DIE NERVEN: „Nur Slayer spielt schneller“

Die Nerven aus Stuttgart gehören zu einer aufstrebenden, neuen Generation deutschsprachiger Rockbands und haben kürzlich ihre drittes Album „Out“ (zur Kritik) veröffentlicht. Vor ihrem Auftritt im November bei der YOUKI Nightline im Welser Schlachthof haben sich Max, Julian und Kevin die Zeit für eine recht ungezwungene Plauderei mit subtext.at genommen.

subtext.at: Lasst uns gleich mal über die neue Platte reden. Wie ist der Titel Out zu deuten? Hat das etwas mit Flucht, im Sinne von „Ich muss hier weg“ zu tun oder ist das frei zu interpretieren?
Max: Wir haben uns hauptsächlich dabei gedacht, dass es frei interpretierbar sein soll. Da das ja wirklich ein Allerweltswort ist, sollten da auch viele Bedeutungen drinstecken.
Julian: Ja, es hat aber schon auch viel mit diesem Weggehen zu tun. Vorallem wenn man sich den Prozess ankuckt, dass wir das Album eben auch abseits von Städten und Zivilisation gemacht haben. Aber es gibt eben noch viel mehr Bedeutungen.

subtext.at: Stimmt es, dass ihr das Album in einem alten Sägewerk aufgenommen habt?
Julian: Ja das stimmt. Also, ein ehemaliges Sägewerk natürlich.
Max: Das sollte eigentlich ein Tagungshotel werden. Ist sehr schön dort.

subtext.at: Und ihr wart dort für euch allein und konntet also ungestört arbeiten?
Julian: Wir und ein paar Pferde…und so ein Typ.
Max: Genau! Wir hatten noch einen technischen Assistenten dabei. Sam Aaron Uebele hieß der Typ.
Julian: Der kam ein oder zwei mal vorbei und hat was vom Golfen erzählt.
Max: War super cool!

subtext.at: Ich habe gelesen, dass ihr immer unglaublich schnell seid wenn es um das Schreiben, beziehungsweise in späterer Folge um das Recording eines Albums geht. Liegt dass daran dass ihr mittlerweile schon so gut aufeinander abgestimmt seid, oder hat die Chemie bei euch von Anfang an so gut gepasst?
Julian: Das war schon immer so. Aber ich glaube das hat mehrere Gründe. Zum Einen, weil es verdammt schwierig ist, in Stuttgart einen Raum zu bekommen wo man zum Beispiel wöchentlich proben kann. Zum anderen, dass wir das immer möglichst unbedarft und frei machen wollten und da ist es natürlich voll gut so schnell zu arbeiten. Es geht einfach immer so schnell bei uns. Jetzt nicht, weil wir irgendwie immer schnell mit allem zufrieden wären, aber man muss einfach immer wissen, wenn’s gut ist.

subtext.at: Aber ihr rotzt das auf keinen Fall mal so schnell hin?
Kevin: Ja früher war es so. Einfach mal hinrotzen. Aber jetzt nehmen wir uns schon ausreichend Zeit und irgendwann passt es halt.
Julian: Aber es ist schon auf jeden Fall so, dass wir ziemlich schnell sind, was den ganzen Produktionsablauf angeht.
Max: Nur Slayer spielt schneller! (alle lachen)

subtext.at: Wie läuft das bei euch generell mit dem Songwriting? Gibt es da jemanden der die Initialzündung gibt?
Eure Songs haben ja oft eher diesen Jam-Charakter.
Julian: Also gibt schon immer einen, aber es ist nicht DER Eine. Stimmt schon. Das mit dem Jam-Charakter ist auch ein Grund warum das so schnell geht bei uns. Die Routine kommt da natürlich auch noch hinzu.

subtext.at: Ihr lest ja offenbar auch wirklich alles was so über euch geschrieben wird. Im Rückblick auf das letzte Album Fun: Ist das für euch eine Ehre wenn da so Sachen geschrieben werden, wie „eine der wichtigsten und besten deutschsprachigen Platten dieses Jahrzehnts“, oder fühlt man sich da schon irgendwann auch genervt von dem Hype um einen?
Julian: Also am Anfang war das für uns schon unheimlich verwirrend, aber dann halt auch ein gutes Sprungbrett für uns. Alleine dieses Zitat, dass du gerade erwähnt hast. Das konnte man gut rumreichen. Damit konnte jeder etwas anfangen. Aber wie viel Wahrheitsgehalt steckt da drin? Keine Ahnung. Ich glaube niemand von uns kann das objektiv beurteilen. Dafür stecken wir einfach viel zu tief drin.
Max: Ich glaube der Jan Wigger war in dem Moment einfach total geflasht und wollte das dann auch so aufs Papier bringen. Aber mir kam vor, dass es da viele gab, die das dann bei ihm abgeschrieben haben. Also will ich dem Ganzen gar nicht so viel Bedeutung beimessen.
Julian: Ich finden wir könnten mal die ganzen negativen Review irgendwie so als Sticker auf die CD kleben. (ab hier Dauergelächter)
Kevin: „Hipsterband für alte Szene-Säcke!“
Julian: „Ich hab jetzt Trümmer und die Nerven angehört und ich kann ehrlich gesagt keinen Unterschied erkennen!“
Kevin: „Musik für Leute, die ihre Depressionen etwas zu ernst nehmen!“

