BEATSTEAKS: „Ein Song ist ein Zeitdokument“
20 Jahre haben die Beatsteaks aus Berlin inzwischen auf dem Buckel. Zeit also, um ein wenig nostalgisch zu sein, zurückzublicken und das Geschehen Revue passieren zu lassen. Nachdem es im letzten Jahr mit „Beatsteaks“ ein neues Studioalbum gab, veröffentlicht die Formation heuer mit „23 Singles“ ein Quasi-Best Of mit zwei neuen Songs. Ist damit das Ende der Fahnenstange schon erreicht, wie es so oft heißt, oder lodert die Kreativität in den fünf Bandmitgliedern weiterhin?
subtext.at traf Gitarrist Bernd Kurtzke, um Näheres herauszufinden und den Status Quo der Beatsteaks abzufragen. Ein Interview über Teamgeist, Vergangenheitsbewältigung und den richtigen Augenblick.
subtext.at: Manche Menschen setzen sich unter Druck, weil sie meinen, die einzig richtige Entscheidung fällen zu müssen. Gehört ihr dazu?
Bernd Kurtzke: Ich glaube, es ist von Mensch zu Mensch total unterschiedlich. Als Band hat man einfach seine Regeln, so eine Art Demokratie. Bei uns entscheidet eben eine 3/5-Mehrheit. Man muss dann noch genug Argumente nachliefern, damit die einen, die nein gesagt haben, dann doch noch überzeugt werden. (überlegt kurz) Jeder handhabt das anders. Ich tue mir mit einer Entscheidung total schwer. Andere Leute können das wahrscheinlich viel schneller aus dem Bauch heraus entscheiden.
subtext.at: Wie kann man sich davon befreien? Wie habt ihr euch von dem Druck befreit?
Bernd Kurtzke: Je älter man wird, desto einfach werden die Entscheidungen, die man zu treffen hat.
subtext.at: Wann ist der richtige Zeitpunkt, um als Band ein selbstbetiteltes Album herauszubringen?
Bernd Kurtzke: Eigentlich gibt es dafür keinen richtigen Zeitpunkt. Entweder machst du das entweder ganz am Anfang, mittendrin oder am Ende. Für uns war das jetzt nicht eine kalkulierte Sache, sondern wir haben uns einfach hingesetzt und überlegt, wie vor jeder Plattenproduktion, wie die Platte heißen soll. Uns wollte überhaupt nichts einfallen. Und da wir die noch frei hatten, machten wir es halt so.
subtext.at: Ganz pragmatisch also.
Bernd Kurtzke: Genau. Ganz pragmatisch.
subtext.at: Im letzten Interview habt ihr gemeint, dass „Limbo Messiah“ eher ein Kopfding war und „Boombox“ eure Proberaumplatte. „Beatsteaks“ ist demnach…
Bernd Kurtzke: Ein Schnellschuss auf jeden Fall. Ein sehr charmanter Schnellschuss. (überlegt) Es war einfach die richtige Platte für den richtigen Moment. Wir hätten natürlich wieder Wochen dranhängen können oder Monate und dann nochmal überlegen, die Dinge besser ausarbeiten, aber das war nicht die Platte dafür. Sie hat sich so gut angefühlt, da haben wir sie so gelassen. Und es ging halt alles sehr schnell. Zusammen hingesetzt, Demos angehört, entschieden und dann aufgenommen.
subtext.at: Kool Savas hat mal gesagt, dass die ersten drei Songs, die man macht, über den Vibe einer kommenden Platte entscheiden. Siehst du das auch so?
Bernd Kurtzke: (überlegt) Das mag bei Hip-Hop hinhauen, aber bei dem, was wir machen, weiß ich nicht… Ich muss immer eine Platte ganz gehört haben, um mir ein Bild zu machen – auch wenn ich so durchsteppe, weil mir am Anfang Songs nicht gefallen, muss ich ein Album bis zum Ende hören nur um mitzukriegen, das am Ende ein Hit ist (lacht). Da gehe ich also nicht so d’accord, weil es Platten gibt, da hast du erst am Ende begriffen, worum es geht.
subtext.at: Wann ist der richtige Augenblick für ein Best Of?
