STEVEN WILSON: „Inspiration lässt sich nicht herbeizitieren“

Teil 1 – Er gilt als Koryphäe des Prog, wird als begnadeter Top-Produzent angesehen und im eilt der Ruf als musikalischer Tausendsassa voraus: Steven Wilson. Ob No-Man, Bass Communion, Storm Corrosion, Blackfield oder natürlich Porcupine Tree, es sind viele musikalischen Liebschaften, die der 48-Jährige seit Jahren hegt und pflegt.

Richtungsweisend und fordern sind seine Platten, die inzwischen auch unter seinem eigenen Namen einstimmiges Lob von Kritikern und Fans erzielen. Ein exklusives Interview mit Steven Wilson über Inspiration, Beharrlichkeit und Schreibblockaden.

subtext.at: Steven, von Zeit zu Zeit teilen mir Leute mit, dass sie mehr Kreativität in ihr Leben bringen möchten. Du giltst als jemand, der fortlaufend kreativ und produktiv ist. Trügt der Schein?
Steven Wilson: Ich bin jemand, der wirklich hart arbeitet, was aber nicht heißt, dass ich ständig kreativ bin. Dieser Irrglaube besteht bei mir, weil ich eben viel und hart arbeite. Niemand kann dauernd kreativ sein. Es ist, als würdest du behaupten, dauerhaft glücklich zu sein. Das funktioniert nicht.

subtext.at: Nichtsdestotrotz veröffentlichst du kontinuierlich Platten auf konstant hohem Niveau.
Steven Wilson: Ich veröffentliche Musik regelmäßig, ja. (überlegt kurz) Ich bringe Musik heraus, wenn ich davon überzeugt bin, sie sei gut und ich möchte eine gewisse Qualität bei meiner Arbeit aufrechterhalten. Ich denke, dass ich jetzt dennoch langsamer angehen werde. Ich möchte mich nicht wiederholen, ich hasse diese Vorstellung, und je mehr Platten ich mache, desto weniger gibt es, was ich nicht schon gemacht oder ausprobiert habe. Ich bin mit „Hand.Cannot.Erase“ wirklich glücklich, aber ich möchte nicht noch ein Album wie dieses herausbringen. Viele Songs, die ich schreibe, bleiben in der Schublade, weil sie sich zu sehr gleichen. Kreativ zu sein bedeutet für mich auch, dass ich mich weiterentwickle. Wie andere auch, habe ich Zeitabschnitte, da schreibe ich rein gar nichts, 6 Monate lang oder auch ein ganzes Jahr. Oder es ist dermaßen schlecht, dass ich mich davon abwende.

subtext.at: Das heißt, du sitzt sprichwörtlich an einem Tisch vor einem weißen Blatt Papier und es kommt rein gar nichts?
Steven Wilson: Ganz genau. Schrecklich ist das. Viele Male habe ich das erlebt.

subtext.at: Mag man gar nicht glauben von dir.
Steven Wilson: Frustrierende Zeiten sind das. Da muss man dann einfach durch.

subtext.at: Hast du bestimmte Muster für dich ausmachen können, wie du deine Kreativität ankurbeln kannst?
Steven Wilson: Das kreativste Werkzeug für mich war und ist es, in die Kunst anderer Leute einzutauchen. Es muss nicht zwingend Musik sein. Bücher, Filme, Gemälde, Lyrik, was auch immer. Und wenn Musik, dann eine, die rein gar nichts mit deiner eigenen zu tun hat. Ich habe letztens japanische Noisemusik gehört, Jazz und viel Klassik. Das eröffnet dir oft eine ganz andere Welt. Inspirationsquellen gibt es viele. „Hand.Cannot.Erase“ wurde von einer Dokumentation inspiriert, die ich gesehen habe. Ich habe nicht explizit danach gesucht, doch es hat mich so sehr beeinflusst, dass ich danach mit dem Schreiben für die Platte begonnen habe. Ich will sagen, dass es wichtig ist, konstant für neuen Input zu sorgen, damit es einen Output geben kann. Je älter du wirst, umso weitgreifender sollten deine Inspirationsquellen sein. Dein Leben, das von deinen Freunden, deiner Familie, was du in der Zeitung siehst, im Fernsehen, in einem Buch für dich mitnimmst, es kann alles einen kreativen Funken entfachen.