subtext.at: Weil du gerade Trümmer erwähnt hast: Es wird ja auch immer wieder mal von dieser neuen Welle deutschsprachiger Rockbands geschrieben, zu denen etwa ihr und Trümmer gezählt werdet. Findet ihr da ist was dran, oder ist das eher ein Phänomen, dass von den Medien heraufbeschworen wird?
Julian
: Die Wahrheit ist wahrscheinlich so halb/halb.
Max: Das sind Freunde!
Julian: Wir verstehen uns glaub ich ganz gut mit diesen ganzen Bands, aber ich mag es nicht so gern, wenn wir dann deshalb in einen musikalischen Topf geworfen werden. Jede der erwähnten Bands verfolgt ihre ganz eigenen Ansätze und ich finde zum Beispiel, dass Trümmer mit uns musikalisch nicht besonders viel zu tun haben. Jetzt mal abgesehen vom Einsatz der deutschen Sprache.
Max: Die Leute wollen einfach immer ein Label auf alles draufpacken. Alles unter einen Hut bringen. Na klar, wir sind vernetzt, aber das ist dann auch schon alles.
Kevin: …Auch die ganzen Positionen und Szenen und Querverweise. Da wird halt geschaut das irgendwie in eine Schachtel zu kriegen. Das find ich schade!
Max: Das hat sich so nebenher entwickelt und irgendwann hat man dann gemerkt „Ach ja, cool. Da ist ja noch so ’ne Band“. Aber jeder hat da natürlich so für sich angefangen und irgendwann wurden da freundschaftliche Verknüpfungen hergestellt. Und wenn man dann halt ein paar Mal zusammen gespielt hat, ab und zu rumhängt oder sich gegenseitig auf Konzerten besucht wenn man grad in der Stadt ist…dann wird das so hochgejubelt und gelabelt.

subtext.at: Gehen wir nochmal zurück zum Thema Album. Bei Out fällt bei einigen Songs sofort ein Hang zu mehr Pop und Groove auf. Habt ihr darauf bewusst mehr Augenmerk gelegt, oder ist das zu dem Zeitpunkt einfach so aus euch rausgesprudelt?
Kevin: Ja, tanzbar!
Max: Wir wollten zeigen was wir so dazugelernt haben.
Julian: Also wir haben schon gesagt, dass wir in irgendeinem Sinn eine „tanzbare“ Platte machen wollen.
Max: Letztlich ist es aber doch nicht die Disco-Platte geworden von der wir immer geträumt haben, aber…
Julian: …wir haben es auf jeden Fall probiert!

subtext.at: War der Schreibprozess für diese Platte in irgendeiner Form anders als bei den beiden davor?
Max: Es war ziemlich am Stück. Also das ganze ist wirklich so innerhalb von ein paar Tagen entstanden. Und dann ging es halt daran aus diesem Matsch, den wir in vier Tagen oder so produziert haben die Songs rauszuschälen. Also die Einzelheiten zu sehen und das weiterzuentwickeln. Die Songs freischaufeln sag ich immer dazu.

subtext.at: Seid ihr der Typ Band, der mit einem fix fertigen Album im Gepäck ins Studio geht oder tüfelt ihr da oft noch dahin und schreibt sogar noch spontan neue Songs?
Julian: Also diesmal hatten wir eigentlich alles schon parat von der Idee her, aber wir haben dann schon noch rumgetüftelt. Bei FUN hatten wir eigentlich auch alles beisammen bis auf eine Nummer und bei Fluidum war es denke ich 50:50.
Max: Also ganz fertiggeschrieben gehen wir dann doch nicht rein damit, aber wir arbeiten darauf hin. Ich finde es aber auch blöd sich da so zu beschränken. Klar kann man mit zehn fix fertigen Songs ins Studio gehen und die dann so aufnehmen, aber was ist wenn sich dann noch hier und da was entwickelt. Eine Studiosituation muss man sich so vorstellen, dass man da so fernab vom Alltag ist, wo da nochmal ganz andere Dinge passieren können und sich vieles erst entwickelt. Der Ralf, unser Produzent hat da auch ein Händchen dafür, um hier und da noch was rauszukitzeln. Das ist voll der Prozess!

