JOAN AS POLICE WOMAN: „Wir durchleben alle dieselben Gefühle, nur die Details sind anders“
Wer mit 36 Jahren ein Debütalbum veröffentlicht, der muss entweder komplett wahnsinnig oder selbstbewusst genug sein, um an seine Stärken zu glauben. Seit ihrem Debüt „Real Life“ (2006) findet Joan As Police Woman aus dem amerikanischen Connecticut immer wieder neue Blickwinkel, um über wiederkehrende Themen zu singen, die wohl jeden von uns mal mehr, mal weniger beschäftigen.
Auch ihr heuer veröffentlichtes Werk „Damned Devotion“ ist eine mit leichter Hand inszenierte Schwelgerei in bester Singer/Songwriter-Manier, die in schnelllebigen Zeiten wie diesen nur noch selten das Licht der Welt erblickt. Die studierte Violinistin, Studiomusikerin und ehemalige Freundin des verstorbenen Jeff Buckley, verrät im Interview mit subtext.at ihre Sichtweisen zu Themen wie nächtliche Kreativschübe, Fehler im Leben, die man zweimal macht und Intimität innerhalb der eigenen Musik.
subtext.at: Joan, wenn wir einen Zeitsprung in die Vergangenheit vollführen, was war der ausschlaggebende Punkt für dich, professionell Musik machen und veröffentlichen zu wollen?
Joan Wasser: Musik mache ich schon mein ganzes Leben. Schon als Kind habe ich damit angefangen. Willst du wissen, wann ich richtig angefangen habe, Songs zu schreiben? Zielt deine Frage darauf ab?
subtext.at: Ja. Ich habe über dich gelesen, dass du mit 25 Jahren beschlossen hast, als Singer/Songwriterin durchzustarten.
Joan Wasser: Ja, nein (lacht dreckig).
subtext.at: Dann war die Info wohl falsch.
Joan Wasser: Es gibt einfach zu viel an Information im Internet, durch den Computer, die nicht den Tatsachen entsprechen. Das ist OK. Wir wissen ja inzwischen, dass nicht alles, was im Internet steht, auch richtig ist. (überlegt) Ich habe ja Violine gelernt, dann auch lange Zeit in diversen Bands gespielt, doch singen wollte ich nie. Niemals.
subtext.at: Weshalb schien dir diese Idee denn so abwegig?
Joan Wasser: Weil sie mir so schutzlos und verletzbar erschien. Ich wollte immer Musik machen, das schon, aber ich wollte nicht als Sängerin in Erscheinung treten. Ich war auch immer von guten Sängern umgeben, da kam das auch automatisch nicht in mir auf, singen zu wollen. (überlegt) Ich wollte mit meiner Violine einen Weg finden, zwischen Gitarre und Bass reinzupassen. Sie sollte wie eine Holzgitarre klingen, keineswegs hübsch und schön, sondern rhythmisch. Darauf habe ich mich eine lange Zeit dann fokussiert. Irgendwann sind gewisse Dinge in meinem Leben passiert, die ziemlich heftig für mich waren. Zu dem Zeitpunkt hatte ich kein Ventil, um meine Gefühle ausdrücken zu können. Das war der Moment, als ich zu singen begonnen habe.
subtext.at: Ungeplant.
Joan Wasser: Genau. Mir gefiel auch gar nicht, wie sich meine Stimme überhaupt anhörte. Ich fühlte mich auch gar nicht wohl. Trotzdem, in dem Moment, musste ich es tun, es gab für mich keinen anderen Ausweg aus dieser Situation. Das war so mit Ende 20.
subtext.at: Das klingt, als würde alles, was das Leben mit dir macht, zwangsläufig in die Musik fließen und in einen Song münden.
Joan Wasser: Nicht alles, aber eine ganze Menge! (überlegt) Meine Platten sind schon sehr persönlich, aber geht es nicht jedem Künstler so?
subtext.at: Wenn es zu persönlich und intim ist, möchten es manche vielleicht eher nicht mit dem Publikum teilen.
