PLACEBO: „Balance im Leben, darum geht es“

Es gibt einen Punkt, an dem manche Bands zu alt für gewisse Dinge werden. Und es gibt Gruppen, die diesen Punkt niemals erreichen. Bei Placebo im Allgemeinen und bei Brian Molko im Speziellen scheint dieser Augenblick noch in weiter Ferne. Und sieht man mal von ihrer Musik ab, sind Placebo auch im zwanzigsten Bandjahr auf dem Boden geblieben.

Das Trio ist mittlerweile bei der größten Plattenfirma der Welt angekommen. Das spürt man. Jeder der drei Musiker hat eine Hotel-Etage für sich gemietet bekommen. Sänger Brian Molko verweilt selbstverständlich in der Raucher-Lounge, wirkt sichtlich gut gelaunt und Bassist Stefan Olsdal ist schlichtweg die Ruhe in Person. Ganz anders Interviewpartner Steve Forrest. Der wirkt quicklebendig, aufgedreht und überschwänglich.

Ein Interview über Rock’n’Roll als Mythos, über gute und schlechte Angewohnheiten und weshalb bei Placebo jetzt psychedelisch geworden sind.

subtext.at: Steve, bist du empfänglich für Schmeicheleien?
Steve Forrest: Für Schmeicheleien (lacht)? Manchmal schon, vermute ich. Ja, nein, vielleicht (lacht)?

subtext.at: Ich frage dich deshalb, weil mir euer neues Album „Loud Like Love“ wirklich sehr gut gefällt. Welches Bild ist euch vorgeschwebt, als ihr das neue Werk angegangen seid? Seit dem letzten Placebo-Album sind ja inzwischen vier Jahre vergangen.
Steve Forrest: Wir haben zu der Zeit viel psychedelische Musik gehört. Deswegen ist auch das Artwork so ausgefallen. A psychedelic explosion. Wir haben viel geforscht und für uns entdeckt und wir wollten nicht den gleichen Weg einschlagen wie beim Vorgänger. Wir wollten sehen, was wir noch alles tun können, weil ansonsten hätten wir uns sehr unwohl gefühlt. „Loud Like Love“ ist für Placebo eine einzigartige Platte, weil wir nicht viel über sie nachgedacht haben. Das Motto war: „Einfach machen!“ Nicht zu viel darüber nachdenken, wie die Meinung von außen aussehen könnte, von unserem Management, von unsere Label. Wir wollten einfach mit jedem Song den Moment auskosten, der sich uns anbot. Es hat sich alles richtig angefühlt im Endeffekt, die Länge der Songs, wie sie klingen… (überlegt) Wenn du Monat für Monat im Studio verbringst, wissen deine Ohren am Ende nicht mehr, was gut und was schlecht ist. Dieses Album ist aus dem Vibe geboren, wenn man so will. Das Gefühl hat gestimmt.

subtext.at: Du hast das Artwork angesprochen. Das ist nun wirklich nicht das, was wir über die Jahre von Placebo gewohnt sind. Hat die Musik auf „Loud Like Love“ nach solch einer Farbpalette verlangt?
Steve Forrest: Ich glaube, dass diese Bildsprache diesmal von Nöten war. Brian und ich haben oft darüber geredet und dann haben wir uns gesagt: „Lass es uns tun, lass uns etwas Psychedelisches verwenden.“ Es muss ja nicht immer Schwarz sein, auch wenn ich heute ein schwarzes T-Shirt trage (lacht). Wir wollten etwas Frisches haben, weil sich die Platte auch frisch angefühlt hat für uns. Unkonventionell, ja, aber wir haben uns schließlich doch dafür entschieden. Visuell bezeichnen wir es gerne als „Cosmic orgasm“ (lacht).

subtext.at: Es gibt Leute, die generell Bilder oder Farben vor ihrem geistigen Auge sehen, wenn sie Musik hören. Teilst du diese Ansicht?
Steve Forrest: Ja, schon. Weißt du, ich komme ja aus Kalifornien und dort ist die beste Methode, eine neue Platte zu hören, sie im Auto bei einer Fahrt zu testen. Du schiebst sie in CD-Player, lässt die Fenster runter, drehst voll auf cruist herum auf den Highways dieser Welt. Wenn du dir das bei einer Platte visuell vorstellen kannst, dann hat es schon „Klick“ gemacht. Kannst du das nachempfinden? Hast du dieses Gefühl gehabt, als du dir das Album angehört hast?

