Bist du noch wach? – Coming-of-Age, hautnah
Manche Romane sind so nah am Leben, dass sie ganz besonders weh tun. Weil mal all das trotz allem auch ist und all der Schmerz nicht unbekannt.
Ein Buch über Liebe zu schreiben ist einfach. Aber so einfach ist all das in Wirklichkeit nicht. In Wahrheit geht es stets auch um Freundschaft, um Schmerz und Einsamkeit, um Heimat. Um Familie. Um neue Begegnungen und letzte Abschiede. Elisabeth Ranks zweites Buch befasst sich mit all diesen Themen. Beschreibt so poetisch wie aufwühlend von ungesprochenen Worten und ewigen Geheimnissen, von furchtbaren Missverständnissen und der oftmaligen Weigerung, etwas wahr zu haben.
Elisabeth Rank, eine junge Autorin, Publizistin und Bloggerin, wagt sich an diese Herausforderung. Hat ihr erstes Werk „Im Zweifel für dich selbst“ (2010, Suhrkamp Nova) noch von der Flucht und dem Tod und von Hilflosigkeit gehandelt, so wirkt dieses späte „Coming-of-Age“-Werk viel näher (am Leben und an einem selbst), nicht weniger ehrlich aber womöglich umso intensiver.
Rea und Konrad. Freunde fürs Leben. Menschen, die sich oft selbst ohne Worte verstehen. Zwei, die nicht nur einmal als Paar angesprochen wurden. Und auch noch Mitbewohner. Und für Rea scheint alles gut zu sein: der Job in der Marketingagentur gefällt, die Männer an ihrer Seite wechseln zwar hin und wieder, aber jedes Mal ist Konrad da, um sie aufzufangen. Jedes verdammte Mal.
Bis Konrad nicht mehr alleine ist. Bis Reas Vater im Krankenhaus liegt. Bis plötzlich alles einzustürzen droht, und niemand da ist. Oder niemand da zu sein scheint. Bis der Ort, der jahrelang Heimat war, plötzlich zur Last wird. Bis Geheimnisse auftauchen und der Schmerz und die Angst Überhand nimmt. Elisabeth Rank nimmt einen mit auf eine Reise durch ein so bekanntes Leben, wie es viele von uns führen werden. Von der Erfahrung, dass Fixpunkte nur selten wirklich fix sind und Abschiede zum Leben dazugehören.
So sehr man auch versucht, Abstand zu behalten: vor allem die abschließenden fünfzig Seiten sind von solch einnehmender Brillanz, voll mit wahren Worten, über all die Schwierigkeiten, in welche man mit dem fortschreitenden Alter, mit dem Herauswachsen aus den Kinderschuhen und dem Elternhaus, geschubst wird. Und dass es jene, die es eigentlich besser wissen sollten, nicht erklären können. Und dabei zusehen, wie wir stolpern und fallen und träumen und weinen.
Ich hab wirklich gedacht, dieser eine Moment, in dem deine Eltern kommen und dir erklären, wie alles läuft, oder deine Großeltern, der gehöre dazu wie Jugendweihe und Abitur und jedes Jahr Weihnachten. Von da an wird alles anders, habe ich gedacht, da bist du dann erwachsen, habe ich gedacht; und diese Erwartung irgendwann vergessen.
Elisabeth Ranks Erstlingswerk war bereits ein schönes Buch: der Road-Trip auf der Flucht vor der Realität war berührend zu lesen, aber vielleicht nicht so realistisch wie Bist du noch wach? Denn es stimmt: man wird nicht erwachsen, mit einem Klick, mit einem Augenaufschlag oder einer ausgeblasenen Geburtstagskerze. Und Erwachsensein ist nicht dieses Glorreiche, Erfüllende, wie man es sich als Dreikäsehoch vorstellt. Erwachsensein stinkt manchmal, immer mal wieder muss man nachjustieren. Aber manchmal – ja, manchmal – kommt ganz einfach alles zusammen. Vielen Dank, Frau Rank, für dieses besondere, berührende Werk.
Das Buch „Bist du noch wach?“ ist in einer Hardcover-Version im Berlin Verlag erschienen und umfasst 252 Seiten.