Ville Valo: „Unser Lebensmotto ist HIM und nichts anderes“

Erinnern wir uns: Anfang des neuen Jahrtausends steht plötzlich und wie aus dem Nichts eine finnische Band namens HIM in den Startlöchern. Sie fällt auf, die Bühnenshows sind laut und lasziv und der Frontmann spielt mit einer Androgynität, die es in der Form lange Zeit nicht zu sehen gab. „Join Me“ ist ein Megahit (neben anderen, kleineren Hits), der die Massen anspricht und Sänger Ville Valo kurzerhand zum Sexsymbol macht.

Dreizehn Jahre später lässt Valo und seine Mitstreiter es ruhiger angehen, obwohl er bestimmt dieser Aussage widersprechen würde. Eine äußerst charismatische wie redegewandte Person ist und bleibt er trotzdem. Ob das aktuelle Album „Tears On Tape“ mit lyrischem Esprit und musikalischer Raffinesse in bester HIM-Tradition überzeugen kann und ob sie damit ihrer Karriere einen neuen, kräftigen Schub geben können, muss jeder für sich entscheiden. Ein Interview über Nostalgie, Berühmtheit und den sprichwörtlichen roten Faden.

subtext.at: Ville, in Vorbereitung auf dieses Interviews bin ich ziemlich nostalgisch geworden. Das erste Mal live sah ich HIM vor dreizehn Jahren. Denkst du oft an vergangene Zeiten zurück oder nur gelegentlich?
Ville Valo: Ach, mehr oder weniger. Es ist wie ein zweischneidiges Schwert. (überlegt kurz) Wenn du nur in der Vergangenheit lebst, ruinierst du dir damit die Zukunft. Es ist cool, wenn dir Erinnerungen an vergangene Zeiten geblieben sind und wenn du bekannte Gesichter wiedersiehst. Ich bin aber eher daran interessiert, nach vorne zu blicken und mehr Nostalgie für die Zukunft zu schaffen. Ich möchte mich nicht in Vergangenem suhlen (lächelt).

subtext.at: Welche Gefühle hegst du dann für Songs, die du vor zig Jahren geschrieben hast?
Ville Valo: Es ist witzig. Wir spielen ja noch immer einige wenige Songs von unserem ersten Album wie „It’s All Tears“ oder „Your Sweet Six Six Six“. Diese Songs haben wir bestimmt schon eine Million mal live gespielt. Sie führen ihr eigenes Leben. Nichts kann ihnen anhaben. (überlegt) Es ist so, als würdest du in einem alten Tagebuch blättern. Wenn ich mir jetzt unsere ersten Alben anhören würde, hätte ich ein unbehagliches Gefühl dabei. Trotzdem haben diese Songs ihren eigenen Reiz. Ohne unser ersten Album hätten wir nicht unser zweites aufnehmen können. Es ist wie beim Ping Pong. Da wären wir ja schon wieder bei dem Thema Nostalgie angekommen (lacht).

subtext.at: Euer aktuelles Album „Tears On Tape“ wurde damit angekündigt, dass es zurück zu euren Wurzeln gehen soll.
Ville Valo: Ach, hat sich die Plattenfirma wieder einmal ausgedacht. Das stammt nicht von mir. Ich denke, es fällt ihnen nichts mehr ein, was sie noch über uns sagen könnten.

subtext.at: Ich verstehe.
Ville Valo: „Tears On Tape“ reflektiert nicht unsere Wurzeln, sondern die der Musikgeschichte. Bands wie Black Sabbath oder Type O Negative sind uns wichtig und haben uns beeinflusst. Wir wollten nicht, dass es nach uns in den alten Tagen klingt. Klar, du kannst vorsätzlich versuchen, etwas zu erzwingen, aber es wird sich nie so anhören wie damals. Wir wollten die Riffs heavy haben, wobei wir das schon immer so gehandhabt haben. Diesmal haben wir vielleicht etwas stärker darauf geachtet. Die melancholische Seite sollte dabei erhalten bleiben. Dazu haben wir die Keyboards genutzt. Es gibt Songs, die gleichzeitig süß und schwer klingen. Früher haben wir das etwas strikter voneinander getrennt. Es gab die poppigen Songs und die rockigen Songs. (überlegt) Die Musik war im Januar, Februar fertig, aber es braucht seine Zeit, um sie etwas genauer reflektieren zu können.

