Reigen über die Liebe: Nicht zueinander kommen und aneinander vorbeireden

Das Stück „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ handelt in 18 Episoden von den unterschiedlichsten Formen der Liebe mit einhergehenden Kommunikationsproblemen. Dabei kommt Skurrilität stärker zum Tragen als Zeitkritik.

Joël Pommerat (geboren 1963) hinterfragt das Konzept Liebe in dem 2013 in Paris uraufgeführten Stück: Ist Liebe nur eine chemische Reaktion, eine Sucht wie jede andere auch? Gibt es Prävention für Gefühle, damit sie in gesellschaftlich akzeptierter Weise auftreten? Welche Konventionen wirken auf die Liebe? Und müssen sich Sehnsucht und Wirklichkeit automatisch widersprechen?

Die Schauspielenden Eva- Maria Aichner, Bettina Buchholz, Björn Büchner, Thomas Kasten, Klaus Köhler, Barbara Novotny, Joachim Rathke, Katharina Wawrik und Jenny Weichert stellen authentisch die Suche nach Liebe, Zuneigung und Geborgenheit dar. Große Gefühle führen hierbei weniger zu unbeschwertem Glück, als vielmehr zu Ängsten, jemanden oder gemeinsame Erinnerungen zu verlieren. Diese Erinnerungen werden bei einer Trennung wieder zurückgefordert: „Du hast in dir etwas, das mir gehört. Es gehört mir, gib es mir zurück“.

Wenngleich Partnerschaften den Großteil des Stückes und unserer Alltagsdefinition von Liebe ausmachen, werden in „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ auch Prostitution, eine Eltern-Kind sowie Lehrer-Kind- Beziehung, Familienkonstellationen und Freundschaften abgebildet. Dass ein Freund dem anderen sagt, ihn nicht von Anfang an sympathisch gefunden zu haben, wird als Versuch, die Freundschaft zu zerstören und als Kritik an der eigenen Person aufgefasst. Gerade durch die Thematik, die Darstellungsleistungen und die intimen, von außen abgeschotteten Schauplätze wie Wohnhäuser oder die Psychiatrie wirkt es verständlich, dass Aussagen wie „Die Gefühle reichen einfach nicht (für eine Beziehung)“ auf sich selbst bezogen werden und verletzen. Es erscheint dem/der Zusehenden als nachvollziehbar, dass die Protagonist/inn/en Erklärungen für wenig rationale Handlungen haben wollen, dass ein Mann seine Partnerin nicht mehr „zurücknimmt“, nachdem sie ihn beinahe für jemanden verlassen hätte.
Die dargestellten Charaktere bewegen sich die meiste Zeit in Alltagssituationen wie in einem Gespräch mit einem Lehrer, der- wie andere Charaktere auch, aber noch stärker- in eine Rechtfertigungssituation seitens der Eltern und der Direktorin gebracht wird, in Besuchen, am Arbeitsplatz etc. Skurril sind Situationen, die stark an Schnitzler, aber eher an die Traumnovelle als an den Reigen einschließlich sein negatives, wenig emanzipiertes Frauenbild erinnern: Eine Frau versucht erstaunlich ruhig und ohne viele Vorwürfe herauszufinden, ob sie von ihrem Chef im Schlaf vergewaltigt wurde, eine andere macht dem Ehemann alle möglichen Vorwürfe, dass dieser mehr für den Sohn tun solle, ohne selbst auf die Idee zu kommen, einzugreifen. Der skurrile Gehalt wird durch die schrägen Töne von Barbara Novotny untermauert, allerdings auch an Stellen eingesetzt, die inhaltlich wenig ungewöhnlich sind.

Möglicherweise hätte die Musik die Episoden miteinander verbinden sollen. Denn selbst wenn die einzelnen Geschichten thematisch zusammenhängen, hat man manchmal das Gefühl, dass die Inszenierung von Gerhard Willert einen stärkeren roten Faden haben könnte, beispielsweise durch Übergänge, die von einer zur nächsten Geschichte leiten. Gelungen ist, dass die Mehrfachrollen klar zu erkennen sind und pro Schauspieler/in gemeinsame Charakterzüge aufweisen (zum Beispiel Wawrik in unkonventionellen Rollen, Rathke eher auf Ordnung bedacht, …). Zeitkritik wird dem/der Zusehenden vor allem mit Ironie vermittelt: Ein Pfarrer hat ein schlechtes Gewissen gegenüber einer Prostituierten, die er für eine andere Frau verlässt. Er hat nicht erkannt, dass sie sich in ihn verliebt hat und willigt zur „Wiedergutmachung“ ein, sie regelmäßig zum Abendessen zu besuchen. Liebe wird permanent Konventionen und Vereinbarungen unterworfen. Ein Arzt im Stück meint: „Im Leben muss man das Glück in sich suchen und nicht bei den Anderen. Und vor allem nicht in der Liebe“.

Da ein desillusionierter Blick auf die Liebe, der zum Nachdenken animiert und die ständige Romantisierung seitens der Medien etc. infrage stellt, am Ende des Stückes bleibt, hätte es sich angeboten, die zeitkritischen Ansätze stärker hervorzuheben und gegebenfalls auszubauen. Eventuell wäre es auch spannend(er), die Werke von Schnitzler, Tschechow und Bergman für das Stück zu kennen, da Pommerat von diesen inspiriert wurde.

Fazit: Die etwa zweistündige Aufführungsdauer des Stückes überzeugt mich nicht komplett, gefällt aber durchaus in Ansätzen. Die nächsten Vorstellungstermine sind der 6., 13. und 22. März 2014, jeweils um 20 Uhr in der BlackBox des Linzer Musiktheaters.

Foto: Patrick Pfeiffer

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/