Kraftklub: übers Ziel hinausgeschossen

Sie hatten sich in den vergangenen Jahren den Ruf einer der besten deutschen Livebands erarbeitet: Kraftklub. Mit „Keine Nacht Für Niemand“ meldet sich die Band aus Chemnitz zurück. Mit bewährten Mustern und neuen Elementen.

Hatte man zwischen dem gefeierten Debut „Mit K“ und „In Schwarz“ noch den Verdacht, dass Album Nummer zwei etwas wie die B-Seite von Nummer eins ist, legen Felix Brummer und Co mit „Keine Nacht für Niemand“ diesen Stempel mit Sicherheit ab. Die „Band mit dem K“, wie der Opener heißt, legt hier ein Album hin, das Bewährtes nicht vergisst. Aber dann trotzdem ein bisschen über das Ziel hinausschießt.

Kraftklub: live immer noch empfehlenswert!

Zugegeben, musikalisch ausgefeilteste Arrangements mit Instrumental-Ergüssen wird man bei Kraftklub weiterhin vergebens suchen. Gott sei Dank – Kraftklub hört man deswegen ja normalerweise auch nicht. Mit Zeilen wie „Wir baden im Applaus, tragen goldene Klunker“ zeigt die „Band mit dem K“ dann weiterhin ein gesundes Maß an Ironie, das leider manchmal übers Ziel hinausschießt, wenn bei „Dein Lied“ die Ex mal als Hure beschimpft wird. Apropos „selbst“: Kraftklub haben auf „Keine Nacht Für Niemand“ aber auch Anspielungen zu anderen bekannten deutschen Artists genommen. Da wird bei „Am Ende“ Element of Crime zitiert – Sven Regener hat sich dabei wohl am Kaffee verschluckt -, bei „Venus“ eins zu eins bei Deichkind abgekupfert, um die Möbel aus dem Fenster zu werfen, und ganz am Schluss gleich mal „Liebe zu Dritt“ gemacht, wie es Francoise Cactus und Brezel Göring alias Stereo Total 2001 vorexerzierten. Das kann man lustig finden, muss man aber nicht.

Wie so vieles bei Kraftklub: Geschmackssache. Hinterfragenswert sind aber Lyrics wie „Ich gebe keinen Fick von Hamburg bis nach Wien“ – was mit „Ich will nicht nach Berlin!“ noch ironisch-gelungen klang, klingt hier dann aber doch zu testosterongeschwängert.  Überhaupt geht man etwas weg vom Indie-Rock, bringt Hip-Hop-Elemente verstärkt ein, und versucht wahrscheinlich so, die Entwicklung von 2011 bis 2017 zu zeigen, ohne Wurzeln zu verlassen. Ein Unterfangen, das mal mehr, mal weniger glückt. Kraftklub sind weiterhin eine Band, die polarisiert. Man liebt sie, oder man hasst sie. Mit „Keine Nacht für Niemand“ hat sich das auch nicht geändert.

Mit Tracks wie „Chemie Chemie Ya“ wird das Thema Drogen verbraten – Alligatoah lässt grüßen – und auf Bewährtes gesetzt, was die Livetauglichkeit betrifft. Songs wie „Hausverbot“ mit den guten Zeilen „Du hast ein Haus und Boot, ich hab Hausverbot“ und „Fenster“ mit Systemkritik als Inhalt lassen aber dann doch hoffen: Kraftklub können es ja noch, vor allem live. Das kann die Band mit dem K nämlich richtig gut. „Keine Nacht für Niemand“ ist ein Album, das man als zwiespältig sehen kann. Gute Ansätze werden leider zu oft übertrieben. Würde man eine Floskel bemühen, könnte man Kraftklub mit diesem Album als „erwachsener“ sehen. Leider ist halt auch nicht alles am Erwachsensein gut.

Weiter: 

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.