Mike Singer: Tinnitus anstatt Bachmann-Preis
Der Posthof Linz erlebte am Freitag einen sehr, sagen wir einmal ungewöhnlichen Abend. Das Deutsch-Pop-Sternchen, die preußische Justin Bieber-Fassung und Instagram-Star Mike Singer gastierte am späten Nachmittag in der Stahlstadt. Ein Konzert, das zwar sündhaft teurer war und von Marketing-Experten bis auf jede Zehntelsekunde gut designt wurde, aber an viel zu vielen Stellen fragwürdig war.
Man ist es ja nicht wirklich gewohnt, dass Konzerte an einem Freitag bereits um 18:00 Uhr beginnen! Generation Instagram muss jedoch bald ins Bett, dem Jugendschutzgesetz sei gedankt. Kurz bei Peter Filzmair nachgefragt, lag der Altersschnitt irgendwo in diesem Bereich dort, wo Sebastian Kurz der JVP beigetreten ist. Wohl auch darum bestand gut ein Viertel des Publikums im ausverkauften mittleren Saal aus den zwangsverpflichteten Eltern, die hoffentlich ein großes Portmonnaie besaßen. Denn, ja: auch die Preispolitik gehört zu einem Konzertabend. Bevor also jemand meint, Kritiker dürfen nur die künstlerische „Leistung“ bewerten: nein ein Konzert ist ein Gesamtkunstwerk, also gehören in die Berechnung ebenfalls Tinnitus verursachende Teenies, Abzockpreise, die 0815-Supports und übertriebene Fanliebe mit in die Kalkulation. Bereits der einfache Eintritt schlägt mit mindestens 35,50 € kräftig zu Buche. Im Vergleich: ein Ticket für die Foo Fighters in der Wiener Stadthalle kostete nur 15 € mehr. Das ist zwar schon überteuert aber mit kräftigem Schlucken für Papa und Mama noch verschmerzbar. Wer aber noch etwas mehr „echte“ Mike Singer-Liebe in seinem jungen Leben brauchte, konnte um 71 € noch ein VIP Ticket erwerben, Meet & Greet inklusive. Zusätzlich zum Konzertticket, wohlgemerkt. Macht gemeinsam mindestens 106 € pro Kopf. Zum Vergleich: dafür kann man sich zweimal die Foo Fighters ansehen, oder zehn Konzerte in KAPU oder Stadtwerkstatt – und sogar für manches Festival und damit 20 Bands+ geht sich ein kompletter Festivalpass aus. Haben die gepeinigten Eltern zwei kleine Prinzessinnen, schlägt das ganze dann schon mit Reisekosten und etwas Verpflegung mit mindestens 310 € zu Buche. Dafür ginge sich schon ein Flug innerhalb des Kontinents, ein neuer Fernseher, ein Semester Studiengebühren und vieles mehr aus. Kurzum: der Preis ist eine Frechheit und nichts anderes als pure Abzocke und in keiner Weise gerechtfertigt. Hat was von Turbo-Kapitalismus – Friedrich Hayek rotiert vor Freude im Grab.
Back to the music: Die begann mit einem 8-minütigen Set von Brebo. Kurz das Online-Lexikon bedient: ein 20 jähriger Hip-Hop Künstler aus Luxemburg. Was soll man zu diesen wenigen Minuten sagen? Langweilige 0815-Texte über Liebe und Co, könnte auch so von einem Online-Generator ausgeworfen worden sein. Aber wenigstens live gesungen, eine Ausnahme an diesem Abend. Die Technik war ja im Ansatz angesichts der noch jungen Jahre des Künstlers ganz gut, textlich war das dann aber nix. Trotzdem einer der besseren Gigs an diesem Abend, weil ehrlich. Kann man gesehen haben, muss man nicht und war so spannend wie eine Parlamentsrede von Andreas Kohl schwungvoll ist. Die Fans feierten den jungen Mann, aber die feierten und bekreischten sowieso alles, was man ihnen an diesem Abend servierte und alles, was jeder auf diese Bühne von sich gab. Man hätte auch eine Schildkröte auf die Bühne hieven können – es hätte wohl die gleichen Dezibelwerte im Saal verursacht.