Joan Wasser: Ich glaube, es muss verletzlich und intim sein, wenn du es mit jemanden teilen möchtest durch die Musik. Wir durchleben alle dieselben Gefühle, nur die Details sind anders. Grundsätzlich. Über viele Gefühle redet man im normalen Leben nicht. Ist doch so, oder? Es ist wichtig, über diese Dinge zu sprechen und über diese Dinge zu singen.
subtext.at: Wie kriegt man nun alle Ideen, die man im Kopf hat, auf Tape?
Joan Wasser: (überlegt) In der Vergangenheit war es so, dass ich meistens mit der Gitarre angefangen habe. Ich habe rumprobiert, ein paar Akkorde gespielt und geschaut, was passiert. Dann habe ich darüber gesungen und aufgenommen. Den Lärm (lächelt). Du weißt nicht, was da alles drin steckt und wenn du es nicht aufnimmst, dann ist es weg. Ich bin sowieso jemand, der Dinge schnell vergisst.
subtext.at: Wenn es weg ist, ist es weg.
Joan Wasser: Selbst wenn es ähnlich klingt, ist es nicht identisch. Das Gefühl ist anders. Der Rhythmus. Ich nehme also alles auf und bearbeite es anschließend zig Male, bis der Song schlussendlich fertig ist. Auf meinem aktuellen Album „Damned Devotion“ war es so, dass ich bei einigen Songs Bass gespielt habe und mein Schlagzeuger Parker hat das Schlagzeug bedient. Bei diesen Jams sind die Songs dann entstanden. (überlegt kurz) Meistens ist es so, dass die Melodie, die Musik, die steht zuerst. Die Worte, die kommen danach. Es gibt auch Fälle, wo manche Wörter schon zuvor fest in deinem Gedächtnis sind. Es dauert eine Zeit, bist du genau weißt, warum eigentlich. Schreibst du auch Songs?
subtext.at: Nein, ganz und gar nicht. Ich kann mich aber gut in diese von dir beschriebene Situation hineinversetzen.
Joan Wasser: Verstehe. Du schreibst also nur? Wenn du dich an einen Text setzt, wie gehst du dann vor? Etwas so: „La, la, la, I hate my mom but I love…“ In der Form (lacht dreckig)?
subtext.at: Es kommt ganz drauf an, um was es geht. Jedem Text liegt aber eine Idee zugrunde. Auf die baut man sein Werk oder eben dieses Interview dann auf.
Joan Wasser: Ich sag dir was. Es gibt ja einen Titeltrack auf der Platte und an dem bin ich am meisten gesessen. Ich hatte nur Fragmente und ich habe ca. ein Jahr gebraucht, um diesen einen Song fertigzukriegen. Die Melodie war da, die Akkorde, alles an seinem Platz. Die Wörter dazu? Fehlanzeige (lacht). Als ich die Lyrics dann endlich hatte, dachte ich nur: „OK, the fucking record is called ‚Damned Devotion‘, Jesus…“subtext.at: Lag dem Album denn überhaupt ein Grundgedanke zugrunde?
Joan Wasser: Hm, ich schreibe eigentlich immer. Ich habe schon einige Songs fertig für das nächste Album. Ich mache immer weiter.
(Die Kaffeemaschine, ausgelöst durch von Joan Wassers Crew, ertönt laut im Hintergrund und Gelächter bricht aus)
Joan Wasser: Nachts bin ich am kreativsten.
subtext.at: Ich ebenfalls.
Joan Wasser: Siehst du.
