Assassin’s Creed Odyssey: Auf Meuchelkreuzfahrt in der Ägäis
Als auf der E3 2017 Assassin’s Creed Origins angekündigt wurde, war der Hype groß. Nach zweijähriger Pause war die Assassinenreihe mit einem gewagten Facelifting zurück. Kann Teil 2 der Neuauflage mit dem Vorgänger mithalten? Assassin’s Creed Odyssey ist ein verdammt gutes Spiel. So viel vorweg. Die Spielwelt ist atemberaubend gestaltet. Das Gameplay macht enorm Laune. Grafisch ist der Titel einwandfrei und die Handlung ist ebenfalls gelungen, obwohl man inzwischen einiges schonmal an anderer Stelle gesehen, gehört oder gemeuchelt hat. Der Nachfolger des Serienrelaunchs Origins kann sich durch und durch sehen lassen.
Anfang Oktober erschien mit Assassin’s Creed Odyssey Teil elf der Assassin’s Creed Hauptreihe. Erneut heißt es: Templer jagen, in den Animus hüpfen und bei historischen Ereignissen die Finger im Spiel zu haben. Wurde Origins noch von Asassin’s Creed Hauptquartier Ubisoft Montreal entwickelt sind bei Odyssey wieder die Kollegen von Ubisoft Quebec (Assassin’s Creed Syndicate) an der Reihe. Das kanadische Studio hat gute Arbeit geleistet und einen hervorragenden AAA-Titel abgefliefert.
Assassin’s Creed Odyssey
Publisher: Ubisoft
Entwickler: Ubisoft Quebec
Plattformen: PC, PS4, Xbox One
Testplattform: PC
Metacritic-Score: 88%
Preis: 59,99 / 64,99 €
Athen gegen Sparta
Diesmal verschleppt uns Ubisoft in die Antike zur Zeit des Peloponnesischen Krieges. Sparta und Athen kämpfen um die Vorherrschaft über Griechenland und irgendwo mittendrin manövriert sich unser Held durch die Fronten. Unser Held oder unsere Heldin. Wir können uns zu Beginn aussuchen, ob wir als Alexios oder seine Schwester Kassandra durch Griechenland segeln. Auf die Story an sich hat das nahezu keine Auswirkungen, lediglich die Rollen von Alexios und Kassandra sind in der Folge vertauscht. Was RPG-Storytelling angeht wurde dem Großmeister CD PROJECT RED (The Witcher) gehuldigt: Immer wieder ist der Spieler selbst gefragt und muss Entscheidungen treffen, die aktiv in die Handlung eingreifen. Das reicht von simplen Dialogoptionen bis zur Wahl zwischen Leben und Tod von Charakteren.
Hellas oh Hellas
Die Spielwelt wurde von Ubisoft mit außerordentlicher Liebe zum Detail gestaltet. Ob man nun auf einer abgelegenen Pirateninsel von Löwen gejagt wird, oder in Athen eine gigantische Statue der Göttin Pallas Athene erklimmt, die Immersion ist allgegenwärtig. Zudem wurde den unzähligen historischen Figuren große Aufmerksamkeit geschenkt. Einmal liefern wir uns eine geistreiche Debatte mit Sokrates, ein anderes mal betrinken wir uns mit Euripides und grölen Soldatenlieder. Von der attischen Demokratie bis zu den spartanischen Kriegern ist alles stimmig und treffsicher in die Welt gesetzt, und zwar mit nicht zu unterschätzender, historischer Genauigkeit. Soweit das für ein Verschwörungstheorienmekka wie Assassin’s Creed eben möglich ist.
Alexios und Kassandra – Geschwisterliebe
Der einzige Teil der Handlung der gelegentlich etwas Fehl am Platz wirkt ist unser Hauptcharakter selbst. Als gebürtiger Spartaner wurde Alexios unter zu Beginn mysteriösen Umständen verbannt und lebt nun auf der Insel Kefalonia. Nachdem wir die Insel verlassen haben entwickelt sich schnell ein typisches Assassin’s Creed-Netz: Eine Art Templergruppe namens „Kult des Kosmos“ will den Konflikt zwischen Athen und Sparta zum eigenen Vorteil nutzen und zudem gibt es zahlreiche Verweise auf die mysteriöse Isu-Zivilisation. In Odyssey treffen wir auf vergleichsweise viele Isu-Ruinen; Ubisoft fackelt mit der Einführung der Menschheitserschaffer in Odyssey nicht lange herum. Mussten wir in früheren Titeln teils immer wieder denselben Verschwörungstheoriemythos durchlaufen, erzählt uns der Historiker Herodot bereits früh in der Handlung seine Theorien zu den gigantischen Tempelbauten. Möglicherweise liegt es aber auch an Alexios‘ und Kassandras Verbindung zur Ersten Zivilisation…….. . Soweit so gut. Alexios‘ wirkt aber vor allem dadurch etwas Fehl am Platz, dass er scheinbar zufällig die Bekanntschaft mit allen wichtigen Persönlichkeiten der Griechischen Welt macht. Zwar ist es spannend Alexios auf seiner Mission zu begleiten, dennoch wirkt es mitunter etwas erzwungen, wenn er die diversen Anführer und Berühmtheiten trifft. Irgendwie hat er stellenweise keinen triftigen Grund, gerade dort zu sein. Insgesamt ist der Dialog in Odyssey aber solide geschrieben und die viel verzweigte Story reißt den Spieler trotzdem durch die Olivenhaine der Ägäisinseln und Symposien Athens.