subtext.at: Ganz anderes Thema: Ihr wart letztes Jahr in Israel auf Tour unterwegs. Ein Land das ja nicht unbedingt bei vielen Bands auf dem Tourflyer steht und dann auch noch dazu als deutschsprachige Band. Wie kam dieses Abenteuer zu Stande?
Max: Also wir kommen ja, wenn man es genau nimmt, aus Esslingen und da gibt es da Komma, so ein Jugendzentrum, wo regelmäßig Konzerte und viele andere Sachen stattfinden. Und der Jörg Freitag – so heißt der, der diese Konzerte meistens bucht- ist ein ziemlicher Israel-Fan und hat die Mittel dafür von der Stadt besorgt und das dann organisiert. Ziel von dem Ganzen war einfach irgendwo der kulturelle Austausch. Wir fanden die Idee total gut und sind dann eben nach Israel gegangen und haben vom ersten Tag an Konzerte gespielt und neue Leute kennengelernt. Natürlich auch israelische Bands, die irgendwie so ticken wie wir und was Ähnliches machen. Damit waren wir dann so richtig drin in dem Land, wie man es als normaler Tourist einfach nie sein kann und das fand ich richtig gut! War eine tolle Erfahrung!

subtext.at: Kannten euch in Israel einige Leute bereits, oder war das musikalisch gesehen eine Fahrt ins Blaue?
Julian: Das war eine Fahrt ins Blaue! Aber jetzt kennt man uns.
Max: Es gibt so eine kleine Szene da. Das muss man sich in Israel so von der Größenordnung her vorstellen wie in Stuttgart. Diese Leute im ganzen Land sind halt total gut vernetzt und helfen sich gegenseitig und so macht das dann voll schnell die Runde.
Kevin: Eine kleine handvoll Leute gab es schon, die uns vorher kannten. Es gab ein paar Deutsche, die wegen ihrem Studium dort waren, und die kannten uns. Sonst aber niemand.

subtext.at: Ihr habt das Ganze dann ja auch als Tour-Dokumentation veröffentlicht…
Julian: Nicht so wirklich. Also nicht wir haben den veröffentlicht, sondern das wurde unabhängig von uns gemacht.
Max: Wir kamen gar nicht vor! (lacht)
Julian: Doch, das schon, aber so richtig veröffentlich wurde der noch nicht. Der wurde nur so an ein paar ausgewählten Orten gezeigt. In St.Pölten auch glaube ich. Das war die einzige Österreich-Vorstellung.
Kevin: Es liegt denke ich nicht in unserer Hand, ob der jetzt mal veröffentlicht wird.
Julian: Das ist jetzt kein Film von uns, sondern halt irgendwie nur ein Film über uns. Das ist jetzt auch nichts was wir jetzt irgendwie hundertprozentig abgesegnet haben.
Kevin: Die haben diesen Film gemacht und dann noch einen über eine Gruppe von Skatern mit denen wir dort waren.
Julian: Ja, lustige Typen!
Max: Und es musste halt noch jemand mit, damit das auch irgendeine Relevanz hat. Sonst hätte der Jörg Freitag irgendeine Jugendtanzgruppe mitnehmen müssen.

subtext.at: Ist es wahr, dass euch irgendwie eine gewissen Hassliebe mit eurer Heimatstadt Stuttgart verbindet?
Kevin: Ja und nein. Also es ist kein Hass, sondern irgendwie mehr so ein angeödet und angewiedert sein. Aber dann gibt es wiederum auch ein paar sehr coole Leute, die tolle Sachen machen, weil halt die Stadt nichts tut. Da kommt dann die Liebe ins Spiel. Wenn man sucht findet man überall tolle Sachen mit denen man sich irgendwie assoziiert. Was wir nicht so mögen, sind die vielen Baustellen!
Max: …oder die teuren Mieten! Dafür die wenigen verbliebenen Orte an denen man sich aufhalten kann. Ein Stück weit mag ich auch irgendwie dieses saubere, diese Gegensätze in der Stadt. Manchmal liebt man auch die Enge, weil alles so übersichtlich ist und manchmal hasst man die Enge. Es ist eine ambivalente Stadt kann man sagen.

subtext.at: Danke für das Interview und viel Spaß auf der Bühne!

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Schreibt Albumrezensionen, Konzertberichte und führt gerne Interviews - transkribieren tut er diese aber weniger gern. Immer wieder auch für Blödsinnigkeiten abseits seines Kerngebiets "Musik" zu haben. Hosted einmal monatlich die Sendung "Subtext on Air" auf Radio FRO, ist bei mehreren Kulturinitiativen und in einer Band aktiv.