Foto: Eric Pankow

Mono & Nikitaman: auf in die autonome Zone

„M&N sind zurück, Straßen brennen noch immer“. Diese Zeile aus Mono & Nikitamans „Komplizen“ aus dem Jahr 2011 könnte man auch 2022 so umschreiben. „Autonome Zone“ heißt ihr mittlerweile siebtes Album, das diesen Februar veröffentlicht wurde.

Monika Jaksch und Nick Tilstra alias Mono & Nikitaman sind seit 2004 nicht mehr aus der deutsch-österreichischen Szene wegzudenken. Mittlerweile in Berlin heimisch geworden, stehen sie seit fast zwei Jahrzehnten für Sozialkritik, Live-Abrisse und politischen Inhalt. Ein Gespräch zu ihrem neuen Album, Social Media und Detailverliebtheit.

subtext.at: Eurer neues, mittlerweile siebtes Album heißt „Autonome Zone“ – im Einleitungstext dazu heißt es im ersten Satz: „Guten Morgen, es brennt wieder!“. Könnte man das eigentlich auch als „Guten Morgen, es brennt noch immer“ bezeichnen?
Nikitaman: (lacht) Tatsächlich an allen Ecken und Enden, und die Art, wie es sich verändert hat, hätte sich keiner von uns gedacht. Logischerweise hat die Pandemie einiges verändert.
Mono: Man hat das Gefühl, dass es an allen Ecken immer größere Feuer gibt, und niemand mehr weiß, wo zuerst gelöscht werden soll.

subtext.at: Apropos „Löschen“ – wann kam euch der erste Gedanke zu „Autonome Zone“? Vor, nach, oder während der Pandemie?
Mono:
Der Titel selbst schwirrte schon länger in meinem Kopf herum – und wir fanden, dass er zu diesem Album perfekt passt. Eigentlich haben wir uns immer gesagt, dass die Konzerte, die wir spielen, sich fast so anfühlen, als würden autonome Zonen entstehen. Das, was da stattfindet, ist ein eigener Raum, den wir uns schaffen.
Nikitaman: Und auch das Buch von Hakim Bey, „Temporäre Autonome Zone“, hat dich, Mono, ja auch schon vorher beeinflusst, damals im Studium.
Mono: Hat mit der Pandemie grundsätzlich eigentlich nichts zu tun, nein.

subtext.at: Die gerade angesprochene „Autonome Zone“, die im Rahmen von Konzerten enstehen, findet und fand in den letzten zwei Jahren überhaupt nicht stand. Ihr habt zuvor bereits mit etwas angefangen, was sich in den letzten beiden Jahren massiv verstärkt habt: die Interaktion mit Leuten in Gruppen sozialen Medien. Wie hat eure „Autonome Zone“ für euch in den letzten beiden Jahren ausgesehen?
Mono:
Nicht nur den Künstler:innen hat diese „Autonome Zone gefehlt“, sondern auf der anderen Seite gerade auch den Konzertbesucher:innen. Wir haben uns ganz lange dagegen gewehrt, auch unser Konzert eins zu eins digital umzusetzen, einfach weil die Energie dabei gefehlt hat. Aber es konnte etwas Anderes digital entstehen – ein Austausch mit Leuten, die unsere Musik feiern und uns nahestehen. Das hat uns dann auch zu Twitch geführt.
Nikitaman: Lustig, das du das gerade ansprichst. Für uns beide war von Anfang an klar, kein Streaming-Konzert zu machen. Ich wollte das Gefühl, auf einem Konzert dabei zu sein, nicht versuchen zu ersetzen. Das funktionierte nicht – da stellte sich die Frage, was wir sonst machen könnten. Angefangen über ein paar Gruppen – das waren im Endeffekt nur Messenger-Dienste – haben wir es geschafft, ein paar Leute in einen Twitch-Kanal zu holen. Das ist dann quasi unsere Autonome Zone – die ist chaotisch, konzeptlos, aber wir können mit den Leuten über alle Themen reden. Über das Album, aber auch allgemeinere Dinge. Ich hatte hier erstmals das Gefühl, dass Social Media nicht mein Feind ist, sondern dass da viele Leute sitzen, die man Sonntags am Nachmittag einfach mal treffen kann. Ich musste mir selber da mal sagen, dass ich zwar mit diesem Instagram-Wahnsinn und wer denn nun am Besten aussehe nicht mitmachen möchte, aber hier dann mal so sein kann, wie ich bin. Etwa so, wie wir es früher am Merch-Stand gemacht haben oder wir es auch von der Bühne runter zelebrieren. Das funktioniert jetzt auf dieser Ebene für uns – und macht auch Spaß, ja.