Erneut RPG-Fokus
Odyssey übernimmt im wesentlichen das Gameplay des direkten Vorgängers Origins. Wieder liegt der Fokus verstärkt auf Rollenspielelementen: Ausrüstung sammeln, Fertigkeitsbäume hochklettern und auf Levelaufstiege hinarbeiten. Ein hohes Level ist vor allem auf höheren Schwieriegkeiten ein Muss, um in der Hauptstory voran zu kommen. Die Level der Gegner steigen nämlich mit fortschreitender Story ebenfalls und ohne einen gewissen Grundstock an Farm werden die Kämpfe schnell zur Qual. Darum heißt es fleißig Kultanhänger meucheln und Nebenquests erfüllen. Die so gewonnenen Fertigkeitspunkte können wir in drei Fertigkeitsbäume investieren: Jäger, Krieger und Assassine. Klingt wie ein extrem generisches Skillsystem, ist es auch, stört aber nicht und es funktioniert ohne Probleme. Ein Meuchelspiel wie Assassin’s Creed muss kein Skill-Labyrinth wie Path of Exile sein, um Spaß zu machen.
Origins, 1 Prise Black Flag, 1 TL Shadow of Mordor
Einige der im Vergleich zu Origins neuen Gameplayelemente sind, wenn man den Blick auf frühere Spiele wirft, gar nicht so revolutionär. Seeschlachten etwa waren bereits in Black Flag mit von der Partie. Dort sogar etwas umfangreicher, wobei Black Flag immerhin ein Piratenspiel in der Karibik war. Schiffsattacken auf Stützpunkte entfallen in Odyssey beispielsweise. Das neu eingeführte Söldnersystem sorgt dafür, dass man bei Gesetzesbruch von nicht zu unterschätzenden Kopfgeldjägern gejagt wird, teils auf Gedei und Verderb quer durch ganz Griechenland. Ähnlich wie in Shadow of Mordor können Crewmitglieder für unser Schiff können angeheuert werden, dabei geht Alexios/Kassandra nicht gerade zimperlich vor. Potentielle Rekruten werden gekidnappt und auf unser Schiff, die Adrestia, verschleppt. So angeheuerte Offiziere gewähren uns gewisse Boni wie besserenWiderstand gegen Feuerpfeile, oder etwas höheren Wurfspeerschaden in Seeschlachten.
Das Sieb der Zeit
Das gute alte Adlerauge muss in Odyssey einem richten Adler Platz machen. Statt mit einer Taste in eine verschwommene Welt blauer Freunde, roter Feinde und goldener Questcharaktere einzutauchen, können wir in Odyssey unseren Adler Ikaros steuern und aus der Luft Feinde, Truhen und Questrelevantes makieren. Ein Schnellreisesystem ist ebenfalls implementiert. Man sollte nicht vergessen jeden Aussichtspunkt zu synchronisieren, denn nur dann sind sie als Reiseziele aktiviert. Insgesamt ist es erstaunlich, wie viel Mechaniken in den letzten 11 Jahren in der Hauptreihe zu sehen waren und irgendwann leise wieder verschwanden. Von kleineren Dingen wie dem Herbeirufen von Assassinenrekruten bis zu größeren Brocken wie dem PvP Multiplayer. Der wurde 2010 mit Brotherhood eingeführt und zum letzten Mal 2013 in Black Flag gesichtet. Das gegenseitige Meucheln bot eine erstaunlich einzigartige Erfahrung. Ewig Schad‘. Etwas ärgerlich: Odyssey hat zwar eine Quicksavefunktion aber keine Autosavefunktion. Das kann deswegen nervig sein, weil es gewisse Gebiete gibt in denen man nicht speichern kann. Hat man also vor Betreten des Gebietes vergessen zu speichern, muss man entweder beten ungeschoren davonzukommen, oder zurücklaufen und F5 für ein Quicksave drücken. Ein simples Autosave beim Betreten solcher Gebiete könnte dieses Problem lösen.
Technisches
Odyssey ist grafisch durchaus anspruchsvoll und technisch auf der Höhe der Zeit. Besonderes Detail sind die Gesichtsanimationen die teilweise erstaunlich viele Emotionen darstellen können. Auf dem redakteurischen Testsystem mit GTX 970, einem Intel Xeon E 1231 v3 und 16 GB DDR3 RAM ist das Spiel in höchsten Einstellungen auf Full HD eigentlich durchgehend über 40 FPS geblieben. Die Optimierung scheint also von Ubisoft gut erwischt worden zu sein und kein Schockerlebnis wie zu Assassin’s Creed Unity Zeiten. Wir empfehlen aber unbedingt den Titel auf einer SSD zu installieren. Die Ladezeiten bei dem knapp 50 GB Brocken könnten einen sonst alt werden lassen.
Fazit
Odyssey ist ein Titel der zu gefallen weiß. Wie beim direkten Vorgänger Origins wird erneut ein bisschen von der zuvor scheinbar gottgegebenen Assassin’s Creed Formel abgewichen. Das tut dem Franchise gut und bringt frischen Wind. Ubisoft sollte dennoch vorsichtig sein. Zwischen Origins und Odyssey lag nur ein Jahr Wartepause und wenn die jährlichen Releases nun wieder aufgenommen werden, könnte von dem frischen Wind bald nur mehr ein laues Lüftchen übrig sein.