefüttert werden, bekommt künstliche Ernährung, kann kaum noch sprechen und bringt dann häufig nur Unzusammenhängendes hervor. Georges Überforderung nimmt zu: Er schlägt Anne, als sie ihm das Essen ins Gesicht spuckt, will Eva den wahren Zustand ihrer Mutter vorenthalten, indem er Anne einsperrt, um die noch harmloseren Beispiele zu nennen.

Am Ende des Filmes werden die gemeinsam aus der Wohnung gehenden Eheleute sowie die schwarz gekleidete Tochter, die hineintritt, gezeigt.

„Liebe“ behandelt den Prozess des Altwerdens und Sterbens, greift Pflege und indirekt eventuell das Thema Schuld auf.

Die Umsetzung: Ins Auge sticht, dass der Film bis auf die Anfangsszene ausschließlich in der Wohnung des Paares spielt und auf jegliche Filmmusik verzichtet. Musik wird allerdings eingesetzt, als Anne ihren ehemaligen Klavierschüler um eine Kostprobe bittet oder George eine CD einlegt.

Wie bereits in „Das weiße Band“ werden auch Momentaufnahmen ohne Menschen präsentiert: Die Paillette reicht dabei von einer Taube über Räume der Wohnung oder eingeblendete Kunstwerke.

Der zweistündige Film versteht es, feinfühlig über Tabuthemen der Gesellschaft zu berichten. Die dargestellte Überforderung von Georges wird verstanden und man glaubt nachvollziehen zu können, dass die Pflege eines Menschen Gefühle der Verzweiflung oder gar Wut auf den/die Betroffene(n) hervorrufen kann.

Die Diskussionen des Vaters mit der Tochter sind realitätsnah. Die Sorge um die Mutter, der Wunsch, helfen zu können kollidieren mit der Realität: den Herausforderungen des eigenen Lebens, der Angst, etwas falsch zu machen. Georges und Eva haben unterschiedliche Ansichten und schaffen es schließlich doch, einen gewissen Zusammenhalt herzustellen.

Haneke hat auf Details geachtet: Der Haushalt wird mit der Zeit immer schlechter erledigt, schmutziges Geschirr stapelt sich, Geschichten und Erinnerungen wirken wie nebenbei erzählt, lassen aber einen Eindruck zurück.

Die Wirkung: Obwohl der Film tendenziell eine eher bedrückende und nachdenkliche Stimmung erzeugt, kann bei manchen Szenen geschmunzelt werden.

Berührend sind vor allem die authentisch wirkende Verzweiflung der Tochter, die Szene, in der sich Georges bevormundet und Eva gewissermaßen hintergangen fühlt oder Kleinigkeiten wie die gesandte CD des ehemaligen Klavierschülers, über die man sich unterhalten hatte.

Durch den intimen Schauplatz wirkt das Drama privat und von außen abgeschlossen. Hilfe wird zwar angeboten, es handelt sich hierbei aber mehr um Kleinigkeiten, die schnell abgenommen oder verrichtet werden können. Das Leben der Anderen, das Leben vor dem Fenster quasi, geht wie gewohnt weiter und bleibt unberührt von den (dramatischen) Ereignissen anderer.

Die Auswirkungen nach dem zweiten Schlaganfall waren im Vergleich zum ersten gravierend, daher der Prozess des Sterbens ein voraussehender.

Das Ende erschien mir skurril und schwer zu interpretieren, da ich nicht der Meinung bin, dass Haneke (bloß) etwas wie „im Tode vereint“ damit aussagen will.

Erinnerungen spielen eine Rolle, mir persönlich hätte die Einräumung von mehr Platz für diese gefallen.

„Liebe“ ist mit 12 Jahren freigegeben, hat Haneke eine zweite Goldene Palme beschert und zu einer Einladung zu den Internationalen Festspielen von Cannes verholfen.

 

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/