THE JOY FORMIDABLE: „Erlaube, Dingen ihren freien Lauf zu lassen“

Technologie jenseits von Ablehnung und Verehrung: Auf ihrem zweiten Album auf einem Majorlabel (ihr viertes insgesamt) denken die Waliser von The Joy Formidable über Gott und die Welt nach. Mindestens. Wo fängt der Fortschritt an, wo hört er auf? Welche Dinge sind wichtig im Leben? Welchen schenken wir unnötigerweise zu viel Achtsamkeit?

The Joy Formidable sind als Gesprächspartner äußerst eloquent und auskunftsfreudig. Man merkt förmlich, wie eingeschweißt die Alternative-Band agiert. Der eine fängt einen Satz an, der andere beendet den Gedanken. Mit ihrem hellblonden Schopf und den blauen Strahleaugen zieht Frontfrau Ritzy Bryan die Aufmerksamkeit ohne Mühe auf sich. Auch Bassist Rhydian Dafydd schließt man aufgrund seiner reflektierten Art schnell in sein Herz. Schlagzeuger Matt Thomas ist eher zu Witzen aufgelegt und hält sich dezent im Hintergrund.

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Ein Interview über Instinkte, Zeitmangel und das Musikgeschäft.

subtext.at: Ritzy, sind The Joy Formidable eine kopfgesteuerte Band? Trefft ihr Entscheidungen betreffend der Musik rational oder hört ihr eher auf euer Herz?
Ritzy Bryan: Als kopfgesteuert würde ich uns nun nicht wirklich bezeichnen (lacht und überlegt). Wir hören einfach auf unser Herz. Es hält die Dinge lebendig und aufregend. Ich bin der Meinung, man soll seine Emotionen ruhig zu lassen, egal, ob sie nun in die Höhe oder in die Tiefe gehen. Trotzdem sollte man auch versuchen, einen Mittelweg zu finden. Mir ist es außerdem wichtig, mich mit den Leuten in meiner unmittelbaren Umgebung mental verbunden zu fühlen.

subtext.at: Gehst du nach deinem Bauchgefühl, wenn du Songs schreibst? Folgst du deiner Intention?
Ritzy Bryan: Du musst einfach geistig bei dir sein. Was inspiriert dich, wie geht es dir persönlich dabei, was regt deine Vorstellungskraft an? Ich denke nicht, dass man jeden Augenblick davon analysieren muss, auf die Art „So, was mache ich nun als Nächstes, welchen Schritt mache ich jetzt“. Lass dich einfach von deiner Kreativität führen. Erlaube es, Dingen ihren freien Lauf zu lassen. Wir als Band gehen damit sehr offen um. Es herrscht eine blinde Vertrautheit zwischen uns, wenn wir Songs schreiben und als wenn wir auf der Bühne performen.

subtext.at: Was ist mit unserem Urtrieb, mit unseren animalischen Instinkten – beeinflussen sie uns noch in Zeiten der Massentechnologie? Mir ist aufgefallen, dass bei euch animalische Symbole und Metaphern stets Verwendung finden…
Rhydian Dafydd: Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben darüber auch bei der Entstehung des „Wolf’s Law-“Albums gesprochen. (überlegt) Man kann nicht einfach offenkundig die Technologie verdammen, das ist der falsche Weg. Trotzdem lassen sich Dinge hinterfragen und man kann sich auch selbst die Frage stellen, was einen wirklich glücklich macht und was in der heutigen Zeit eigentlich wirklich benötigt wird. In bestimmten Ländern und Regionen helfen die neuen Medien beim Protestieren. Und eine Regierung ist dann am besten, wenn sie die Leute beschäftigt hält, oder? Ich finde es gut, dass es auch anspruchsvolle Blogger gibt, die ihre Meinung kundtun. (überlegt) Die ganze Situation lässt dich fragen, was wirklich im Leben wichtig ist, wenn du Freunde oder Familie verlierst. Wir haben uns gefragt, welche Dinge es wert sind, aufgeschrieben zu werden. Wir möchten nicht über irgendwas schreiben. Wir schreiben über Sachen, die uns wichtig sind, die uns beschäftigen.

