Crossing Europe 2021: Madre / Mother
Der Regisseur Rodrigo Sorogoyen verfolgte die Story seiner Kurzgeschichte „Madre“ weiter und erzählt im gleichnamigen Film die Geschichte einer Mutter, welche ihren Sohn vor 10 Jahren verloren hat.
Der Film beginnt mit dem bereits 2017 erschienen Kurzfilm des spanischen Regisseurs Rodrigo Sorogeyen. Der in einer Einstellung gedrehte Kurzfilm spielt 10 Jahre vor dem eigentlichen Film und gibt einen sehr emotionalen Einstieg in das Thema. Es wird die Mutter Elena gefilmt, wie sie mit ihrem Sohn am Telefon spricht, der sich alleine auf einem Strand irgendwo in Frankreich befindet. Sein Vater ist kurz zum Wohnwagen zurückgegangen und hat den Jungen alleine gelassen, voller Angst hat er seine Mutter angerufen. Diese versuchte mit unterschiedlichen Fragetechniken zu erfahren, wo der Sohn ist – und ob oder wo Hilfe holen kann. Der Akku seines Handys wird leer – und das war auch der letzte Kontakt, den die Protagonistin Elena (gespielt von Marta Nieto) mit ihrem Sohn hatte, bevor er verschwand.
Der eigentliche Film spielt 10 Jahre später: wir sehen Elena, die an einem Strand spazieren geht, jenem Strand in Frankreich, wo ihr Sohn verschwand. Sie hat ihre Wohnung und ihren Job in Spanien aufgegeben und ist an diesen Ort gezogen. Sie hat sich dort ein gutes Leben aufgebaut, arbeitet als Restaurantmanagerin und hat eine stabile Beziehung. Der gemeinsame Plan ist mit ihrem Freund nach der Saison zusammenzuziehen. Sie lernt mit ihrem Verlust umzugehen und es gelingt ihr immer besser im Hier und Jetzt zu leben. Bis zu dem Zeitpunkt, wo Jean (gespielt von Jules Porier) am Strand auftaucht, der sie stark an ihren Sohn erinnert.
Die Eltern von Jean haben ein Haus in der Nähe der Küste gekauft, um im Sommer raus aus Paris zu kommen. Jean ist 16 und wird schnell auf die intensiven Blicke von Elena aufmerksam, als er sie damit konfrontierte, dass sie ihm nach Hause gefolgt ist, entsteht zwischen den Beiden eine Art einer Beziehung. Eine Beziehung, wo unklar ist, was die jeweiligen Motive der Personen für die Beziehung sind. Jean errechnet sich im ersten Teil des Filmes romantische Chancen und Elena möchte nur in der Nähe des Jungen. Wir sehen Jean mit den Augen von Elena, wie sie Ähnlichkeiten zu ihrem verlorenen Sohn sucht, dafür werden immer wieder starke Detailaufnahmen des jungen Erwachsenen gezeigt. Der Film fokussiert sich weiter auf die ungleiche Beziehung zwischen den beiden Protagonisten und die Auswirkungen, die diese „Freundschaft“ auf die Aufarbeitung des Traumas von Elena hat. Als die Eltern von Jean ein Kontaktverbot mit Elena ausgesprochen haben, eskaliert die ganze Situation.
Rodrigo Sorogoyen erzählt ihn seinem neuen Film eine Geschichte einer stark traumatisierten Frau, welche die Hoffnung, ihren Sohn nochmal zu sehen, nicht aufgeben möchte. Der Regisseur spielt mit den Gefühlen des Publikums und lässt uns Emotionen wie Mitleid, Trauer, Angst um die liebgewonnenen Protagonist*innen und Hoffnung ungefiltert mitfühlen. Authentisch fühlen wir hier die Verzweiflung und die Depression der trauernden Mutter, aber auch die Hilflosigkeit des sozialen Umfeldes wird klar dargestellt. Der Film zeigt, dass ein Trauma wie der Verlust des eigenen Kindes lange braucht um aufarbeitet zu werden und dass auch nach vielen Jahren immer wieder Dinge, Personen oder Wörter triggern können.
Eine sehr gelungene Charakterstudie, welche die komplexe Beziehung zwischen den Protagonist*innen aus allen verschiedenen Blickwinkel beleuchtet und uns eine Idee von der Tragik gibt, wie ein Verlust unser Leben beeinflussen kann.
Madre / Mother
Rodrigo Sorogoyen
Spanien / Frankreich 2019
129 Minuten
Spanisch / Französisch
OmeU
www.crossingeurope.at