subtext.at: Glaubst du, dass diese Verlagerung weg vom Physischen hin zum Digitalen die Kommunikation zwischen euch und euren Fans verändert hat?
Mono:
Definitiv hat sich was verändert – es geht aber nicht komplett ohne physischen Kontakt. Es geht hier eher um Abwägen – ist der Flug jetzt notwendig, um weit entfernt ein Gespräch zu führen, oder geht das auch via Zoom? Das hat das Arbeiten schon auch vereinfacht – ich kann direkt mit Leuten reden. Aber das Spüren, Riechen und Anfassen kann man natürlich nicht ersetzen in unserem Fall.
Nikitaman: Es eröffnet definitiv neue Wege – aber was kann etwa ein gutes Buch ersetzen? Vielleicht die Filmindustrie noch – aber sich hinsetzen und ein Buch zu lesen ist immer unersetzbar. Unsere Konzerte etwa bleiben, unsere Alben ebenfalls, aber wir haben „on top“ noch eine Möglichkeit, mit Leuten zu interagieren. Gestern habe ich im Radio gehört, dass manche Musiker:innen in Videospielen quasi Konzerte spielen möchten – das fand ich interessant, kann ich mir aber dann doch überhaupt nicht vorstellen für uns (lacht).

subtext.at: Wenn ich mir das Album „Autonome Zone“ in einem Stück durchhöre, wirkt es für mich so, als ob die Message dahinter seit mehr als zehn Jahren in etwa dieselbe ist oder vielmehr sein muss. Tracks wie „Deutschland, du bist rassistisch“,, „Asoziale Gesellschaft“, „Kein Tier ist so brutal wie wir“ – die Message dahinter begleitet euch eigentlich von Beginn an. Provokant gefragt: wie mühsam ist es, Themen immer noch so auf den Punkt bringen zu müssen, weil sich gesellschaftlich nichts zum Besseren gewandelt hat, oder es, wie angesprochen, es „immer mehr brennt“?
Mono:
Müde werden wir sicher nicht, das alles anzusprechen. Wir nehmen ja auch verschiedene Perspektiven und Blickwinkel ein – aber natürlich ist es eine Katastrophe, in welche Richtung die Gesellschaft sich aktuell entwickelt. Und wie wenig wir als Gesellschaft zusammenhalten und welche demokratiefeindlichen Tendenzen es gibt. Es ist gerade wirklich gefährlich.
Nikitaman: Der Grund, weshalb es für mich nicht „langweilig“ wird, ist etwa bei „Deutschland, du bist rassistisch“, dass wir schon Tracks hatten, die sich damit beschäftigen, aber ich persönlich mich zuvor nie so intensiv mit dem Thema Rassismus auseinandergesetzt habe wie nach dem Tod von George Floyd und „Black Lives Matter“. Ich habe dann das Buch „Exit Racism“ von Tupoka Ogete gelesen und fand sehr interessant, was ich dabei über mich selbst lernen konnte. Über meine eigenen Rassismen und in welcher Gesellschaft ich selbst sozialisiert wurde. Das hat uns dann auch dazu bewegt, dieses Lied zu machen und ein Thema, das wir vielleicht schon mal hatten, quasi mit dem Mikroskop noch mal im Detail zu beleuchten. Da werde ich nie müde, so zu denken – es ist ein Forschen, wie weit wir mit unserer Musik Themen, die wir beleuchten, gerecht werden und Themen, die wir schon hatten, vielleicht mit neuen Aspekten ausbauen. Ein noch besseres Mikroskop bauen, eine noch feinere Lupe – um mit dem Brennglas ins Detail zu gehen und uns genau auszudrücken.