subtext.at: Bist du emotional erschöpft, wenn du Musik schreibst? Hinterlässt dich dieser Prozess ausgelaugt und mitgenommen zurück?
Ville Valo: Ja, aber ich finde dieses Gefühl positiv. Es findet eine Katharsis statt und dir wird die Last von den Schultern genommen. Dein Herz und deine Gedanken fühlen sich danach leichter an. Auf diese Art würde ich es beschreiben. (überlegt) Es muss stressig, erschöpfend und anstrengend sein. Andernfalls würde es keine innere Herausforderung geben und es wäre total langweilig. Musik funktioniert nicht auf diese Weise. Es muss einen inneren Antrieb geben. Na los, schreiben wir einen Song und nehmen ihn auf – langweilig!

subtext.at: Wird der sicherste Weg für Künstler irgendwann zu einer Standardroute? Würdest du das unterschreiben?
Ville Valo: Nein, nicht zwangsläufig. (überlegt) Viele erfolgreiche Künstler verfügen über eine ganz bestimmte, eigene Identität. AC/DC beispielsweise. Egal, was sie machen, die Leute werden es immer als AC/DC wahrnehmen. Metallica wiederum haben viele Dinge ausprobiert. Manches hat gut funktioniert, anderes wieder nicht so sehr. Selbst eine Band wie U2, die im Popsektor beheimatet sind, hat viele Dinge ausprobiert. Trotzdem haben sie „ihren“ Sound. Black Sabbath fallen mir auch ein, die sich gerade reformiert haben. Ich denke aber auch, dass es viele Leute gibt, die einfach neidisch sind über diese starke Identität, die eine Band ausstrahlt. Du hörst dir einen Song an und du weißt nach ein paar Sekunden, wer diese Band ist. Oder wer wie diese oder jene Gruppe klingen möchte (lächelt).

subtext.at: Nachdem inzwischen einige HIM-Alben erschienen sind – gibt es aus deiner Sicht einen roten Faden, der sämtliche Werke inhaltlich zusammenfasst und vereint?
Ville Valo: Nun, manchmal fällt es mir schwer, mich an unsere Ursprünge zurückzuerinnern, als wir noch Teenager waren. Vierzehn, fünfzehn. Wir wurden erwachsen, manche haben geheiratet, Kinder bekommen. Ich denke, unsere Musik spiegelt das wieder. Unser Lebensmotto ist HIM und nichts anderes. Die Band ist wiederum unser Leben. Wenn wir das Thema vertiefen – ich bin immer noch keine politische Person, keine religiöse. Ich habe kein Interesse, über Themen wie Autos, Computer oder Geld zu singen. Mein Spektrum wird damit schon eingegrenzt. Ich singe im Grunde über mein Leben und meine Erfahrungen, die ich alleine oder mit meinen Freunden mache. Ich denke, dass kommt durch, was die Texte angeht. Musikalisch machen wir das, was wir mögen. Unsere Inspirationsquellen sind seit jeher Bands wie Black Sabbath, Monster Magnet, Type O Negative, Paradise Lost. Diese Formationen sind bei uns immer allgegenwärtig. Diese Einflüsse möchten wir auch nicht abschütteln.

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subtext.at: Du bist schon lange im Musikgeschäft. Gibt es eigentlich eine gute Möglichkeit, mit der berühmten Seite seines eigenen Ichs klar zu kommen?
Ville Valo: Da fragst du den falschen Typen, weil das können die anderen Mitwirkenden besser beurteilen. Ich weiß auch gar nicht, wie genau eine gesunde Beziehung zu sich selbst aussehen soll, wenn man berühmt ist. Ich denke, für uns ist es nicht so anstrengend wie für manche Businessfrauen, die vielleicht für eine Firma wie Nokia arbeiten und dreihundert Tage im Jahr herumreisen müssen. Klar, wir reisen auch, aber wir müssen keine Anzüge tragen und nicht zu Meetings gehen (lächelt). Ich habe viele Leute getroffen, zwar nicht von Nokia, die aber für andere Firmen auf diese Weise tätig sind. Wir sind mit unserer Crew unterwegs, die auch Freunde von uns sind, und wir haben unseren Spaß. Blöde Witze sind garantiert (lacht). Ich bin immer noch an neuen Dingen interessiert, die es zu lernen gibt, und ich mag es, mich weiterhin mit Musik zu beschäftigen. Es gibt aber auch diese seltsamen Momente, in denen du nicht auf Tour sein willst, wenn du gerade auf Tour bist. Wenn du dann bei dir zuhause bist, willst du wieder weg und erneut mit der Band unterwegs sein. The grass is always greener on the other side.