Ohropax gewechselt und weiter dann ohne Umschweife mit Bars & Melody. Diesesmal englisch, darum aber nicht weniger schnulzig, wenn man auf den Text hört – und sehr viel Playback. Bei den beiden Noch-Europäern von der Insel ist einem das dann stellenweise doch sehr deutlich aufgefallen. Texte hin oder her, auch bei simplem Hip-Hop mit banalen Texten kann man dann doch erwarten, dass er bei einem Konzert live gesungen wird und nicht einem angebissenen Apfel entspringt. Auch hier gilt: ja, gefallen hat das den ZuseherInnen. Ja, die Melodien gehen in das Ohr und sind schwungvoll, die Hook-Line funktioniert. Hat der Produzent im Tonstudio gut gemacht. Freudig wurde sich an anderen KünstlerInnen wie Tash Sultana bedient und nach gut 20 Minuten war das dann auch wieder vorbei. Wie zuvor, kann man mögen, kann man sich notfalls anhören, muss man aber nicht. Der Brexit hat vielleicht auch seine guten Seiten.
Dann war es soweit. Die Schreie wurden lauter, die Vorfreude in den strahlenden Augen sichtbar und die Rechnung meines Ohrenarztes länger. Die zustimmenden Blicke von Ordnern und Sanitätern auf mein schmerzverzerrtes Gesicht sprachen Bände. Mike Singer betrat die Bühne. Was darauf folgte, war ein Drehbuch, ein perfekte Choreographie von Licht, Ton, Ansagen an die Fans und Bühnendesign. Von Marketing-Experten und Produzenten ausgedacht und auf den Massenmarkt perfektioniert. Also in etwa das, was Andreas Gabalier und DJ Ötzi machen. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen. Zugegeben, das war gut gemacht. Der LED-Screen eine coole Idee, die gut eingesetzt wurde, der Herr ganz hinten am Schlagzeug eine Freude zum Beobachten, die Lichtshow perfekt und die Dramaturgie gut aufgebaut. Eine sogar sehr gute Produktion also.
War das aber ehrlich? Nein. Musikalisch viel Playback und die Wortspenden von Mike Singer in Richtung Publikum Standardphrasen aus dem Script. Wie ehrliche und spontane Interaktion mit Fans funktioniert, bewiesen eine Stunde später LaBrassBanda im großen Saal – Shoutout an die liebe Lisa – die gesanglich jetzt nicht wirklich schlechter als Mike Singer, eher um einiges besser waren. Also stimmlich sicherer als Mike Singer mit Playback. Das Problem daran, wenn man Playback und Nicht-Playback-Songs mischt. Das Band wird dadurch so auffällig wie ein Punk am Juridicum. War das für die Fans ein Problem? Nicht wirklich, die waren euphorisch und überglücklich. Peinlich wird es dann, wenn man Lieder zweckentfremdet, ohne möglicherweise den Ursprung dieser zu kennen, oder es zumindest in Kauf zu nehmen. Denn „Bella Ciao“ ist kein Liebessong, nein nicht mal ansatzweise. Sondern ein hochpolitischer und linker. Entstanden während des zweiten Weltkrieges unter linken italienischen Partisanen ist „Bella Ciao“ eines der linken Kampflieder. Wusste wohl kaum jemand im Saal. Einen politischen Song billig zu verschandeln ist eine Sache, es nicht zu bewerkstelligen, in all dieser Zeit auch nur eine politische Wortspende von sich zu geben, eine andere. Das nimmt nämlich jenen Kritikern, die den gesamten Deutsch-Pop bzw. Deutsch-Pop-Hip-Hop als farblosen und charakterlosen Kommerz bezeichnen nicht gerade den Wind aus den Flügeln. Die ewig gleichen Songs über die eine wahre, Liebe, Instagram und Rebell sein hat man schon zu tausenden exakt gleich gehört. Auch wieso man bei diesem jungen Altersschnitt im Publikum Schusswaffen in Musikvideos als cool inszeniert, bleibt fragwürdig.
Was soll man zusammenfassend sagen? Ein ausverkaufter mittlerer Saal zeigt: was Mike Singer macht, kommt sehr gut an. Die kreischenden vorwiegend weiblichen Fans waren auch überglücklich. Nimmt man das als Maßstab also ein perfektes Konzert. Objektiv betrachtet war das trotzdem einfach nur schwach. Eine perfekte Produktion macht ohne die rosarote Fanbrille betrachtet kein Playback, keine 0815-belanglosen Texte, keine Fake-Fannähe und keine Abzocke bei den Ticketpreisen wett. Noch eines: wenn Fans bereits vor dem Posthof-Personal am Vormittag bei der Venue sind und in Kälte und Nässe bis 23:00 Uhr und darüber hinaus auf ihren Helden warten, zeigt das von einer übertriebenen und verquerten Fanliebe.
Fotos: Andreas Wörister (Slihs Photography)