subtext.at: „Mit dem Brennglas“ noch mehr ins Detail gehen – glaubst du, dass sich Musik dahingehend entwickeln wird, eben noch detaillerter ins Detail zu gehen und Themen nicht mehr allgemein abhandelt?
Mono:
Naja, viele Musiker:innen wollen das schon ganz klar trennen – „wir sind unpolitisch“, „Musik hat nichts mit Sozialkritik zu tun“ und dergleichen. Weil man es sich mit vielen Fans komplett verscherzen kann, wenn man sich falsch ausdrückt, eben wenn man ins Detail geht. Für mich ist es aber schon wichtig, Dinge auch direkt anzusprechen – wie ich vorhin schon sagte, sind wir gerade in einer schwierigen Phase, wir müssen bei jede Information die Quelle hinterfragen und sehen, was wahr oder unwahr ist. Wir leben in einer Zeit der systematischen Desinformation. Man muss mit Medien und Informationen auch umgehen können.
Nikitaman: Da geht es aber nicht nur uns Musiker:innen so – etwa Journalist:innen, oder eigentlich allen, die sich äußern im Netz. Im Moment wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, und die andere Seite scheint nur zu warten, dass eine blöde Aussage kommt. Mono hat etwa letztens aus Spaß eine Grafik gebaut, wo Leonardo di Caprio ein T-Shirt von uns trägt, wir haben das gepostet und die Leute sind durchgedreht, weil Leonardo di Caprio zwar für Umweltschutz einsteht, aber dann doch dabei fotografiert wurde, als er auf einer großen Yacht liegt. Damit wird dann alles nichts mehr wert, was er gemacht hat? Ich will jetzt keinen in Schutz nehmen – aber das ist eben ein Beispiel für die Zeit, wo alles auf die Goldwaage gelegt wird. Wir haben etwa auch den Song „Kein Tier ist so brutal wie wir“ – sicher werden viele Leute es gut finden, dass wir für Tierschutz einstehen, aber wenn jemals ein Foto von mir auftaucht, wo ich besoffen bei McDonald’s einen Burger verdrücke, dann werden auch wieder Leute sagen, dass alles gelogen sei. Ich finde es schade, dass so in Schwarz/Weiß gedacht wird – aber deswegen müssen wir uns genau überlegen, was wir wie in unseren Songs sagen.

subtext.at: Macht das auch etwas mit euch als Künstler:innen, wenn ihr wisst, dass eben jedes Wort noch mehr auf die Waagschale gelegt wird und ihr vielleicht noch kritischer beäugt wird?
Mono:
Manchmal entstehen bei mir große Fragezeichen im Kopf – wir kriegen auch schräge, krasse Nachrichten, wo Leute auch teilweise enttäuscht sind, dass wir uns in einer Zeit wie jetzt nicht so systemkritisch sind, wie sie es gerne von uns hätten. Aber es ist eine Pandemie, und da lasse ich mich nicht vom Bauchgefühl, sondern von der Wissenschaft leiten. Aber das hindert mich nicht an meinem Schaffen.
Nikitaman: Dadurch, dass wir schon immer sozialkritische Musik gemacht haben, sind wir es ja schon „gewöhnt“, dass die Leute uns sehr kritisch hinterfragen. Das war schon vorher so – die Gesellschaft hat sich noch stärker in diese Richtung entwickelt. Aber wir haben immer schon starke Kritik einstecken müssen – für mich als Künstler verändert es mich nur so, dass ich im Albumprozess das ausschalte und einfach nichts mehr lese. Ich setze mich dann hin, und mache das Lied mit aller Energie so, wie ich das will. Irgendjemandem wird es schon nicht gefallen (lacht).
Mono: Das ist eine fixe Regel, die ich in meinem Studium gelernt habe: Kunst bedeutet nicht, gefallen zu müssen. Es ist wichtig, dass wir auch lernen, in sozialen Medien wegzuhören. Face to Face würde niemand das zu jemandem sagen, wie er es in Social Media tut.

subtext.at: Bleiben wir mal beim physischen Face-To-Face-Kontakt. Vor etwas mehr als zehn Jahren habt ihr bereits den „Underground“ besungen – der lebt von DIY, Blood, Sweat & Tears, das es gerade nicht gibt. In welche Richtung wird sich dieser Underground eurer Meinung nach bewegen?
Nikitaman:
Es wird leider schon so sein, dass einige Clubs etwa auch auf der Strecke bleiben werden. Ich glaube auch, dass Viele sich daran gewöhnen werden, dass es ohne Weggehen am Abend auch gehen kann. Allerdings haben sich Subkulturen ja immer gerade dann durchgesetzt, wenn Gesellschaften sie wegnegieren wollten und haben gerade dann überlebt. Weil sie ein starker Ausdruck von Menschen ist, die sich in der Gesellschaft selbst nicht gehört fühlen. Deswegen glaube ich, dass Subkultur wieder Wege finden wird – aktuell ist natürlich für Kultur wenig und für Subkultur noch weniger Platz. Das muss dann wieder wachsen, und einige werden halt leider doch auf der Strecke bleiben.
Mono: Es muss der „Glory“ zurück in die Kunst und in die Musik. Leute müssen das wieder gerne genießen, und es muss wieder Platz dafür geschaffen werden. Aktuell hat man nur mitgekriegt, dass Kultur nicht „systemrelevant“ sei und nicht unbedingt gebraucht werden. Ich glaube, dass wir, hätten wir mehr Kunst und Kultur gehabt, hätten sich Menschen auch nicht so stark zerstritten.