subtext.at: Immer wenn ich euch live gesehen habe, war mein Eindruck ein anderer. Erwarten die Leute in Europa eigentlich etwas Anderes als die in den USA oder in England?
Ville Valo: In solchen Kategorien denken wir eigentlich nicht. Wir spielen und schauen, was unsere Musik bei den Leuten transportiert und was sie auslöst. Wenn wir mit dem Resultat nicht zufrieden sind, dann verändern wir ein wenig unser Set. In manchen Ländern wurden unsere Alben ganz unterschiedlich aufgenommen.

subtext.at: Bei meiner Recherche habe ich das auch festgestellt.
Ville Valo: Im deutschsprachigen Raum kennen uns die Leute meist wegen dem „Razorblade Romance“-Material wie „Join Me“. In England ist es das Album „Love Metal“, was die Leute besonders mögen. Songs wie „Buried Alive By Love“ zum Beispiel. In Amerika sind es die Songs von der „Dark Light“-Platte. Wir mögen es trotzdem, unser Set bunt durchzumischen. Es ist auch wichtig, Songs zu spielen, die bei den Leuten vielleicht nicht hoch in der Gunst stehen. Uns geht es dabei mehr um die Gesamtwirkung der Show. Wir möchten nicht darüber nachdenken, welche Songs in welchem Land gerade angesagt sind. Vielleicht funktionieren die Hitsingles in einer Reihe gar nicht mal so gut. Es muss schon ein bisschen Drama sein, sonst wäre es langweilig. Die Stimmung muss fließen und das Publikum mitnehmen.

subtext.at: Jetzt mal ehrlich – seid ihr immer noch eine Band, die besonders beim weiblichen Teil des Publikums hoch in der Gunst steht?
Ville Valo: Ich weiß gar nicht, ob wir umgekehrt jemals eine Band für Jungs waren. (überlegt) Ich muss aber zugeben, dass ich von manchen Städten überrascht war. Wir haben in Hamburg gespielt und es waren wirklich viele junge Mädchen anwesend. Ich habe mir gedacht: „What the fuck, wir waren seit einer halben Ewigkeit nicht mehr auf Tour.“ In den Charts waren wir auch nicht mehr so stark präsent wie einst. Es gibt aber auch Orte, da ist es 50/50, Jungs und Mädels zu gleichen Teilen. Wenn du auf die Bühne gehst, siehst du sowieso nicht, wie dein Publikum aufgeteilt ist. Nach und nach zeichnet es sich ab. Unser Publikum verändert sich ständig, was es für uns aber auch spannend macht. Wir haben nie daran gedacht, eine Band für Jungs, Mädels oder was auch immer zu sein. Wir wollten einfach vor Leuten spielen. Die Zuschauer kannst du dir sowieso nicht aussuchen, denn die Leute suchen sich den Künstler aus.

subtext.at: Du hast die Charts vorhin angesprochen. Denkt ihr darüber nach, wie kommerziell eure Musik im Moment noch sein könnte? Auf der anderen Seite habt ihr bestimmt den Drang, zu experimentieren und neue Wege zu gehen. Gibst es da eine Art Widerspruch?
Ville Valo: Ich muss sagen, dass ich es mag, wenn etwas catchy ist. Kommerziell, hin oder her. Klar, jeder will Platten verkaufen, den andererseits wären wir nicht hier. Warum sollten wir auf Tour gehen und es nicht wollen, wenn man unsere Alben kauft? Kauft nicht unsere T-Shirts (lacht)! Das ist auch der größte Unterschied zwischen Pop- und Rockacts, denn Popmusik wird größtenteils nach dem Muster gemacht, was zurzeit angesagt und populär ist. Rockbands haben ihre Instrumente und üben in irgendeiner Garage – that’s it. Da gibt es schon Unterschiede.

subtext.at: Kann man ein Gespür dafür entwickeln, was ankommen könnte und was nicht?
Ville Valo: Ich denke, dass selbst Bands wie AC/DC, Iron Maiden oder Metallica nicht die leiseste Ahnung gehabt haben, wie erfolgreich sie mit ihrer Musik einmal sein werden (lächelt).

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