Loreen: „Ruhm allein macht nicht glücklich“
Drei Jahre später, nach ihrem fulminanten Sieg beim Eurovision Song Contest in Baku, ist „Euphoria“-Sängerin Loreen Talhaoui weiterhin umtriebig. Ob Benefizauftritte wie beim diesjährigen Lifeball in Wien, soziales Engagement in Gebieten wie Afghanistan oder Charityprojekte für Kinder in Finnland – die 31-Jährige will mehr sein als der schillernde Popstar im Blitzlichtgewitter. Bleibt dabei noch Zeit für die Muse, für die Musik?
2015 soll ihr zweites Album erscheinen, die Single „Paper Light“ wurde bereits veröffentlicht. Und für Måns Zelmerlöw, dem diesjährigen ESC-Gewinner aus Schweden, hat sie nur lobende Worte parat. Ein Interview über Ausgeglichenheit, Neuanfänge und Conchita Wurst.
subtext.at: Loreen, die erste Zeile deiner aktuellen Single „Paper Light“ lautet: „I’m coming back to start, I’m counting back to the start“ – warum willst du zum Anfang zurückkehren? Willst du deine musikalische Laufbahn neu starten?
Loreen: Eigentlich geht es in dem Song um etwas Anderes. Das Thema hat sich sozusagen herausgeschält, es ist sehr komplex. Es um die Frage, was männlich und was weiblich ist. Ich habe mit meinem schwulen Freund darüber geredet, weil es so viele Regeln und Vorschriften gibt, die unsere Gesellschaft vorgibt, wie jemand zu sein hat und was richtig und was falsch ist. Der Song handelt davon, dass wir über den Tellerrand hinausschauen sollen. Es geht nicht um mich in „Paper Light“, sondern darum, dass die Menschen zu ihrem Ursprung zurückkehren und gewisse Dinge überdenken sollten (stimmt den Song a cappella an).
subtext.at: Ich kann mich nicht entscheiden, welche Version mir besser gefällt, die erste oder die „Revisited“-Variante.
Loreen: Die Revisited-Variante! R-E-V-I-S-I-T-E-D (lacht)!
subtext.at: Gut, dann wäre das geklärt. Es geht also auch nicht darum, einen persönlichen Neustart zu wagen.
Loreen: Nein. Es geh um Verhaltensweisen. Wo stehst du im Leben, bist du dort, wo du sein willst? Bist du die Person, die du sein möchtest? Viele Leute behaupten, dass sie mit bestimmten Dingen einverstanden sind, doch wenn sie dann damit konfrontiert werden, ist es auf einmal nicht mehr so selbstverständlich und in Ordnung. Klar, in „Paper Light“ ist das Thema schon etwas kryptisch verpackt.
subtext.at: Immerhin ist es ein Song, der offen für Interpretationen zu sein scheint.
Loreen: Meine Plattenfirma sagte zu mir: „Loreen, bitte, um was geht es in dem Lied, erkläre es uns bitte, wir kapieren es nicht.“ So kann es auch gehen (lacht).
subtext.at: Niemand ist in der Lage, zurück in die Vergangenheit zu reisen und bestimmte Dinge anders zu gestalten, doch wenn du es könntest, in welche Zeit würdest du zurückkehren wollen?
Loreen: Egal, in welche Ära? Die späten 80er wahrscheinlich, aber nicht wegen dem Style, weil der war ja furchtbar, allein die Frisuren, sondern wegen den Plattenfirmen, weil die so viel Geld zur Verfügung hatten (lacht)! Und die Musik! Zu der Zeit gab es auch eine andere Art von Respekt gegenüber den Künstlern in der Musikszene. Denk nur an eine wie Grace Jones, was sie alles angestellt hat. Jetzt, wie alt ist sie, 70? Sie kommt in einen Raum und macht noch immer das, was sie möchte. Ich möchte in ihrem Alter auch diese Attitüde haben, die sie an den Tag legt (lacht).
subtext.at: Hast du vor, auf deinem zweiten Album deinen Stil zu verändern? Die Plattenfirma suggeriert dieses Vorhaben…
Loreen: Mitnichten. Weißt du, ich bin für alles offen, was irgendwie an mich herankommt. Ich habe Respekt davor, wenn sich die Dinge verändern und entwickeln, denn das tun sie ja eh immer. Ich kümmere mich deswegen nicht wirklich darum. Es gibt Künstler, die sich mit jedem neuen Werk eine neue Facette ausdenken. In meinem Fall würde ich sagen, dass es zwei Seiten einer Medaille gibt, wie Yin und Yang. Aus meiner eigenen Perspektive kann ich sagen, dass ich eine andere Seite von mir zeigen werde. Jetzt, bei dem „Paper Light-Revisited“-Video, welche Version hast du gesehen, die mit oder die ohne Nippel im Bild?
subtext.at: Die ohne, denke ich.