subtext.at: Das heißt, dass die Inspiration dich findet und nicht umgekehrt?
Steven Wilson: Diese Frage kann ich nicht wirklich beantworten. Diesen Prozess habe ich nie wirklich ganz verstanden. Wenn ich das Geheimnis wüsste, würde ich ein Buch darüber schreiben und es veröffentlichen. Niemand weiß das. Woher kommt Musik überhaupt, die Melodien? Wie füllst du ein weißes Blatt Papier? Ich weiß es nicht. Diese Unberechenbarkeit macht es für uns so faszinierend. Ich könnte jeden Tag in mein Studio gehen, für 100 Tage und würde trotzdem nicht einen guten Song zusammenbringen. Am 101 Tag schreibe ich dann den besten Song meines Lebens, vereinfacht gesagt. Ständig passiert mir das und ich weiß nicht, weshalb es an manchen Tagen klappt und an manchen überhaupt nicht. Inspiration lässt sich nicht herbeizitieren, um deine Frage zu beantworten. Man muss darauf warten.

subtext.at: Wenn du eine konkrete Idee hast, wie sieht dein nächster Schritt aus?
Steven Wilson: Ich habe ein computerbasiertes Home-Recording-System in sehr hoher Qualität. In dem Moment, wo ich inspiriert bin, beginne ich schon mit den Aufnahmen. Ein Demo ist in meinem Fall meistens schon die beste Variante mit dem besten Ergebnis. Das ist der Augenblick, der am intensivsten und emotionalsten für mich ist. Wenn ich den Song einen Monat später noch einmal aufnehme und versuche, noch besser zu singen, haut es einfach nicht hin, weil ich emotional wieder ganz woanders bin. Es ist nicht gleich vom Gefühl her. Das habe ich über die Jahre gelernt. Klar, ich bin nicht der beste Sänger, aber für mich ist es dann einfach schwierig, sangestechnisch dem Song von der Emotionalität gerecht zu werden. Ich versuche meine Demos so aufzunehmen, als hätten sie schon eine tadellose Qualität. Wenn ich es 1 Monat oder 6 Monate später noch einmal versuche, dann…

subtext.at: Stellst du fest, dass es nicht noch besser geht.
Steven Wilson: Genau.

subtext.at: Manche Leute stehen extra früh auf, um von alltäglichen Dingen nicht abgelenkt zu werden, wenn sie arbeiten möchten.
Steven Wilson: In der Früh funktioniere ich nicht (lächelt). Um diese Uhrzeit bringe ich nichts zustande, da möchte ich nicht viel sprechen und eher für mich sein. Ich kann jetzt auch nicht zig Tassen Kaffee in mich hineinkippen, weil ich dann später den Preis dafür zahle mit Kopfschmerzen. Das fällt also auch weg für mich. Am besten arbeite ich abends. Ein Glas Wein, relaxen, einen Film schauen, Musik hören und dann ins Studio.

Cover

subtext.at: Es gibt Studien, die belegen, dass es für die Kreativität nützlich ist, wenn man den Ort wechselt, an dem man sich gerade befindet. Stimmst du dem zu?
Steven Wilson: So ziemlich, ja. Es gab aber auch Zeiten in meinem Leben, da habe ich nichts Lohnenswertes produziert. (überlegt) Ich habe in Israel für 6 Monate gelebt und dort war ich besonders kreativ, dort habe ich viel geschrieben. Wenn man so darüber nachdenkt, erscheint es einem logisch oder etwa nicht? Wenn du deine Umgebung wechselst, mit anderen Leuten abhängst, verschiedene Geschichten mitkriegst, über das Leben, über die Leute, das Wetter, all diese Dinge sorgen dafür, dass dein Input frisch bleibt. Für mich ist das nur logisch und es macht durchaus Sinn. Ich verspüre manchmal das Gefühl, dass ich woanders hingehen möchte für einen Monat beispielsweise, nur um zu schreiben. Ich möchte raus aus meiner behaglichen, bekannten…

subtext.at: Komfortzone?
Steven Wilson: Ja. Wenn du aus dem Fenster schaust, tagein, tagaus dasselbe Gesicht zu sehen bekommst, wie soll es dir da ergehen (lacht)? Es ist gut, etwas zu haben, was dich wachrüttelt.