subtext.at: Ja, ich stimme dir zu. Diese Symbolik, die du ansprichst, funktioniert sehr gut bei „Loud Like Love“.
Steve Forrest: Siehst du (lacht)! Es ist auf jeden Fall das, was wir mit diesem Album bewerkstelligen wollten. Wir wollten dieses Gefühl aufgreifen.

subtext.at: Die Platte zeigt für mich auch, dass man optimistisch durch die Welt gehen kann, ohne alles durch eine rosa-rote Brille betrachten zu müssen.
Steve Forrest: Das stimmt. Ich habe sogar optimistische Tattoos, die sich über meine Zehen erstrecken. Lustig genug (lacht)! Aber du hast einen wichtigen Punkt angesprochen: Du hast nur ein Leben. Sei nicht die ganze Zeit unglücklich und schlecht gelaunt. Sei kein Idiot! (überlegt) Ich möchte jetzt nicht über mein Heimatland herziehen, aber es gibt viele, die sich dort so aufführen. Friede, Freude, Eierkuchen und alles ist toll – nein ist es nicht! Das Leben läuft nicht immer rund, klar, aber das ist ja auch das Besondere daran! Balance im Leben, darum geht es. Wenn du lernst, diesen Bullshit zu akzeptieren, dann hilft dir das. Überlege doch, wie es dich weiterbringen kann oder was du daraus gelernt hast. Ich denke, dass du erst dann das Gute wahrnehmen und Licht von Dunkel unterscheiden kannst. Bei „Battle For The Sun“ haben wir das ja schon thematisiert.

subtext.at: Was bedeutet dir überhaupt der Rock’n’Roll? Kann man nicht mehr aufhören, wenn man einmal davon gekostet hat?
Steve Forrest: Ja! Verhält es sich nicht generell so bei Musik? Egal, ob es jetzt Folk, Jazz oder Funk, was auch immer – es ist eine wunderbare Droge. Musik ist ja überhaupt eine der größten Errungenschaften der Menschheit. Sicher Top 3 (lacht). Musik zu machen, das ist eine universelle Angelegenheit. Es ist die größte Sache überhaupt. Speziell der Rock hat viel verändert und getan, besonders in den 60ern. Dann kam noch der Pop hinzu, der Blues und so weiter. (überlegt) Rock’n’Roll bedeutet für mich leben. Du erhältst grünes Licht, um ein wildes Tier zu sein (lacht). Du kannst sagen: „Fuck the man, fuck you, too and fuck me, yeah!“ Verstehst du, was ich meine (acht lauthals)?

subtext.at: Der Rock’n’Roll gibt einem also die komplette Freiheit, Dinge zu tun oder zu lassen?
Steve Forrest: Das hast du gut gesagt. Er gibt dir komplette Freiheit über dein Leben. Es gibt keine Regeln, wie beispielsweise beim Jazz. Soll jetzt nicht heißen, dass ich Jazz nicht mag (lacht). Das ist das Tolle daran.

subtext.at: Auf der Bühne sieht man dir jedenfalls an, dass du das Livespielen mit jeder Faser genießt.
Steve Forrest: Ich liebe es einfach. Du schaltest dein Hirn aus und lässt dich einfach gehen. Du kannst dich komplett auf die Musik einlassen, dich in ihr verlieren. Das ist auch eine Art von Freiheit. Dann hörst du einen Titel und du kommst wieder zurück, weißt wieder, wo du dich befindest. Du rockst so ab, dass du fast ohnmächtig wirst. Du bist so glücklich, du könntest weinen. Das passiert mir auch schon mal, speziell bei dem Song „Blind“. Da breche ich in Tränen aus. Ich schaue dann zu Fiona, unserer Geigerin und deute ihr: (spricht mit weinerlicher Stimme & lacht) „Oh mein Gott, das ist so traurig, ich kann nicht mehr!“ Playing music for living. Ich bin so glücklich, weil ich das machen kann und wir unsere Emotionen mit dem Publikum teilen können. Wenn du dir eine Band anschaust und dieses unsichtbare Band entfaltet, ist das großartig!