Loreen: Siehst du. „Euphoria“ war und ist für mich ein spiritueller Song, mit „Paper Light“ möchte ich zeigen, dass man sich durchaus in seinem eigenen Körper wohlfühlen kann, sexy sein kann, wenn man möchte. Natürlich wird es wieder Leute geben, die sich darüber aufregen, weshalb ich mehr Haut zeige als zuvor. Es bedeutet im Endeffekt nur, dass sie nicht verstehen, worum es mir geht. Wenn du wie Adam und Eva nackt durch die Weltgeschichte spazieren willst, nur zu, tue es, aber mach es nicht, um anderen zu imponieren. Viele haben das Bild von mir, dass ich eine verletzbare, spirituelle Person sei – das stimmt auch. Nichtsdestotrotz bin ich auch jemand, der Sex liebt. Das Eine und das Andere müssen sich nicht ausschließen.
Du würdest von Grace Jones niemals behaupten, dass sie ein Opfer unserer Gesellschaft ist und nackte Haut dazu benutzt, um mehr Platten zu verkaufen. Sie herrscht über ihren Körper und niemand sonst. She’s the queen (lacht)! Weißt du, was ich meine? Versteh mich nicht falsch, Selbstachtung ist für mich ganz wichtig. Wenn ich auf der Bühne halbnackt performe, mit Männern, die High Heels tragen – so fucking what?
subtext.at: Hat Erfolg mit einer Reihe von Zufällen zu tun?
Loreen: Das denke ich nicht.
subtext.at: Mit harter Arbeit?
Loreen: Das auf jeden Fall. Daran glaube ich. Du musst hart arbeiten, um das zu erreichen, was du dir vorgenommen hast. Jeder von uns wird irgendwie durch äußere Umstände gelenkt. Manche Leute arbeiten hart für ihren Traum, doch er geht nie in Erfüllung. Sie sind so fokussiert, dass sie für andere Erfahrungen nicht offen sind. Es gibt schließlich verschiedene Wege, um ans Ziel zu kommen. (überlegt) Wenn du auf Ruhm aus bist, dann wird es sehr schwierig für dich. Ruhm allein macht nicht glücklich.
subtext.at: Die Karriere könnte eventuell von kurzer Dauer sein.
Loreen: Es kann auch sehr schmerzhaft sein, wenn der Ruhm erst mal verflogen ist.
subtext.at: Fühlst du dich gerade so, als würdest du Stufen steigen? Nimmst du Anlauf, eine höhere Position zu erlangen?
Loreen: Eine wunderbare Metapher. (überlegt) Yeah, bei mir war es jedoch immer so. Eine Treppe rauf, dann vielleicht zwei runter und umgekehrt. Persönliche Entwicklung und Entfaltung spielt eine große Rolle in meinem Leben. Es geht nicht nur um die Musik und darum, ein Star zu sein. Was bedeutet Freiheit? Sind wir wirklich frei in unserer Entfaltung oder hat es nur den Anschein? Haben die Reaktionen anderer auf uns einen Einfluss oder nicht? Klar, ich bin auch nicht frei von solchen Dingen, aber ich arbeite daran. Vielleicht denke ich nicht wie übliche Künstler, ich weiß es nicht. Habe ich schon erwähnt, dass ich deine Fragen liebe (lacht)?
subtext.at: Jetzt schon. Bist du eigentlich eine geduldige Person?
Loreen: Nicht wirklich. Überhaupt nicht. Daran arbeite ich auch. Du kannst meine Crew fragen, denn das ist jeden Tag eine Herausforderung für mich (lacht). Deswegen praktiziere ich Yoga, um runterzukommen. Manchmal fühle ich mich wie Kanye West, weil ich einfach nicht abschalten kann (macht Handbewegungen und lacht).
subtext.at: Zurück zu deiner Single. „We’re born the be higher“ heißt es da und für mich hat es den Anschein, als würdest du damit propagieren, dass jeder Mensch aus einem bestimmten Grund hier ist. Was ist der Grund, warum du hier bist, Loreen?
Loreen: Um meine Entwicklung voranzutreiben (lacht). An meiner Freiheit zu arbeiten. Um ungezwungen und zwanglos zu sein. Um mich und meine Umgebung daran zu erinnern, dass es noch größere Dinge gibt als uns in der Welt. Manchmal kriege ich dieses Gefühl, wenn ich auf der Bühne stehe und mit Leuten kommuniziere. Ich bin jemand, der live singt, und da kommt diese spirituelle Seite zum Vorschein.
subtext.at: Manchmal muss der Phoenix in Flammen aufgehen, um erneut aus der Asche empor steigen zu können. Stichwort: Conchita Wurst. Was denkst du über sie als Kunstfigur?
Loreen: Ich liebe Conchita. Ich liebe, was sie tut, für was sie steht und ich liebe es, sie anzusehen. Jeder Schritt, der Leute dazu bewegt, sich über den Tellerrand zu bücken, ist begrüßenswert. Das ist die Realität oder nicht? Wenn du die Geschlechterrollen vermischen willst, warum nicht? Mich interessiert nicht, was weiblich ist und was als männlich angesehen wird. Wenn Personen anfangen, sich so zu geben, wie sie wirklich sein möchten, dann verschafft mir das innere Gelassenheit. Ich fühle mit und emotional, weil ich merke, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind. Die Leute sehen zu, wie es jemand vormacht und für das eintritt, was ihm oder ihr wichtig ist. Feel yourself free. Ist das nicht großartig?
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