subtext.at: Zurück zum Album. In Songs wie „Zeit für Optimisten“ schafft ihr auch wieder „Bubbles“, um diesem durchaus tristen Alltag entfliehen zu können. Seht ihr das neben all der Sozialkritik auch als eine eurer Kernaufgaben?
Nikitaman:
Für mich ist es immer ein schönes Gefühl, wenn ich Musik höre, die mir auch Hoffnung gibt. Da geht es weniger um eine „Wohlfühlbubble“, sondern ich glaube, dass es einer der ersten Schritte sein muss, positive Utopien in unseren Köpfen zuzulassen. In dem Moment, wo wir hingehen, und sagen, das die Welt sowieso untergeht und wir eh alle sterben, dann ist ein bisschen „letzte Ablenkung“ davor nicht das, was ich mit Musik erreichen möchte. Das wäre auch nicht der richtige Weg. Egal, wie viele schlechte Nachrichten höre – ich glaube immer noch, dass wir das hinkriegen können, wenn wir uns zusammentun. Das glaube ich ernsthaft immer noch (lacht). Da singe ich dann auch gerne drüber. Wenn es mir grad scheiße geht, ist es schön, wenn ein Lied um die Ecke kommt, das mich daran erinnert.
Mono: Irgendwie erinnern wir uns auch immer selber daran und schreiben die Musik dann für uns selbst (lacht).

subtext.at: Seit drei Alben produziert und vermarktet ihr eure Alben selbst. Um wie viel mühsamer ist es für euch, den ganzen Albenprozess bis zur Veröffentlichung zu bringen, ohne Perspektive auf Livekonzerte und physische Präsenz?
Nikitaman:
Die Labelarbeit selbst ist ja dieselbe geblieben – vom Herstellungsprozess und Vermarktung. Fanbundles, Boxzusammenstellungen, Seedbombs und dergleichen.
Mono: Das Cover habe ich für die Platte selbst gemacht – und habe endlich mal Zeit dafür gehabt, weil wir nicht immer unterbrochen wurden. Wir haben Zeit in Dinge reingesteckt, die wir sonst nicht hatten – so ist die Platte zu einem Gesamtprojekt geworden. Wir haben nichts ausgelagert, und das hat sich schon richtig gut angefühlt.
Nikitaman: Was sich natürlich verändert hat, ist der Schritt danach: die Promotion. Natürlich mussten wir da überlegen, wie wir wo mit Leuten in Kontakt kommen können – und klar war schnell, dass Social Media-Kanäle, auf die wir uns alle verlassen und wir glaubten, dass sie gratis sind, eben nicht gratis sind. Sondern wir schon entscheiden müssen, ob wir die Daten, die wir Netzwerken geben, wieder zurückkaufen wollen – wir erreichen die Abonennt:innen eben nicht in dem Ausmaß, wenn wir nicht dafür bezahlen. Das erschwert die Situation schon – gerade dann, wenn es keine Tour, Livegigs und Co gibt. Da haben wir dann eben die angesprochene Twitch-Geschichte ins Leben gerufen. Wir finden schon unsere Wege (lacht). Und wir sind nicht so desparate – weil wir das eben schon eine Zeit lang machen. Wir haben eine tolle, treue Fanbase, die mit uns mitgeht und seit Jahren am Start sind. Wir wissen dann auch, dass wir da jetzt noch durch müssen – und wenn es wieder losgeht, geht es wieder richtig los.
Mono: Und wir endlich wieder die Leute abholen können, die eben auch bewusst nicht auf sozialen Netzwerken unterwegs sind.

Mono & Nikitaman: Autonome Zone
VÖ: 11.02.2022
CD/LP/Digital
M&N Records
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Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.