subtext.at: Auf der anderen Seite neigen junge Musiker oft dazu, den Rock’n’Roll-Lifestyle voll auszukosten, wenn sie in seine Nähe kommen.
Steve Forrest: Es gibt viele junge Bands heutzutage, die dem nachahmen, was du angesprochen hast. (überlegt) Es gibt eine Band, deren Name ich jetzt nicht nennen möchte, mit der ich befreundet bin. Ich habe sie in London vor einigen Monaten live gesehen und es war wirklich schlimm. Sie zeigten überhaupt keine Spielfreude auf der Bühne und der Sound war furchtbar. Es war zum verzweifeln. Selbst einer wie Jimmy Hendrix war immer noch gut genug an seinen schlechten Tagen, verstehst du? Oder jemand vom Kaliber einer Janis Joplin. Kurt Cobain ist ja auch ein gutes Beispiel dafür, wie man abstürzen kann, obwohl man davor großartige Musik veröffentlicht hat. (überlegt) Den Kids von heute geht es um ihr Image. Sie kleiden sich so, wie man sich zu kleiden hat und sie klingen so, wie man klingen muss. (verstellt seine Stimme) „Nimm Drogen und mach Party, yeah!“ Wir sind nicht mehr in den 70ern, du Idiot! Du musst bei der Sache sein, professionell sein. Natürlich kannst du diese Dinge auch genießen. Alles hat Licht und Schattenseiten. Trink etwas, mach Party, sei laut, was auch immer. Aber tue diese Dinge erst, nachdem du deinen Job erledigt und eine gute Show für dein Publikum hingelegt hast, dich für sie verausgabt hast. Es wundert mich nicht, dass manche Gruppen, die heute noch auf einer Bühne stehen, morgen schon in Vergessenheit geraten. Sorry, ich schweife ab und du sagst nichts (lacht lauthals)!

subtext.at: Brian hat irgendwo gemeint, dass er kein großer Fan von Nostalgie ist. Wie ist es bei dir? Denkst du viel über die Vergangenheit nach?
Steve Forrest: Ach, da bin ich ganz schlecht drin. Ich zerbreche mir gerne den Kopf über gewisse Dinge, die schon passiert sind und nicht mehr zu ändern sind. Oder über Dinge, die sich in Zukunft abspielen werden. (überlegt) Seit den letzten paar Jahren versuche ich, Sachen, die in der Vergangenheit passiert sind, einfach anzuerkennen und im Moment zu leben. Der Anfang unseres Gesprächs, der liegt ja schon in der Vergangenheit, ist es nicht so? (überlegt) Ich weiß nicht. Pro Brian (lacht).

subtext.at: Wenn du nicht Musiker wärst, welchen Job würdest du ausüben?
Steve Forrest: Wahrscheinlich Tätowierer.

subtext.at: Du könntest jetzt schon eine Art Ausstellung mit deinem Körper anstellen.
Steve Forrest: Nicht wahr (lacht)? Hey warte mal, du benutzt ein analoges Diktiergerät für das Interview? Wie cool ist das denn? Ist mir zuerst gar nicht aufgefallen (freut sich sichtlich).

subtext.at: Manche von uns kauen ihre Nägel, rauchen, verausgaben sich, trinken zu viel Alkohol. Ich möchte gerne von dir wissen, was sind die schlechten Angewohnheiten von Placebo?
Steve Forrest: Ha! Die kann ich dir jetzt nicht verraten (lacht dreckig)!

subtext.at: Keine Sorge, ich bin nicht hier, um über sie zu urteilen.
Steve Forrest: Ja, aber du hast es auf Tape, was noch viel schlimmer ist (lacht)! Lass mich überlegen… Brian ist starker Kettenraucher, was bekannt sein dürfte. Ich neige dazu, zu viel Pot zu rauchen, mir zu viele Tattoos stehen zu lassen und zu viel Geld für neue Platten auszugeben. Ich versuche, mein Geld zu sparen, aber ich schaffe es nicht (lacht). Stefan hat keine schlechten Angewohnheiten. Er ist in jeder Hinsicht perfekt.

subtext.at: Das führt mich schon zur letzten Frage – was sind die guten Seiten von und an Placebo?
Steve Forrest: Wir haben wirklich viel Spaß zusammen. Wir wissen, wann die Arbeit getan werden muss und wir jammern nicht. Für unsere Egos oder für eine bestimmte Attitüde gibt es da keinen Platz. Wir sind sehr eng miteinander, wie eine Familie. Viele Leute denken ja, speziell bei Brian, dass er stets eine schlechte Miene zieht und dauernd in sich gekehrt ist – das stimmt nicht! Wir sind wirklich goofy, wie kleine Jungs, die Blödsinn machen. Wir umarmen uns stets, sind gut zueinander. Die Bandchemie stimmt.

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