What they say: Offener Brief zur Systemrelvanz von Kultur

Der zweite Shutdown der Kulturszene sorgt auch in Linz wieder für Unmut. Der Kulturverein KAPU erklärt in einem offenen Brief an die Regierung warum sie die jetzige Situation nicht unkommentiert und widerspruchslos hinnehmen können.

Da auch wir der Meinung sind, dass die Kulturszene in Österreich durchaus mehr als ein „bisschen Unterhaltung“ zu bieten hat, und mit ihrer Flexibilität und Vielfalt auch ihren Beitrag zur Bekämpfung der Pandemien beitragen kann, möchten wir euch den Brief der KAPU nicht vorenthalten:


Zur Systemrelevanz von Kulturarbeit

Linz, 10.11.2020 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Sebastian Kurz, sehr geehrte Frau Staatssekretärin Andrea Mayer, sehr geehrter Herr Bundesminister Rudolf Anschober, sehr geehrte Mitglieder der Parlamentsklubs! 

Im Zuge der Verordnungen zum neuerlichen Lockdown in Österreich wurde auch gegen die Kulturbetriebe  sowie die Kunstschafenden in Österreich ein physisches Erscheinungsverbot in der Öffentlichkeit  verhängt. Im humanistischen Sinne und der Vernunft folgend, akzeptieren wir diese Entscheidung. Im Gegensatz  zum Frühjahr können wir es diesmal jedoch nicht unkommentiert und widerspruchslos hinnehmen. 

Warum? 

Bereits Ende des Frühjahres wurde vonseiten der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass, mit  Vorausblick auf den zu erwartend schwierigen Herbst und Winter, wirksame Sicherheitskonzepte zur  Vermeidung der Verbreitung von SARS-Cov2 entwickelt werden müssen, um den Kulturbetrieb aufrechtzuerhalten. Außerdem wurde von der Bundesregierung in Aussicht gestellt, für diese ohnehin originäre Aufgabe selbst Sorge zu tragen. 

Basierend auf den Erkenntnissen des ersten Lockdowns, haben unzählige Kulturbetriebe  Veranstaltungskonzepte entworfen, die so effektiv sind, dass mit ihnen mittelfristig ein geregelter Betrieb  stattfinden konnte. Das war in sehr vielen Fällen nur unter erhöhtem Engagement unzähliger Freiwilliger, Vorsicht und Voraussicht, sowie dem Mut zum Bekenntnis, dass „die Dinge nun einmal anders sind“ durchführbar. 

Dies verlangte von den meisten Einrichtungen auch den Mut, ihr Publikum mit Umständen zu konfrontieren, die normalerweise diametral zum Anspruch der Einrichtung stehen, vor allem im Alternativen  Kultur- und Kunstbereich. Nicht wider Erwarten, sondern aufgrund von unserem Vertrauen auf die  Vernunft des Publikums, erfuhren all diese Einrichtungen positive Reaktionen und Bekenntnisse zu den  veränderten Bedingungen. 

Während alle Bereiche der Gesellschaft, in denen nicht konsequent Solidarität GEFORDERT und  DURCHGESETZT wurde, mit Clusterbildungen und steigenden Infektionszahlen zu kämpfen hatten, konnte  sich die Kulturszene als “safe spot” in der SARS-Cov2 Situation etablieren. Und zwar schlicht deshalb,  weil konsequent die selbst entwickelten Konzepte durchgesetzt und eingehalten wurden. Konzepte, die der österreichischen Bundesregierung sogar als Blaupause für ein wirksames Konzept für  ALLE ÖFFENTLICHEN RÄUME (Schulen, Büros, Kulturbetriebe und Dienstleistungswirtschaft) dienen  könnten, wie zum Beispiel im Präventionskonzept von Das Werk die Lüftungsanlage mit Ionisierung, oder,  als Interimslösung, mobile Ionisierungsgeräte, wie in der ZDF Heute Show vom 30.10. vorgestellt. 

Darauf begründet sich unsere Fassungslosigkeit gegenüber der aktuellen Entscheidung: 

Während Sie damit beschäftigt waren, alle populären Klüngel von der Leine zu lassen und weitestgehend  den überholten Status Quo wiederherzustellen, haben Sie die tatsächlich und langfristig wirksamen  Konzepte, die in der Kulturszene entworfen wurden, ignoriert, obwohl sie am Präsentierteller liegen! 

Konzepte, die einen erfolgreichen Umgang mit der Pandemie und ihren gesellschaftlichen Konsequenzen garantieren. Nicht nur haben wir unsere Aufgabe der intellektuellen und emotionalen  Erweiterung der Gesellschaft weiterverfolgt, sondern nachweislich gezeigt, dass wir uneitel, flexibel und  dynamisch an die reellen Gestaltung eines neuen Alltags herangehen können. Somit leisten Kunst und Kultur hier einen greifbaren und praktisch nachvollziehbaren Beitrag zu einer positiven Entwicklung  unserer Gesellschaft. Den wirtschaftlichen Nutzen weitgehend ungestörter öffentlicher und privater  Betriebe brauchen wir hier nicht auch noch vorzurechnen. 

Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, also von „Kulturverliebtheit“ so abschätzig sprechen, sollte das eigentlich  mit Dankbarkeit verknüpft sein, denn wir Kulturbetriebe lieben tatsächlich unsere Gesellschaft, in aller  Vielfalt und Widersprüchlichkeit. Unser Erfolg basiert auf Respekt. Denken Sie darüber nach und staunen  Sie. 

Hochachtungsvoll, 
Kulturverein KAPU 


Weitere Infos und Quellen findest du hier:

Fotos: Andreas Wörister

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