(Die Kaffeemaschine geht wieder los und Joan bricht in lautem Gelächter aus)
Joan Wasser: Lärm! So viel Lärm (lacht)! Nun, ich habe jüngst damit angefangen, Drum Programming für meine Songs zu benutzen. Das habe ich erst durch Benjamin Lazar Davis kennengelernt, als wir die Platte „Let It Be You“ zusammen gemacht haben. Ich musste mit dem Piano aufhören. Nachts, um 22h, 22.30h, was weiß ich. Ich respektiere meine Nachbarn schließlich (lacht). Die Keyboards wurden an den Computer angeschlossen und es ging los. Ich wusste zuerst nicht, ob diese Songs überhaupt für ein Joan As Police Woman-Album in Frage kommen würden. Normalerweise nehme ich ein Album live mit Band im Studio auf.
subtext.at: Du hast dich über diese Grenzen hinweggesetzt.
Joan Wasser: Yeah, fuck that. Ich muss mich schließlich damit wohl fühlen. Was hingegen schwierig für mich war, jetzt bei „Damned Devotion“, war die Reihenfolge der Lieder. Das war extrem schwer. Ich habe jeden gefragt, mir dabei zu helfen und eine Reihenfolge, eine Anordnung zu gestalten. Es fühlte sich für mich so an, als könnte jeder Song am Anfang und jeder Song am Ende des Albums stehen. Es war sehr herausfordernd. Ich habe mich dann dafür entschieden, es ruhig angehen zu lassen, in der Mitte lauter werden zu lassen und gegen Ende wieder ganz still.
subtext.at: Hast du das Gefühl, dass du tief in dich gehen musst, tief in dir graben, um etwas herauszuholen, was wert ist mit der Welt geteilt zu werden? Fühlt es sich so an?
Joan Wasser: Ja, durchaus. Das ist etwas, was mich motiviert, einen Song zu schreiben. Wenn mich etwas fertig macht, dann muss ich herausfinden, was zum Teufel da eigentlich genau los ist (lächelt). Es ist aber auch nicht so, dass man in jedem Song sein Innerstes nach außen kehren muss.
subtext.at: Vorhin hast du gemeint, du hättest schon Songs für das nächste Album geschrieben. Warum? Hast du Angst, aus der Übung zu kommen, wenn du dir allzu viel Zeit damit lässt?
Joan Wasser: Nein, es ist nur das, was ich mache, was ich kann. Es ist ein Teil meines Lebens und es macht mich glücklich. Es gab Zeiten, wo ich nichts geschrieben habe und mir dann mein Verstand einreden wollte, dass es doch wieder an der Zeit wäre und so. Shut up. Ich möchte nichts erzwingen, verstehst du? Fuck that. Go, have fun. Du schreibst dann von allein.
subtext.at: Songzeilen wie „I’ve got a love inside me now, it’s bigger than the Easter bunny on Easter day“ müssen einem doch im Voraus einfallen, weil sie so spezifisch sind oder nicht?
Joan Wasser: Das Stück ist im Sommer entstanden, als es sehr heiß war. Es ist einfach zu mir gekommen. Ich weiß nicht (seufzt, lacht und fängt an zu singen). Ich mag es aber, Elemente in einen Song einzubauen, die um mich herum stattfinden. Weihnachten oder eben Ostern. Man stellt…
subtext.at: Eine Verbindung her.
Joan Wasser: Genau. Zu singen, man wäre traurig, reicht nicht. Es müssen schon die Feinheiten sein, die einen Song im Endeffekt auszeichnen und besonders machen. Wo auch immer es sich natürlich anfühlt, nutze ich es für meine Songs.
subtext.at: In einem anderen Song singst du „I have loved deceivers, I tend to trust the villain, I’ve been fine with learning it the hard way“. Je älter du wirst, welche Dinge hast du über die Liebe, über Beziehungen und über die Kommunikation zwischen zwei Liebenden gelernt?
(Sie schweigt)
subtext.at: Ich weiß, dass ist ein großes Themengebiet, was ich hier aufmache.
