Universität Wien
Foto: Franz Jachim (CC BY NC ND)

Die elitären Universitäten und die Arbeiter_innen­kinder

Warum es für manche Arbeiter_innenkinder trotz großem Potenzial und intrinsischer Motivation nicht möglich ist die Bildungs- und Erfolgsleiter nach oben zu klettern, erzählt uns Beatrice Frasl im Interview.

Wenn wir von Nachteilen in der Österreichischen Bildungslandschaft sprechen, denken wir oft an kognitive oder ethnische Gründe. Neben diesen gibt es auch noch andere Hürden, um einen Höheren Bildungsabschluss zu erlangen. Beatrice Frasl hat sich längere Zeit mit dieser Thematik beschäftigt. Aufmerksam sind wir auf die Aktivistin über ihren Instagram-Account geworden, wo sie auf die immer noch aufrechte Chancenungleichheit von Arbeiter_innenkinder hinweist. Wir sind sehr froh, dass sie Zeit gefunden hat uns ein kurzes Interview zu diesem Thema zu geben.

subtext.at: Kurz zu deiner Person, wie würdest du dich in wenigen Sätzen beschreiben?
Beatrice Frasl: Ich habe Anglistik und Amerikanistik und Gender Studies an der Universität Wien studiert, mache jetzt das Doktorat English and American Studies – meine Dissertation beschäftigt sich mit Heteronormativität und Geschlecht in Disney-Filmen. Ich unterrichte aktuell auch an der Universität Wien, bin Gründerin und Betreiberin und zwei Podcasts: Große Töchter und She Who Persisted, schreibe immer wieder mal für diverse Medien, publiziere wissenschaftlich und halte Vorträge. Bis vor Kurzem hab ich außerdem im Parlament als Gleichbehandlungsreferentin gearbeitet. Ich bin linke Feministin, Arbeiter_innenkind, Veganerin, Aktivistin, Kulturwissenschafterin und Podcasterin.

subtext.at: Was ist dein Hintergrund zu der Thematik “Universität für Arbeiter_innen Kinder”?
Beatrice Frasl: Ich bin selbst Arbeiter_innenkind – die erste (aber nicht die letzte) in meiner Familie, die Matura gemacht hat. Die erste, aber nicht die letzte, die studiert hat.

subtext.at: Was sind deiner Meinung nach die signifikantesten Merkmale der Ungleichheit im österreichischen Bildungssystem?
Beatrice Frasl: Das lässt sich schwer kurz zusammenfassen, aber insgesamt ist das österreichische Bildungssystem so hochgradig selektiv, dass die Idee des sozialen Aufstiegs durch Bildung als Mythos bezeichnet werden muss. Grundsätzlich lässt sich vereinfacht feststellen: Kinder von Akademikeriker_innen werden auch wieder Akademiker_innen, Kinder von Arbeiter_innen werden auch wieder Arbeiter_innen. Je weiter oben im Bildungssystem, desto weniger Menschen aus “bildungsfernen Schichten” – die Universitäten sind hauptsächlich Stätten zur Elitenreproduktion.

subtext.at: Bist du der Meinung, dass es Universitäten wichtig ist, Personen aus der Arbeiter_innen Klasse als Studierende zu haben?
Beatrice Frasl: Nicht nur als Studierende, sondern auf allen Ebenen. Wenn sich Universitäten als Stätten der innovativen Forschung und Wissenschaft verstehen, dann müssen sie dafür sorgen, dass Wissenschaft und Forschung nicht aus der ewiggleichen – privilegierten – Perspektive erfolgt. Das hat nämlich auch Auswirkungen auf Vielfalt und Qualität. Nehmen wir den Journalismus als Beispiel. Er ist ein hochelitäres Feld, da Voraussetzung für den Berufseintritt in der Regel nicht nur ein Studium ist (das ohnehin hauptsächlich Kinder aus Akademiker_innenfamilien abschließen), sondern das Absolvieren diverser unbezahlter Praktika und Volontariate. Nachdem sich das nur wenige Privilegierte leisten können (da die anderen arbeiten müssen um Geld zu verdienen), schlägt sich das auch auf Fokus und Qualität der Berichterstattung nieder. Manche Themen und Perspektiven kommen schlicht und ergreifend nicht oder nur sehr unzureichend vor. Dasselbe lässt sich auch über den Wissenschaftsbetrieb sagen. Die Tatsache, dass es so wenige junge Erwachsene aus “bildungsfernen” Schichten an die Uni und dann noch viel weniger durch die Uni zu einem Abschluss und dann noch viel weniger bis zu einem Doktorat in Richtung wissenschaftliche Karriere schaffen, hat also einen Einfluss auf die Qualität dessen, was an Universitäten erforscht und gelehrt wird.

subtext.at: Gibt es Universitäten, Hochschulen, die deiner Meinung nach den Zugang niederschwelliger und offener gestalten? Damit Personen, die sich Studieren ohne Arbeiten nicht leisten können, auch eine Chance auf einen akademischen Abschluss haben?
Beatrice Frasl: Dazu kann ich leider nicht wirklich was sagen.