Bernd Kurtzke: Im Grunde haben wir ja gerade so etwas gemacht, nur eben eine Singles-Collection, was ich viel interessanter finde. Viele Bands, die ich so mag, habe ich selbst auch über solche Zusammenstellungen kennengelernt. Eine Zusammenfassung aus all den Jahren ist ganz hilfreich, um einen Überblick zu kriegen. Wenn es einem toll gefällt, dann kann man tiefer abtauchen und sich noch mehr Platten holen. Deswegen Best Of, weiß ich nicht. (überlegt) Da müssten wir mindestens 70 Lieder drauftun (lacht). Vielleicht nicht ganz so viel, aber es wäre eine sehr, sehr schwere Entscheidung – womit wir wieder bei Entscheidungen wären.
subtext.at: Bernd hat im letzten Interview gemeint, dass er immer einen Haken hinter einer Platte macht, wenn sie fertig ist. Bei einer Single-Zusammenstellung muss man sich quasi mit seiner eigenen Vergangenheit wieder beschäftigen. Wie war das für euch?
Bernd Kurtzke: Unsere Singles waren ja klar, von daher war das Feld sehr eng gesteckt. Dann ging es nur darum, sie neu zu remastern und das ein bisschen anzupassen an die Singles, die wir zuletzt gemacht haben, weil das sonst komisch geklungen hätte auf der Platte. Das war jetzt aber nur ein rein technische Sache. Im Grunde hatten wir auch da hinter den Songs schon einen Haken gesetzt. Ich hätte jetzt nicht mehr Arrangement-mäßig eingreifen wollen oder so. Das macht man dann nicht, es ist eben so, wie es ist. Es ist ein Zeitdokument. Ein Song ist ein Zeitdokument. Wenn es nicht mehr passt, können wir gerne eine Coverversion davon machen (lacht).
subtext.at: Und inhaltlich? Habt ihr euch gedacht, dass der ein oder andere Song im Nachhinein doch keine gute Single war zum Beispiel?
Bernd Kurtzke: Im Nachhinein denkt man darüber nicht mehr nach, nein. Möglicherweise erinnert man sich dann noch an die ein oder andere Single-Diskussion mit der Plattenfirma. Im Nachhinein war keine Single eine schlechte Wahl. Man hätte sicher auch andere nehmen können, klar.
subtext.at: Der Teamgeist wirkt bei euch weiterhin wie zementiert. Wie schafft man es, das Schiff auf Kurs zu halten?
Bernd Kurtzke: Wir kennen uns ja auch schon ein paar Tage irgendwie. Man lernt irgendwann einfach die Stärken und Schwächen des anderen zu akzeptieren und zu respektieren. Je älter man wird, umso einfach wird es. (überlegt) Das ist es eigentlich. Es wird immer Leute geben in der Band, die sich immer mehr durchsetzen werden als andere, aber das war schon von Anfang an so. Schmälert aber nicht die Freude am Spielen in der Band oder so.
subtext.at: Selbstvertrauen und Risikobereitschaft gehen Hand in Hand bei euch? Lässt sich auch aus einer schlechten Situation etwas Positives herausholen?
Bernd Kurtzke: Immer. Alles, was negativ passiert, ist für irgendwas gut – und wenn es ein schlechtes Beispiel dient, dass man es so nicht machen soll. Es gibt immer eine positive Seite an jeder schlechten Seite.
subtext.at: Wir alle besitzen Gewohnheiten, von denen wir wissen, dass wir sie schnellstmöglich ablegen sollten. Gab es in den 20 Jahren Gewohnheiten, die ihr mit der Zeit ablegen wolltet?