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subtext.at: Wissenschaftler sollten herausgefunden haben, dass die Basis unserer Instinkte und die von Tieren nahezu identisch sind. Sollen wir mehr auf unsere innere Stimme oder diese verdrängen?
Rhydian Dafydd: Unser Urinstinkt kann manchmal zu Gewalt führen. Zum größten Teil haben wir das jedoch hinter uns gelassen, als wir zivilisiert geworden sind. Bisweilen würde ich aber trotzdem sagen: Hör auf dein Herz. Es ist der richtige Weg. Darum geht es doch innerhalb der Rock- und Alternative-Szene – um unabhängiges und selbstständiges Denken.
Ritzy Bryan: Dieser Gedanke gefällt mir auch. Du kannst im Internet Ideen austauschen zwischen Gleichgesinnten. Bands sind dazu in der Lage, sich selber aufzubauen und sind nicht mehr dermaßen auf Massenmedien angewiesen. Es ist eine interessante Balance, in der wir uns befinden.
Rhydian Dafydd: Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass die Leute vom ganzen Trubel überfordert sind und auf einen Anführer warten. Auf jemanden, der mit seiner Meinung voran geht. Das kann auch überfordern.

subtext.at: Heutzutage ist es schwierig, überhaupt eine Entscheidung zu treffen bei all den Möglichkeiten, die sich einem bieten.
Ritzy Bryan: Du fühlst dich verloren, lost. Ich verstehe das gut.
Rhydian Dafydd: Die Leute nehmen sich auch nicht mehr die Zeit für etwas, sie wollen Information in kleinen Häppchen und so schnell wie möglich.

subtext.at: Das ist ja auch ein Problem unserer Zeit – die Zeit selbst.
Ritzy Bryan: Du musst dir die Zeit nehmen (lacht)!
Rhydian Dafydd: Manche Leute sagen mir, sie könnten ohne ihr Mobiltelefon nicht überleben. Aber hey, die Welt wird nicht aufhören sich zu drehen, verstehst du? Mit ein bisschen Abstand sind manche E-Mails vielleicht doch nicht so wichtig und dringend wie angenommen.

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Das Cover eures aktuellen Albums „Wolf’s Law“ hat mich an Märchen wie Rotkäppchen oder die drei kleinen Schweinchen erinnert. Für mich steht der Wolf für ein Abbild der Wildnis. Was repräsentiert er für euch?
Ritzy Bryan: Es ist die Mehrdeutigkeit, die mir gefällt. Uns hat schon immer das Mysteriöse, Uneindeutige gefallen. Das Mythologische, das Animalische hilft dazu bei, das größere Ganze zu sehen und es zu betrachten (lächelt). Für manche ist der Wolf angsteinflößend, andere Kulturen preisen ihn als heilig. Der Titel spielt definitiv mit einer naturverbundenen Symbolik, die sich auch im Artwork von Martin Wittfooth widerspiegelt. Wir und Martin kamen in Brooklyn, New York zusammen und unsere Musik passte zu den Bildern in seiner Ausstellung „Empire“. Wir haben uns mit ihm unterhalten und er malt Dinge, die wir mit unserer Musik ausdrücken wollen. Er malt in einer sehr klassischen Weise, doch gleichzeitig sind es sehr moderne Dinge, die er abbildet.

subtext.at: Mit jeder neuen Veröffentlichung scheint das Interesse an The Joy Formidable zuzunehmen. Mögt ihr die Idee, dass alles zur richtigen Zeit passiert? In welche Richtung steuert eure Band zu?
Rhydan Dafydd: Es ist schon ein bisschen seltsam für uns. Unsere Intention war es, schon ganz früh, raus zu gehen und die Leute bei unseren Shows zu erreichen und dort unser Album zu verkaufen. Es gab noch keinen Hype um uns, keine Medien, die Interesse bekundet haben und kein Label. Wir haben von der Hand in den Mund gelebt. Um ehrlich zu sein, haben wir deswegen Musik auf unterschiedliche Arten veröffentlicht. Wir möchten an unserem Weg nichts ändern, denn für uns fühlt es sich wie eine ganz natürliche Entwicklung an. Ich denke nicht, dass unsere Popularität von irgendwem erzwungen wurde. Die Leute kommen zu unseren Shows, weil sie es wollen. Es gibt Bands, da gehen die Leute hin, weil sie einen Song gut finden und der Rest kümmert sie nicht – dazu wollen wir nicht gehören. Wir sind sehr glücklich, in welcher Position wir uns momentan befinden.
Ritzy Bryan: Wir sind immer noch dieselbe Band. Wir machen Platten, wie wir sie machen möchten. Wir lieben es, unterwegs zu sein, Leute zu treffen, zu sehen, dass eine Verbindung da ist. Wir genießen es, Shows zu spielen. Vieles lässt sich sowieso nicht kontrollieren.