subtext.at: In deiner Instagram-Story erwähnst du, dass der akademische Habitus nie zu 100% aufgeholt werden kann. Was müsste sich deiner Meinung im System ändern, damit dies für Personen die aus Nicht-Akademiker-Familien kommen einfacher ist?
Beatrice Frasl: Ich denke, man müsste hier auf mehreren Ebenen anfangen. Einerseits ist es wichtig zu betonen, dass Bildung nicht an der Uni beginnt, sondern im Kleinkindalter – Kinder müssen frühest möglich unterstützt und gefördert werden, um Ungleichheiten qua Herkunft auszugleichen. In Wirklichkeit ist also beispielsweise eine Forderung, welche auf egalitäre Bildungskarrieren hinwirkt, das Zur-Verfügung-Stellen von ausreichend hochwertigen Kinderbetreuungs- und Kindergartenplätzen. Dann geht es weiter mit der Forderung nach Gesamt- und Ganztagesschule: es ist ein riesiges Problem, dass Schüler_innen in Österreich im Alter von 10 aussortiert werden, denn schon hier zeigt sich eine klassenbezogene Ausdifferenzierung. Auf universitärer Ebene müssen, neben ausreichend Unterstützungsangebot, alle finanziellen Hürden möglichst abgeschafft werden. Das bedeutet, dass es nicht nur keine Studiengebühren geben sollte, sondern dass auch unbezahlte Volontariate und Praktika verboten gehören. Zudem muss die Studienbeihilfe leichter zugänglich gemacht und signifikant erhöht werden: aktuell liegt der Höchstbetrag bei 801€ und damit weit unter der Armutsgrenze. Das ist nicht zumutbar. 

Foto: Andreas Kepplinger

subtext.at: Persönlich bin ich eine große Verfechterin an der Verhaltenstheorie “Lernen am Modell”  – in wie weit hätte es dir geholfen, eine nahestehende Ansprechperson zu haben, welche dich durch die Akademischen Gewässer leitet?
Beatrice Frasl: Das Fehlen von Anspruchspersonen ist für Nicht-Akademiker_innenkinder an der Uni eine große Hürde. Da geht es einerseits um organisatorische Dinge: darum, dass man zu Hause niemanden fragen kann, wie der akademische Betrieb funktioniert, weil Eltern und große Geschwister nicht studiert haben. Es geht aber auch darum, wie fremd das Akademische einem ist: der akademische Diskurs, akademischer Habitus, wie selbstverständlich und berechtigt man sich in diesen Kontexten bewegt. Darum, was zu Hause besprochen wurde und was nicht – welche Erfahrungswelten bekannt sind und welche nicht.

subtext.at: Welche Probleme habe sich in deiner akademischen Laufbahn entwickelt, die die soziale Ungleichheit als Fundament hatten?
Beatrice Frasl: Ich habe in etwa ein Jahr an der Uni gebraucht, um mich halbwegs zu orientieren – da ich, siehe weiter oben – keine Ansprechperson hatte. Ich musste während meines Studiums arbeiten, weshalb ich mich weniger auf das Studium konzentrieren konnte und sich die Studiendauer verlängert hat, weshalb ich dann Studiengebühren zahlen musste. Insgesamt muss man aber betonen, dass vieles an Diskriminierung wesentlich subtiler und wesentlich schwerer benennbar ist, da wir ja alle in unsere Klassenherkunft hineingeboren werden und Effekte wie Habitus selten reflektieren (sondern eher als natürlichen Umstand wahrnehmen).

subtext.at: Wie würdest du den Stellenwert der Bildung in den Arbeiter*innen Familien einschätzen?
Beatrice Frasl: Das lässt sich pauschal so nicht beantworten.

subtext.at: Du sprichst auch die Utopie des sozialen Aufstiegs durch Leistung an – was sind die zentralen Merkmale der These, die du kritisierst?
Beatrice Frasl: Ich würde die Idee des sozialen Aufstiegs durch Leistung nicht als Utopie bezeichnen, sondern als eine Mär. Genaugenommen: eine neoliberale, klassistische Mär. Sie basiert auf der Annahme, wir würden in einer Meritokratie leben, als wäre sowohl Reichtum und sozialer Status verdient als auch Armut selbst verschuldet. Beides ist eine Lüge. Reichtum wird in Österreich vererbt, nicht erarbeitet. Bildung ebenso. Das ist eine harte Wahrheit, da wir alle gerne auf der Annahme operieren, wir könnten es durch eigene Leistung schaffen. Die Erkenntnis, dass das nicht so ist macht erstmal dumpf wütend, aber sie ist auch die nötige Voraussetzung für kollektives solidarisches Handeln.

subtext.at:Zum Schluss: was ist dein Rat an jene die aus Arbeiter_innen Familien kommen und den Traum haben ein Studium abzuschließen?
Beatrice Frasl: Einzelnen möchte ich gar nichts raten, die Verantwortung liegt hier im System. Außer: solidarisch mit anderen sein, aufbegehren, kurz: Revolution. 

subtext.at: Liebe Beatrice, vielen Dank für deine Zeit und deinen spannenden Input.


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