Film-Still aus "Tick Tick Boom"
Bild: Macall Polay/Netflix

„Tick, Tick…Boom!“ – Die Zeit läuft

Die Uhr tickt für den Musical-Komponisten Jon, der 1990 in New York noch unbedingt vor seinem 30. Geburtstag den Durchbruch schaffen will. In tick, tick… BOOM! spielt (und singt) Andrew Garfield den von Versagensängsten geplagten und exzentrischen Jonathan Larson hervorragend, während Hamilton-Macher Lin-Manuel Miranda als Regisseur das Leben des Ausnahmekünstlers Larson gefühlvoll ehrt.

Das ist es. Das wird sein Durchbruch. Das MUSS sein Durchbruch werden. Superbia, ein futuristisches Rock-Musical. Doch eine Woche vor der Erst-Präsentation vor Geldgeber:innen und Szenegrößen – und seinem 30. Geburtstag – plagen Komponist Jon Zweifel und Versagensängste. Ihm fehlt noch immer ein Song für den zweiten Akt. Und er wird 30. Vorbild Stephen Sondheim hat schon mit 25 die Songtexte zu West Side Story geschrieben. Was ist, wenn es nicht klappt? Acht Jahre lang hat er daran gearbeitet. War alles umsonst?

Im halb autobiografischen Musical tick, tick… BOOM! arbeitet Jonathan Larson die Entstehungsgeschichte von Superbia auf. Für Netflix hat Steven Levenson die Geschichte als Filmdrehbuch adaptiert und Lin-Manuel Miranda sie als Hommage an Larson inszeniert. In einer Szene stellt sich der Hauptcharakter Jon, alias Jonathan Larson, als „Zukunft des Musicals“ vor. Ironischerweise hatte Larson keine Ahnung, wie Recht er damit haben sollte.

Film-Still aus "Tick Tick Boom"
Jon arbeitete acht Jahre lang an seinem Musical. Nun stellt er alles infrage. Bild: Macall Polay/Netflix

Lang lebe Jonathan Larson

Musical-Kenner:innen ist Jonathan Larson wohl vor allem durch sein Musical Rent ein Begriff. Es gilt als eines der erfolgreichsten Stücke am Broadway, lief zwölf Jahre lang und brachte Larson einen Pulitzer-Preis für Drama und mehrere Tony-Awards ein. Erlebt hat Larson diesen Erfolg allerdings nie. Er starb am Tag der Premiere von Rent an einer Aortendissektion.

Der Film tick, tick… BOOM! legt den Fokus allerdings nicht auf den Welterfolg Rent oder Larsons tragischen Tod, sondern auf sein Leben und die harte Arbeit, die ihn in der Musical-Welt unsterblich werden ließ. Er zeigt den Entstehungsprozesses zu Superbia, in dem Jon fast minütlich zwischen überschwellender Euphorie, lähmender Versagensangst und panischem Stress schwankt. Andrew Garfield stellt diese Gefühlswelten so eindringlich dar, dass es einen vollkommen in den Bann zieht.

Film-Still aus "Tick Tick Boom"
Um sein Leben als Musical-Komponist zu finanzieren, arbeitet Jon im Moondance Diner. Bild: Macall Polay/Netflix

In dieser chaotischen und für ihn zukunftsentscheidenden Phase der Erst-Präsentation von Superbia hat Jon auch mit Privatem zu kämpfen. Neben Beziehungsproblemen ist vor allem die AIDS-Epidemie in den USA der 1980er und 1990er Jahre ein zentrales Handlungselement. Zu viele seiner Freunde sind in den letzten Jahren zu jung gestorben. Das verstärkt Jons eigenen Druck, vor dem 30. Geburtstag noch erfolgreich sein zu wollen, umso mehr. Es nimmt ihm aber auch zu einem gewissen Grad die Zweifel. Lang hatte er überlegt, ob er das Komponieren nicht hinschmeißen solle. Finanziell kommt er kaum über die Runden. Die Uhr tickt – ihm bleibt nicht mehr viel Zeit für den Erfolg. Die hohe Sterblichkeit im Freundeskreis führt ihm aber wieder vor Augen, dass das, was er tut, keine Zeitverschwendung, sondern seine Lebensaufgabe ist. Und wir sind froh, dass er sie nicht aufgegeben hat.

Fazit: Mehr als ein Musical über ein Musical

Regisseur Lin-Manuel Miranda verwebt in tick, tick… BOOM! einige Handlungs- und Zeitstränge, das erschwert zum Teil den Einstieg in den Film. Die Songs sind, ganz im Stil Larsons, eher von Rock als von Orchestern geprägt und dementsprechend eingängig. Musikalisch ist der Film auch aus einem anderen Grund ein Highlight: Zahlreiche Broadway-Stars, darunter auch der Original-Cast von Rent, zollen in Gastauftritten Jonathan Larson Tribut.

Der Film ist aber nicht nur für Musical-Fans empfehlenswert. Auch wenn es faktisch gesehen ein Musical über ein Musical ist, schwingt – typisch für Miranda – viel aktuelle gesellschaftliche Relevanz mit. Die prekäre Situation von Künstler:innen, Erfolgsdruck und Selbstzweifel sind Phänomene, die wir auch heute nur zu gut kennen. tick, tick… BOOM! ist also nicht nur ein wichtiger Film für das Vermächtnis eines außergewöhnlichen Künstlers, sondern auch für alle, die sich manchmal selbst etwas zu viel Druck machen.

tick, tick… BOOM!

Regie: Lin-Manuel Miranda
Drehbuch: Steven Levenson
Mit: Andrew Garfield, Alexandra Shipp, Robin de Jesus

USA 2021
121 Minuten

Jetzt anschauen auf Netflix!

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