subtext.at: Mit Schreibblockaden hast du also nicht stark zu kämpfen?
Steven Wilson: Nun, natürlich muss den den Input aufrechterhalten, aber im Endeffekt ist es nicht ganz so simpel und einfach. Es gibt keine Regeln und keine Lösungen dafür. Es gibt kein Heilmittel, um eine Schreibblockade einfach aufzulösen. Das einzige Mittel: Beharrlichkeit. Und Zeit. Ich habe vor kurzem etwas über John Fogerty gelesen und Creedence Clearwater Revival, wo drin stand, dass er 13 Jahre lang an einer Schreibblockade gelitten hat. Er konnte einfach nichts zu Papier bringen. Er hat es versucht, es klang aber nicht inspiriert genug. Er hat alles verworfen. Gott bewahre, wenn ich so lange darunter leiden müsste! In meinem Fall hatte ich maximal ein halbes Jahr lang eine kreative Flaute. (überlegt kurz) Es kann schon deprimierend sein, wenn du dich über deine kreative Arbeit als Mensch definierst. Dein ganzer Lebensinhalt scheint brüchig. Sehr deprimierend.

subtext.at: Dein aktuelles Album „Hand.Cannot.Erase“ wurde geradezu mit Kritikerlob überschüttet. Bedeutet dir das etwas? Liest du dir Kritiken durch?
Steven Wilson: Kritiken und Rezensionen meiner Alben lese ich mir nicht durch. Ganz vermeiden lässt es sich jedoch nicht, dass ich Meinungen darüber mitbekomme, weil Leute auf mich zukommen und mir ihre Eindrücke schildern. Zu meinem Pressebetreuer sage ich stets, er soll mir möglichst keine Kritiken zeigen. Gute, schlechte, ich will nichts davon wissen. Es ist nicht wichtig für mich. Dann rufen Freunde an und sagen mir, dass der Rolling Stone mich in höchsten Tönen gelobt hat, ich vom Kerrang!-Magazin hingegen total verrissen wurde (lacht). Man kann nicht völlig vermeiden, dass man andere Meinungen mitbekommt. (überlegt) Wer aber behauptet, dass andere Meinungen ihn oder sie nicht interessieren, der lügt. Diese Personen belügen sich selber. Wir sind alle sensible Geschöpfe, wir möchten wissen, was andere über uns denken. Die Idee, dass es da draußen eine Person gibt, die meine Musik und mich als Person hasst, ist für mich gar nicht so abwegig. Natürlich interessiert es mich, was die Leute von meiner Musik halten, denn meine Musik bin ich. Ich möchte nicht selbstgefällig klingen, aber es ist die Wahrheit. Weil es mich kümmert, versuche ich, es auszublenden. Es sorgt nur für Verwirrung. Sometimes it’s better not to know.

subtext.at: Es ist also kein Anliegen von dir, die Fanbase zufriedenzustellen?
Steven Wilson: Das Schlechteste, was ein Künstler machen kann: Mit seiner Kunst…

subtext.at: Die Leute zufriedenzustellen?
Steven Wilson: Eigentlich wollte ich die Medien sagen. Die Leute, das Publikum, doch, es passt auch. Das ist die Wahrheit. Generell gesprochen: Versuche niemanden zufriedenzustellen außer dich selbst mit deiner Kunst. (überlegt) Es gibt ja auch die Art von Leuten, die auf Amazon schnell eine Kritik schreiben und noch zu Hause bei ihrer Mutter leben – selbst das könntest du persönlich nehmen aber das solltest du nicht. Ich tue es nicht.

Ende Teil 1 des Interviews.

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