Bernd Kurtzke: Wir hatten zwischendurch mal eine Rock-Kajal-Phase (lacht). Die ging so ein paar Monate, bis wir gemerkt haben, dass es ziemlich dämlich ist. Dann haben wir das abgelegt. Ansonsten, nee. Das war aber auch ein Schritt in unserer Entwicklung. Man muss auch Fehler machen und Sachen machen, die komisch sind.
subtext.at: Welche Konstanten haben sich in dem Leben der Beatsteaks herauskristallisiert?
Bernd Kurtzke: Wir sind, wenn es ums Proben geht, eine extrem displinierte Band. Das hat sich herauskristallisiert. Einfach, weil es Sinn macht und eine wahnsinnige Zeitersparnis mit sich bringt beim Soundcheck. Es ist einfach sinnvll und beim Proben ahten wir sehr auf Details. Oder auch nach den Konzerten. Da gibt es die „Stunde danach“, in der wir uns darüber unterhalten, was vielleicht nicht so gut gelaufen ist. Viele von draußen, die kriegen das gar nicht mit. Die denken, dass es ein Bomben-Konzert war, wir sind hingegen unsere strengsten Kritiker. Wir haben immer was zu meckern und das hat sich über die Jahre auch so herausgebildet.
subtext.at: Wenn alle Bandmitglieder gemeinsam an einem Tisch sitzen und es mal nicht um Musik geht, bei welchem Thema gibt es unweigerlich eine Diskussion?
Bernd Kurtzke: Da müsste ich mal nachdenken. (überlegt) Nee, eigentlich gibt es da nichts. Selbst bei landespolitischen Geschehen sind wir uns relativ einig, wenn wir die Nachrichten anmachen. Da sprechen alle eine Sprache und es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen.
subtext.at: Im Clip zu „Ticket“ tritt Arnim als Personal Trainer auf. Ist er der Motivator innerhalb der Band?
Bernd Kurtzke: Es wird immer so dargestellt, aber im Grunde motivieren wir uns immer alle gegenseitig. Es ist nicht immer Arnim, wir machen das untereinander auch. Arnim ist der, der vorne auf der Bühne steht, er ist der Frontsänger. Er macht viel mit Setlisten herum und denkt an viele Dinge, an die ich nicht denken muss, weil ich an der Seite stehe und Gitarre spiele. Ich mag es aber auch, dass eine bestimme Auswahl an Songs auch Sinn macht. Es macht dann auch Sinn, dass er sich damit beschäftigt. Das meinte ich auch mit den Stärken und Schwächen des jeweils anderen.
subtext.at: Eure Intention, solch einen Clip zu drehen? Wolltet ihr euch selbst auf die Schippe nehmen?
Bernd Kurtzke: Eigentlich war gar keine Intention dahinter. Wir wollten unbedingt ein Video mit den Jungs machen, die Videos für Deichkind gemacht haben. Wir hatten ursprünglich eine ganz andere Idee, aber die gab es dann schon, wurde woanders in einem Video umgesetzt. Dann kamen die mit dieser Idee um die Ecke und wir haben dann versucht, es mit Leben zu füllen. Wir hatten ziemliches Muffensausen vor diesem Fitnessstudio, aber am Ende war es gar nicht so anstrengend und so schwierig (lacht). Dieser Beatsteaks-Humor ist einfach drin, der kommt dann auch irgendwann (lacht). Lässt sich auch gar nicht verhindern.
subtext.at: Nach „Limbo Messiah“ und vor „Boombox“ habt ihr eine größere Pause eingelegt und euch gefragt, was dann noch kommen soll. Jetzt, nach „Boombox“, nach „Beatsteaks“ und der Singles-Collection, was hält die Zukunft für die Beatsteaks noch bereit?
Bernd Kurtzke: Eigentlich sind wir schon wieder mitten im Prozess drin. Nächstes Jahr wird sich wohl alles darum drehen, wie wir es fertigstellen und aufnehmen. Auf „23“ finden sich ja auch zwei neue Songs, eben „Ticket“ und „Mad River“. Wir lassen alles auf uns zukommen, machen nach der Tour eventuell eine Pause, kümmern uns um unsere Familien und dann schauen wir einfach weiter.
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Titelfoto: Paul Ripke