Joan Wasser: Ein riesengroßes (lacht)! Über habe einen großen Teil damit verbracht über Dinge nachzudenken, die ich gemacht habe, damit ich sie in Zukunft nicht noch einmal mache. Dieses typische Ding vom Fehler, den man nicht machen soll. Fuck that. Wenn es sein muss, mache ich eben den Fehler noch einmal (lacht). Darum geht es in dem Lied.
subtext.at: Wenn du es für dich akzeptiert hast…
Joan Wasser: Ja. Und es ist total in Ordnung. Man möchte sich zwar ändern und sein Verhalten überdenken, aber das hat dann mit dir nicht mehr viel zu tun. Es funktioniert nicht. Zumindest bei den Leuten in meiner Umgebung. Jeder macht dieselben Fehler mehrmals, was nicht heißt, dass du dabei gar nichts über dich lernst und in Erfahrung bringst. Klar, ich lege nicht das Verhalten von früher an den Tag. Bin ich jetzt deswegen ein anderer Mensch? Nein! Ich versuche, so ehrlich wie nur möglich zu sein, auch wenn mich die Situation total verschreckt. „Die Person wird mich nie im Leben mögen“ und solche Sachen. Früher oder später finden sie es ja doch heraus, da kann man gleich mit der Wahrheit kommen – auch wenn es unangenehm ist in dem Moment. Zu 99% macht es die Situation besser. Und wenn nicht? See you later.
subtext.at: Die beste Entscheidung, die man treffen kann.
Joan Wasser: Die beste, die man treffen muss!
subtext.at: Was lässt ein Album zu einem Klassiker werden?
Joan Wasser: Oh. (überlegt) Hast du eine Antwort parat?
subtext.at: Eine toughe Frage, ich weiß.
Joan Wasser: Ich glaube, dass es etwas mit dem Timing zu tun hat. (überlegt) Ich habe das Gefühl, dass viele Platten gerade deswegen zum Klassiker geworden sind, weil sie auf irgendeine Art die Zeit widerspiegeln, in der sie entstanden sind. (überlegt lange) Ich weiß die Antwort nicht. Keine Ahnung. Ich kann für mich sagen, dass ich mir keine Gedanken darüber machen wollte, was von mir erwartet wird. Früher habe ich schon einige Male überlebt, Sachen auf die Platten zu packen, die eventuell im Radio stattfinden könnten. Man will ja doch auch irgendwie weiterhin Musik machen. Mit dieser Platte war es anders. Es ging gar nicht. Das fühlt sich heute immer noch gut an, nicht darüber nachgedacht zu haben. Das trifft vielleicht auch auf andere Künstler zu.
subtext.at: Verrätst du mir zum Schluss noch die überraschendste Wendung, die dein Leben eingeschlagen hat? Musikerin zu werden?
Joan Wasser: Wahrscheinlich ja. Das war etwas, mit dem ich wirklich nicht gerechnet hätte. Als ich meine erste Platte gemacht habe, wusste ich, dass meine Familie sie hören wird. Meine Freunde. Ich wüsste, sie würden sagen, wie toll sie sei, ganz egal ob sie gut oder ganz furchtbar in ihren Augen ist (lacht). Als dann Leute auf mich zukamen, die ich nicht kannte, und sie mich für meine Musik lobten, war ich wirklich überrascht (lächelt). Ich habe es wirklich, wirklich nicht erwartet. Seit dem kann ich Platten veröffentlichen und auf Tour gehen, was großartig ist. Die Leute haben so positiv auf mich und meine Musik reagiert und ich war damals immerhin schon 36. Wir alle wissen, es heißt nicht, man sei alt, aber wenn es um Musik und die Frage nach einer Karriere ist, dann vielleicht. Wann hat Willie Nelson angefangen? Mit 40, glaube ich. Erst ist ein gutes Beispiel. Ja, Musikerin zu werden ist wirklich zu einem unerwarteten Vergnügen für mich geworden.
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Foto: Allison Michael Orenstein