Print shows Hernando De Soto and other soldiers at Tampa Bay.
Library of Congress

Die Eroberung Amerikas

In seinem 2021 erschienen Roman „Die Eroberung Amerikas“ widmet sich Franzobel einem ganz besonders sensiblen Thema auf eine sehr tragikomische Weise. Dabei rückt in den Mittelpunkt der Geschichte: der spanische Konquistador Hernando de Soto, der 1538 mit 700 Mann Florida erobern sollte und den nebenbei bemerkt heute fast keiner mehr kennt. Sein Eroberungsfeldzug ging als die erfolgloseste Expedition in die Geschichte ein und war somit für den Autor Grund genug, dem einstigen Eroberer einen Roman zu widmen, der auf der einen Seite spannend, historisch gut recherchiert und an manchen Stellen auch witzig ist, aber gleichzeitig auch unfassbar blutrünstig und einem wieder vor Augen führt, mit welcher Brutalität die Europäer gegen indigene Völker Amerikas vorgingen.

Obwohl der Autor an manchen Stellen ein bisschen Fiktion miteinbaute, stellt man rasch fest, dass dieses Buch sehr gut recherchiert ist. Selbst historische Figuren, denen heute keiner mehr irgendeine Bedeutung zusprechen würde und von denen du wahrscheinlich nie im Leben hören würdest, wie der Spanier Juan Ortiz, der jahrelang als Gefangener bei den Ureinwohnern lebte und nur durch Zufall von de Soto befreit wurde, finden im Buch ihren Platz. Generell stößt man in diesem Roman regelmäßig auf skurrile Charaktere mit Witz und Charm, die die Expedition quer durch Florida bis zum Mississippi, vorbei an indigene Dörfer und Wälder, zu einem noch skurrileren Kopfkino machen.

Franzobel‘s Schreibstil hat schon fast etwas Malerisches, wodurch ich stellenweise sogar Sehnsucht auf ein unberührtes, heiles Amerika und die Karibik rundum Kuba bekam, wäre da nicht in regelmäßigen Abständen die grausame Realität dazwischengekommen. Der Völkermord an den amerikanischen Ureinwohner. So aufregend diese Reise für die Spanier, zumindest zu Beginn, auch war, so schrecklich war ihre Ankunft für die Menschen, die schon vor ihnen dort waren. Vergewaltigung, Sklaverei, Mord und die Gier nach Gold standen an der Tagesordnung, marschierten die selbsternannten Söhne der Sonne erstmal in die Dörfer ein. All das im Namen des Herrn. Wer „die Eroberung Amerikas“ liest reist in eine Realität voller Widersprüche und Heuchlerei, wo sich der weiße Mann vor allem als eines sieht: die Krone der Schöpfung.

Fazit:

Mit rund 540 Seiten Lesestoff hat das Buch durchaus eine brauchbare Länge, welche ich allerdings an manchen Stellen vielleicht noch ein wenig reduziert hätte. Hier und da schweift der Autor etwas ab und auch die prompten Orts- und Charakterwechsel zwischen den Zeilen lassen einen manchmal für Sekunden den Faden verlieren. Außerdem fand ich die Satzzeichensetzung bei Dialogen manchmal schwierig, da Franzobel keine klassischen Apostrophe bzw. Guillemets verwendet, sondern lediglich einen Strich am Zeilenanfang, wodurch manchmal nicht sofort erkenntlich war, wo das Gesagte aufhört und wo die Erzählung weitergeht. Man gewöhnt sich allerdings daran.

Nichtsdestotrotz kann ich, besonders für Geschichtsinteressierte, dieses Buch durchaus empfehlen. Insbesondere weil man beim Lesen stellenweise das Gefühl hat, man steckt mitten im Geschehen drinnen und wer findet den Gedanken an ein tiefblau-türkises Meer nicht bezaubernd? In diesem Sinne, viel Spaß beim Bücher lesen.


Cover: Zsolnay Verlag

Die Eroberung Amerikas

Franzobel

Gebunden, Mit Lesebändchen, 544 S.

€26,80

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