subtext.at: Perfektionisten üben auf sich selbst ständig Druck aus, um das schier Unmögliche zu erreichen. Seht ihr euch in dieser Position?
Rhydian Dafydd: Es ist uns wichtig, was und wie wir etwas veröffentlichen. Das ist das, was uns reizt. Wir haben uns nie beschränkt gefühlt, auf irgendeine Weise, wenn es um Musik geht.
Ritzy Bryan: Es ist wichtig, seine Grenzen zu erforschen und Experimente zu wagen. Beim Songwriting, bei den Arrangements, im Leben selbst.
Rhydian Dafydd: Dass ist das, was dich schließlich am Leben hält. Du kannst eine Formel hernehmen und diese immer und immer wieder anwenden – aber innerlich stirbst du dann (lacht). Ist es nicht so? Natürlich kommt dann die Geld-Frage hinzu und das ganze Ding mit Fame, Ruhm und Popularität . Dann zeigt sich auch schnell, wer dem Druck standhalten kann und wer nicht.

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subtext.at: Weil ihr „joy“ im Bandnamen habt, was für Freude steht…
Ritzy Bryan: Das ist ironisch gemeint (alle lachen).

subtext.at: Dann gebt mir eine ironische Antwort auf meine Frage; Wie kann man sein Leben freudiger und lustvoller gestalten?
Ritzy Bryan: Vielleicht sich mehr Zeit nehmen. Für die Dinge, die man mag und die einem wichtig sind.
Rhydian Dafydd: Sich Zeit für die Leute nehmen, die man mag. Sie bereichern unser Leben. Familie und Freunde. So gut heutzutage Sachen wie Facebook, Twitter und Co. sind, man sollte darauf nicht vergessen. Manchmal denken wir nicht daran, Zeit und Mühe in unsere Beziehungen zu investieren.

subtext.at: Ihr macht schon lange Musik zusammen. Welche negativen Eigenschaften, wenn überhaupt, zeichnet das Musikgeschäft eurer Meinung nach aus?
Ritzy Bryan: Manchmal musst du durch viel Mist durchmachen, um kreativ da zu sein, wo du hin willst, um ehrlich zu sein. Dieser ganze durchorganisierte Kram, von Labels und der Plattenindustrie, das zehrt an einem und verwässert die Kreativität.
Rhydian Dafydd: Wenn es ums Geld geht, dann geht es auch um Kontrolle. Ich finde es ein bisschen seltsam, dass Leute geschockt sind, wenn wir mal einen akustischen Song darbieten und dann zu einem Song mit vielen Texturen wechseln oder einen mit Orchester aufnehmen. Warum sollten wir unsere Freiheit musikalisch nicht nutzen? „OK, sie haben eine Frontfrau, dann sind sie so wie die Yeah Yeah Yeahs“ (lacht).
Ritzy Bryan: Ich frage mich, ob es heutzutage eine Band wie Yes überhaupt geben könnte. Oder eine Gruppe wie R.E.M., die jedes Album anders klingen lässt. Erlauben wir überhaupt einer Band, sich die Freiheit zu nehmen, die sie braucht? Lassen wir Originalität zu oder ersticken wir sie im Keim?

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Rhydian Dafydd: Es gibt so viele Bands und der Trend geht ja dazu, alles Neue abzufeiern. Ich weiß nicht, wie es in Wien und Österreich ist, aber in Großbritannien läuft es genau so. Es ist wichtig, die Band der Stunde zu sein und was danach kommt, weiß keiner.
Matt Thomas: Die Industrie ist auch daran Schuld, weil sie diese Vorgehensweise unterstützt und fördert. Sie lässt nicht zu, dass sich Dinge entwickeln und die Leute sind zu faul, um selbst nach neuer, guter Musik zu suchen.
Rhydian Dafydd: Für Songschreiber ist es auch schwer, weil das Geld auch nicht mehr auf der Straße liegt. Die Musikindustrie greift da zu sehr auf Bekanntes zurück, anstatt junge Talente zu unterstützen. Auf der anderen Seite ist es aber noch immer eine sehr kreative Industrie ist. Alles ist möglich, wie man so schön sagt. It’s not over yet (lacht).

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Jeremy Cowart, Warner Music
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